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sein, wenn auch die letztere es wäre und umgekehrt. Der Unterschied besteht
darin, daß die Marquise an dieser Stelle mehr in ihrem inneren Zustand, der
Ich-Originität ihres personalen Lebens geschildert ist, dem die bestimmenden
Adjektive und Prädikate Ausdruck geben. In den anderen Beispielen fehlt die
Ausdrücklichmachung des >jetzt und hier< sich vollziehenden inneren Lebens
nicht, aber ist eingeschränkt zugunsten der Darstellung der Umstände, des
Geschehens, des äußeren Vorgangs, eingeschränkt in jedem der Fälle auf ein
den seelischen Zustand der in diesem Geschehen stehenden Personen kenn
zeichnendes Wort: äußerste Besorgnis, in seiner zerrissenen Brust, äußerst
überrascht und verwirrt. Aber sowohl im »Zweikampf« wie im »Kohlhaas«
finden sich Stellen, wo wiederum die Darstellung der seelischen Lage den
Primat über die der Begebenheit hat, z. B.: »Frau Littegarde, als sie Herrn
Friedrichs Mutter . . . eintreten sah, stand, mit dem ihr eigenen Ausdruck von
Würde, der durch den Schmerz, welcher über ihr Wesen verbreitet war, noch
rührender ward, von ihrem Sessel auf« (Der Zweikampf). Umgekehrt finden
sich in der »Marquise von O . ..« Stellen reinen Geschehensberichtes: »Der
Platz war in kurzer Zeit völlig erobert, und der Kommandant . . . zog sich
eben mit sinkenden Kräften nach dem Portal zurück, als der russische Offizier,
sehr erhitzt im Gesicht, aus demselben hervortrat. ..«
Es bedarf keiner weiteren Beispiele, um deutlich zu machen, daß es sich im
fiktionalen Erzählen weder in dem einen noch in dem anderen Falle um ein sub
jektives bzw. objektives Erzählen handelt. Denn es besteht hier zwischen dem
Erzählen und Erzählten kein Subjekt-Objektverhältnis, keine Relation (und
damit auch Korrelation). Der Unterschied, den wir bemerken, ist darin ge
gründet, daß einmal die fiktiven Gestalten mehr als nach außen handelnde, im
Strom der Begebenheiten stehende, ein andermal mehr als erlebende, in ihrem
inneren Dasein ruhende (bzw. beunruhigte) geschildert werden. Beide Erzähl
weisen wechseln in einer erzählenden Dichtung miteinander ab, ebenso wie
etwa Bericht und Dialog abwechseln. Nun ist es eine Entwicklungserscheinung
und -phase der erzählenden Dichtung, daß die veranschaulichende Darstellung
des inneren Daseins sich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter ausge
bildet hat. Sowohl die weitgehende Dialogisierung des Romans, wie die Form
der erlebten Rede bis zur Wiedergabe nicht nur des bewußten, sondern auch
des unbewußten Erlebensstromes (wie etwa bei Joyce) sind Erzählformen, die
eben dies zum Ziele haben. Niemand aber wird behaupten, daß die Bewußtseins
assoziationen Leopold Blooms und Stephan Daedalus’ im »Ulysses« subjek
tiver, oder auch im Sinne der Dramatisierungstheorie objektiver erzählt sind
als die Romane Kleists und Kafkas. In allen Fällen wird ein Fiktionsfeld er