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Das Dialogsystem
Unser Versuch, den Unterschied des fiktionalen Erzählens, als einer Funk
tionsstruktur, von der Wirklichkeitsaussage, als einer Relations- oder Subjekt-
Objekt-Struktur, nachzuweisen, führte bereits mit der Heranziehung der er
lebten Rede auf die Elemente, aus denen das Erzählen sich herstellt und auf
baut. Daß zu diesen Elementen der Dialog gehört, ja solange es erzählende
Dichtung gibt einen zentralen Bestandteil der Erzählsubstanz bildet, bedarf
der Feststellung nicht. Doch ebenso klar ist es, daß es mit ihr nicht getan ist.
Gerade weil der Dialog sich als ein relativ einfaches erzählerisches Mittel dar
zubieten scheint, bedarf er genauerer Analyse.
Der Dialog scheint sich auf den ersten Blick so sehr von dem eigentlichen
Erzählen, dem beschreibenden oder reflektierenden Bericht, abzuheben, daß
unser Aufweis des Verschmelzens der letzteren mit anderen Formen der Ge
staltung, der erlebten Rede vor allem, keine allgemeine Gültigkeit zu haben
scheint. Dennoch kann gezeigt werden, daß diese gewissermaßen traditionelle
Beschreibung unseres Leseerlebnisses, und damit der Romanstruktur, nicht
dem eigentlichen Phänomen entspricht. Geben wir uns von unserem Lese
erlebnis einmal Rechenschaft, so belehrt es uns, daß kein sehr merklicher Unter
schied zwischen der Erzähl- (genauer: Bericht-) und der Dialogsubstanz eines
Romans in unser Bewußtsein tritt. Nicht etwa so, daß man lesend nicht be
merkte und jederzeit feststellen könnte, was Bericht und was Dialog sei. Das
Phänomen ist anderer Art, nämlich darin gegründet, daß die Er^ählfunktion in
einer besonderen Weise fluktuierend erscheint. Wir beobachteten dies bereits an der
Art, wie sie sich in der erlebten Rede darstellt, wo sie gleichsam in der Gestalt
verschwindet, von ihr aufgesaugt wird, derart, daß nun nicht mehr unterschie
den werden kann, ob die Gestalt sich >selbsttätig< darstellt oder dargestellt
wird. Dies ist aber nur ein besonders stark hervortretendes Kriterium. Es prägt
das fiktionale Erzählen in jedem Augenblick seines Verlaufes, weil es in jedem
Augenblick bald mehr bald weniger sinngeprägtes >Sein< erzeugt. Dabei um
spielt es, erzeugend, dieses Sein, die Gestalten und ihre Welt, bald näher, bald
von ferner, verschmilzt bald ganz mit ihnen, tritt bald wieder von ihnen zurück,
aber ohne sie >aus den Augen zu Verlierern und kann sich darum ohne weiteres
und ohne Einschnitt an oder in sie, sich selbst ganz aufgebend, aufteilen. Dies
geschieht im Dialog und Monolog noch absoluter als in der erlebten Rede.
Wie es denn ja auch kaum der Erwähnung bedarf, daß diese drei Formen ein
ander verwandt sind und in verschiedenster Dosierung und Nuancierung die
Eigenart des fiktionalen Erzählens zum Ausdruck bringen. Sie sind denn ja