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Das Problem der Subjektivität und Objektivität des Erzählens
Der Nachweis aber, daß beim fiktionalen Erzählen kein mit dem >Erzähler<
identisches Aussagesubjekt am Werke ist, kann exakt erst durch die Prüfung
eben der Begriffe erbracht werden, die die Struktur der Aussage kennzeichnen,
jedoch seit je nicht nur für die Beschreibung der erzählenden Dichtung son
dern auch für die Unterscheidung der Gattungen benutzt wurden. Es handelt
sich um die Begriffe des Subjektiven und Objektiven, die auf die Dichtungs
gattungen in der Weise angewandt zu werden pflegen, daß Epik und Dramatik
als objektive Gattungen der Subjekten lyrischen gegenübergestellt werden,
aber mit dem Gradunterschied, daß die Epik um des >epischen Ich< willen
subjektiver als die Dramatik, wenn auch nicht so subjektiv wie die Lyrik ist.
So meinte ja die naturalistische Romantheorie Spielhagens und Holz’, daß
durch weitmöglichste Ausschaltung des Erzählers, d. h. weitmöglichste Dia-
logisierung und damit Dramatisierung des Romans eine >Objektivität< der
erzählenden Dichtung erzielt würde, die der dramatischen nahekäme. Und
wenn eine solche Forderung abgelehnt wurde, so geschah es, wie gerade bei
Petersen, mit der Begründung, daß der subjektive Erzählfaktor aus der erzäh
lenden Dichtung nicht ausgeschaltet werden dürfe. Seine Formulierung sei
angeführt, weil sie die traditionelle Auffassung sehr deutlich zum Ausdruck
bringt: »Die Zwischenstellung des Erzählers bringt vielmehr eine ständige
Kreuzung von Objektivierung des Subjektiven und Subjektivierung des Ob
jektiven mit sich. Die subjektive Erzählungsform sucht den Eindruck objek
tiver Wahrheit des Erzählers zu erwecken durch Hinweis auf stoffliches Mate
rial: Erinnerungen, Zeugenaussagen ... Die objektive Erzählungsform wird
subjektiviert durch persönliche Einmischung des Dichters, durch Anrede des
Erzählers an seine Hörerschaft wie durch Zwischenreden erklärender, lehr
hafter, betrachtender Art.« 98 Und nicht anders sprach schon Jean Paul, wenn
er Epos und Drama vergleicht: »Weit objektiver als das Epos ist — die Person
des Dichters ganz hinter die Leinwand seines Gemäldes drängend — daher
das Drama, das sich ohne sein Zwischenwort in einer epischen Folge lyrischer
Momente ausreden muß.« 99
Es ist vornehmlich die Auffassung, daß, wie Petersen sagt, »die objektive
Erzählungsform durch persönliche Einmischung des Dichters subjektiviert«
werde, die den Begriff des Subjektiven, und als seinen Gegensatz den des Ob
jektiven, in die Theorie der Epik eingeführt hat. Es ist aber nicht nur die
88 J. Petersen, a. a. O., S. 152
99 Vorschule der Ästhetik, § 62