Betrachtungen ist zunächst festzustellen, daß das Drama in sprachlogischer
Hinsicht weit unergiebiger ist als die epische sowohl als die lyrische Dich
tung. Es bietet als Sprachkunstwerk betrachtet keine Handhabe, die Ge
setze der dichtenden Sprache im Vergleich mit der nicht-dichtenden aus ihm
zu erkennen. Denn, im logischen Sinne aus der epischen Substanz gleichsam
herausgeschnitten, gehört es eben deshalb in sie hinein. Aber gerade das
Gestaltungsmittel, die sprachliche Form, die von allen mimetischen Dar
stellungsformen das Drama bewahrt hat, die direkte Rede, bietet als solche
keine dichtungstheoretischen Kriterien dar. Sie tut dies nur als Form der
fluktuierenden Erzählfunktion, die sich eben auch durch den Dialog als
fiktionales Erzählen ausweist. Das Drama hat im System der Dichtung seinen
Ort innerhalb der Enklave im allgemeinen Sprachsystem, die die mimetische
Dichtung bildet, weitab von der Grenze, die die fiktionale Erzählfunktion
gegen dieses zieht. Angesichts des Dramas hätte Hegel am wenigstens zu der
Einsicht kommen können, daß die Kunst sich auflöse und in die Prosa des
wissenschaftlichen Denkens übergehe. Denn das Drama ist dasjenige Wort
kunstwerk, bei dem das Wort nicht mehr frei, sondern gebunden ist. Es ist
Gestalt geworden, wie der Stein, aus dem die Statue gebildet ist. Es steht,
anders ausgedrückt, nicht wie in der epischen Fiktion, die Gestalt im Medium
des Wortes, sondern umgekehrt das Wort im Medium der Gestalt — was
wiederum nur eine andere Formel für die Tatsache ist, daß die Erzählfunktion
gleich Null geworden ist. »In Ansehung der Form«, sagt Hegel mit Bezug
auf die Tragödie (die hier für das Drama steht) »hört die Sprache dadurch,
daß sie in den Inhalt hereintritt, auf, erzählend zu sein, wie der Inhalt aufhört,
ein vorgestellter zu sein.« 121 In der dramatischen Formel, daß das Wort im
Medium der Gestalt steht, ist es begründet, daß der logische Ort der dramati
schen Fiktion sich nicht wie der der epischen an den Funktionen der Sprache
selbst orientieren läßt. Die Wirklichkeitsaussage als Vergleichsinstrument
wird eben deshalb unwirksam und irrelevant, weil die fiktionale Erzähl
funktion verschwunden ist. Aber an Stelle der Wirklichkeitsaussage tritt
die Wirklichkeit selbst als orientierender Faktor in die Logik und Phäno
menologie der dramatischen Fiktion ein. Dies geschieht in einer höchst
hintergründigen und verwickelten Weise, die seit alters manche Verwirrung
in die Theorie des Dramas gebracht hat, anderseits aber den besonderen, der
epischen Fiktion gegenüber kompakteren und intensiveren Fiktionscharakter
der dramatischen Fiktion in aller Deutlichkeit hervortreten läßt.
121 Hegel, Phänomenologie des Geistes, Ed. Lasson, Leipzig 1921, S. 471