Full text: Die Logik der Dichtung

darum so scharf beleuchtet hervortreten läßt, weil sie eben die äußerste Kon 
sequenz ist, die das fiktionale Erzählen sozusagen aus sich selbst zu ziehen 
imstande ist und zu der die Wirklichkeitsaussage wesensmäßig nie gelangen 
kann. Von einer Form wie der der Musil-Stelle her, die strukturell und gehalt 
lich mit der Wilhelm-Meister-Steile vergleichbar ist, zeigt sich, daß auch diese 
Betrachtungen nicht die Angelegenheit eines von dem fiktiven Geschehen 
unabhängigen Betrachters oder Erzählers sind, sondern, wenn auch formal 
weniger mit der Romangestalt verbunden, doch nur ihrer Gestaltung dienen. 
Auch Wilhelm ist so wenig wie Ulrich und Peter Walsh (Mrs Dalloway) >die 
Sache<, von der das Erzählen abschweifen kann, wie ein solches Erzählen ab 
schweifen würde, wenn er wirklich die Sache, nämlich eine wirkliche Person, 
und das Erzählen dann kein fiktionales, sondern ein historisches wäre. Daß die 
letztere Annahme im Falle Ulrichs und Peter Walshs überhaupt nicht einmal 
gemacht werden kann, das liegt eben nur an der von vornherein mehr fiktio- 
nalisierenden Form dieser Erzählstile, aber prinzipiell und strukturell besteht 
hier kein Unterschied. 
Dies wird noch deutlicher, wenn wir vergleichend nochmals einen Blick 
auf den Kleistschen Text werfen. Wir können daran erkennen, daß die breite 
reflektorische Erzählgestaltung letztlich nichts anderes bedeutet als eine aus 
gestaltende Erweiterung der Erzählfunktion selbst, die nur dem Stil aber nicht 
der kategorialen Art nach von der dieser Textstellen unterschieden ist. Heißt 
es in der Kleiststelle: »und mit großer Selbstzufriedenheit gedachte sie, welch 
einen Sieg sie, durch die Kraft ihres schuldfreien Bewußtsein, über ihren Bruder 
davongetragen«, so müssen wir nun freilich schärfer hinhören, um zu bemer 
ken, daß auch hier Erzählen und Erzähltes zusammenschmelzen, und nicht 
auszumachen ist, wo die Grenze läuft, die die gewissermaßen selbsttätig sich 
vollziehenden seelischen Vorgänge, das fiktive Leben der Marquise, von der 
interpretierenden Erzählerstimme trennen. Und diese Grenze kann auch nicht 
angegeben werden, denn sie existiert nicht. Die Interpretation der seelischen 
Vorgänge sind die seelischen Vorgänge, ein anderes interpretierendes Wort 
würde — wie wir schon oben von anderer Seite her zeigten — andere seelische 
Vorgänge erzeugen. Denn sie existieren nur kraft dessen, daß sie erzählt sind. 
Das Erzählen ist das Geschehen, das Geschehen ist das Erzählen. Und dies 
gilt ebensowohl für das Erzählen äußerer wie innerer Vorgänge. 
Wir ziehen, um dies nochmals zu verdeutlichen, die Fontane-Stelle (s. S. 119) 
heran, die sich als Schilderung einer äußeren Situation von der Kafka-Stelle 
durch größere Ausführlichkeit unterscheidet und auch stärker fiktionalisierende 
Züge aufweist als diese. Bei der Darstellung äußerer Situationen sind solche 
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