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spräche, die den Gedanken verkleidet, die Sprachlogik nicht unmittelbar zu
entnehmen sei 4 .
Hier überall wird also Sprachlogik als Kritik der Sprache in Hinsicht auf ihre
— grammatische oder linguistische — Ausdrucksfunktion aufgefaßt, d. h.
auf ihre Fähigkeit, sowohl »Gedanken« wie auch die Gesetze des Denkens
auszudrücken. Und wenn wir in diesem Sinne von einer Sprachlogik der Dich
tung sprächen, so würde freilich das Problem der Dichtung von vornherein
verfehlt sein. Logik der Dichtung sieht es zwar auf ein Verhältnis der Dich
tung zur Sprache ab, aber auf ein anderes als das in den genannten Theorien
gemeinte. Sie berücksichtigt nicht die Sprache in ihrer beschreibenden und aus
drückenden Funktion und damit die mehr oder weniger banale Tatsache,
daß Dichtung sprachliche Kunst im Sinne von Wortkunst ist. Sie wird viel
mehr aus dem Umstand entwickelt, daß die Sprache als das Gestaltungs
material der Dichtung zugleich auch das Medium ist, in dem sich das spezifisch
menschliche Leben überhaupt vollzieht. Dies ist keine neue Erkenntnis. Wil
helm Schlegel etwa hat sie formuliert, wenn er sagt, daß »das Medium der
Poesie eben dasselbe ist, wodurch der menschliche Geist überhaupt zur
Besinnung gelangt und seine Vorstellungen zu willkürlicher Verknüpfung in
die Gewalt bekommt: die Sprache« 5 6 . In diesem Satze ist aber auch schon an
gedeutet, daß dies Medium sich nicht darin erschöpft, aus sinngeprägten Zei
chen, den Worten, zu bestehen, sondern daß es die Dichtung in weit ein
schneidenderer Weise in ihrem besonderen Kunstsein bestimmt. Logik oder
Sprachlogik der Dichtung bedeutet deshalb nicht Sprachkritik im Sinne Witt
gensteins, sondern kann genauer als Sprachtheorie bezeichnet werden, die unter
sucht, ob und wieweit die Sprache, die die Formen der Dichtung hervorbringt
(wie wir zunächst noch allgemein sagen wollen), sich funktionell von der
Sprache unseres denkenden und mitteilenden Lebens unterscheidet. Die Logik
der Dichtung als Sprachtheorie der Dichtung hat ^um Gegenstand das Verhältnis der
Dichtung c(um allgemeinen Sprachsystem. Logik der Dichtung ist also im sprach-
theoretischen Sinne zu verstehen, wobei die hier gemeinte Sprachtheorie im
folgenden als Aussagetheorie entwickelt wird und als solche im Laufe ihrer
Erhellung den Terminus Logik ersetzen kann.
4 L. Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 9. Aufi., London 1962, S. 62: »Es ist
menschenunmöglich, die Sprachlogik aus ihr (der Umgangssprache) unmittelbar zu entneh
men. Die Sprache verkleidet den Gedanken.« (4.002). »Alle Philosophie ist >Sprachkritik<.«
(4.0031)
6 A. W. Schlegel, Über Schöne Literatur und Kunst (Dt. Litteraturdenkmale des 18. u. 19.
Jahrhunderts, Bd. 17, 1884), S. 261