Ich-Origo bezogen und für einen Augenblick damit sozusagen den Raum der
Fiktion verlassen.
Dieses Experiment zeigt, daß mit den Raumdeiktika sich etwas Entsprechen
des vollzieht, wie mit denen der Zeit, wenn sie im fiktionalen Erzählen auf-
treten. Auch für sie gilt, daß sie sich nicht auf eine reale Ich-Origo, des Ver
fassers und damit des Lesers, beziehen, sondern auf die fiktiven Ich-Origines
der Romangestalten. Sie stellen bei dieser Bezugsveränderung zwar keine
grammatischen Veränderungen an, wie die Zeitdeiktika, aber dafür zeigen sie
noch greifbarer als diese, was die Ursache dieser Bezugsveränderung ist, die
für beide in gleicher Weise gilt. Diese Ursache besteht darin, daß die Zeigwörter
in der Fiktion aus dem Zeigfeld in das Begriffs- oder Sjmbolfeld der Sprache übergehen —
unbeschadet der Tatsache, daß sie dort den grammatischen Schein des Zeig
wortes beibehalten, so gut wie das epische Präteritum den grammatischen
Schein des Vergangenheitstempus beibehält. Die deiktischen Adverbien, die
zeitlichen wie die räumlichen, verlieren in der Fiktion ihre deiktische, existen
tielle Funktion, die sie in der Wirklichkeitsaussage haben, und werden zu
Symbolen, bei denen die räumliche bzw. zeitliche Anschauung zu Begriffen
verblaßt ist. Beschreibt in den »Wahlverwandtschaften« der Gärtner die Lage
der Mooshütte,
Man hat einen vortrefflichen Anblick: unten das Dorf, ein wenig rechter Hand die Kir
che . . . gegenüber das Schloß und die Gärten . .. dann öffnet sich rechts das Tal. . .
wandern etwa bei Stifter die Personen häufig »gen Mitternacht« oder »gen
Morgen«, so nehmen wir diese Richtungsangaben als Bezeichnungen von Be
ziehungen hin, von denen wir wissen, daß sie dem Raume zugehören, die wir
aber als solche nur von einem eigenen realen Hier, nicht aber von dem fiktiven
Hier fiktiver Gestalten vorstellbar machen können. Damit fällt nun von den
räumlichen Adverbien ein schärferes Licht auch auf die zeitlichen. Auch die
Angaben: heute, morgen usw. haben in der Fiktion gerade um ihres deiktischen
Ursprungscharakters willen nur die Funktion verblaßter Begriffssymbole, von
denen wir wissen, daß sie zeitliche Verhältnisse bezeichnen, die wir aber als
existentielle Zeit nicht erleben oder erfahren können. Sie können in der Fiktion
fehlen, ohne daß die Illusion des Jetzt dadurch gestört würde, ebenso wie die
Raumdeiktika dort fehlen können, ohne daß die Illusion des Hier der Hand
lung und damit der Gestalten gestört würde. Das Jetzt- und Hier-Erlebnis, das
uns die Fiktion (die epische und, wie wir sehen werden, ebenso auch die dra
matische und filmische) vermittelt, ist das Erlebnis der Mimesis handelnder
Menschen, d. h. der fiktiven, aus sich selbst lebenden Gestalten, die eben als
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