menen anerkannte und anwandte, die Bedeutung, die schon darin enthalten
ist, daß sie die Lehre sind. Denn sie sind die Lehre, weil sie als Phänomene
zugleich Symptome sind, weil ihr besonderes So-sein oder So-erscheinen auf
eine oder mehrere in ihnen selbst gelegene Ursachen zurück- oder auch
hinunterweist, die ihr Sosein und -erscheinen bedingen. Daß diese Ursachen
so verborgen und darum so unauffällig sein können, daß man bei der Beschrei
bung der Phänomene sie gar nicht als Ursachen erkennt — auch dies hat Goethe
prägnant festgestellt: »Man sagt gar gehörig: das Phänomen ist eine Folge
ohne Grund, eine Wirkung ohne Ursache. Es fällt dem Menschen so schwer,
Grund und Ursache zu finden, weil sie so einfach sind, daß sie sich dem
Blick verbergen« (Nr. 1103). Die Naturwissenschaft besteht methodisch in
nichts anderem als in diesem Verfahren der Erkenntnis. Sie sucht nach den
Ursachen der Symptome, die die Erscheinungen zeigen, und sie beruhigt sich
nicht, bis sie diese Ursachen in einem Gesetz, einer Gesetzmäßigkeit, einer
Struktur gefunden hat. Wir lassen uns hier nicht auf die weitläufige und viel
diskutierte Frage ein, ob und in welcher Weise auch die Geisteswissenschaften
Gesetzeswissenschaften sein können. Wir behalten nur das Phänomen der
Dichtung im Auge und wollen zu zeigen versuchen, daß es in hohem Grade,
im selben Grade wie die Sprache selbst, zu den an Symptomen reichen Phäno
menen gehört, deren Sosein oder Seinsweise nicht von ungefähr ist und nur
als solche beschrieben zu werden brauchte, sondern sich erklärt und erhellt
aus der verborgenen logischen Struktur, die ihr als Kunst der Sprache oder
aus Sprache zugrunde liegt.
Dieser logischen Struktur oder Gesetzmäßigkeit sind sich die schaffenden
Dichter selbst nicht bewußt, so wenig wie wir denkend und sprechend uns
der logischen Gesetze bewußt sind, denen wir folgen müssen, um uns ver
ständlich zu machen. Dem Interpreten der Dichtung aber geben diese Gesetze,
einmal aufgedeckt, Schlüssel zu manchen verborgenen Türen an die Hand,
hinter denen die Geheimnisse des dichterischen Schaffensprozesses und damit
der Dichtungsformen selbst verborgen sind. Wenn wir im folgenden nun die
Dichtung als Kunst der Sprache zu analysieren versuchen, so wird, wie nun
nochmals hervorgehoben sei, Sprache mit Bezug auf die Dichtung nicht im
engeren ästhetischen Sinne der >dichterischen< Sprache, des >Wortkunstwerks<
verstanden, sondern als dichtende Sprache, d. h. untersucht mit Hinsicht auf die
sprachlogischen Funktionen, die sie lenken, wenn sie die Formen der Dichtung
hervorbringt.
Hierin aber ist — wie zur Vermeidung jeglichen Mißverständnisses beson
ders betont sei — enthalten, daß auch der Begriff Dichtung im ästhetisch wei
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