Die verwickelte Problematik und Phänomenologie des Films rollt sich am
leichtesten von der Situation des Filmzuschauers, des Kinobesuchers her auf.
Diese unterscheidet sich von der des Theaterbesuchers auf der einen Seite und
der des Romanlesers auf der anderen auf eine eigentümliche Weise, welche
zunächst durch die einfache Feststellung angegeben werden kann, daß der
Kinobesucher sich nicht wie der Theaterbesucher und der Romanleser völlig
darüber im klaren ist, was er tut und erlebt, wenn er einen Film sieht. Sieht er
einen Roman oder ein Theaterstück ? Eine erzählte oder eine dramatisch dar
gestellte Handlung? Keineswegs ist diese Frage leicht und ohne weiteres zu
beantworten; und erst durch einen sorgfältigen Vergleich der Situation des
Kinobesuchers mit der des Theaterzuschauers und der des Romanlesers profi
liert sich die Struktur der filmischen Fiktion heraus.
In erster Linie erinnert die Situation des Filmzuschauers an die des Thea
terzuschauers. Auch sie ist die des Zuschauers und nicht die des Lesers. Wir
sehen und hören, wir fassen den Film auf dem Wege der sinnlichen Wahr
nehmung auf, nicht auf dem der Vorstellung wie den Roman. Dennoch aber
sind wir im Kino nicht in derselben Weise Zuschauer wie im Theater. Wir
sehen — denn auf das Sehen kommt es primär hier an — etwas anderes als
im Theater. Was wir im Theater sehen, spielt sich auf der Theaterbühne ab.
Diese ist ein natürlicher, d. i. dreidimensionaler Raum, die Verlängerung des
Zuschauerraums, und es hindert uns denn ja auch nur die Konvention, nicht
aber die physikalischen Bedingungen, auf die Bühne zu gehen und uns unter die
Schauspieler zu mischen. Die Filmleinwand dagegen ist eine zweidimensionale
Fläche, und das was wir auf ihr sehen, hat nichts mit den raumzeitlichen Bedin
gungen unserer eigenen physischen Existenz zu tun, so wenig wie ein Gemälde.
Aber wir erfahren das Merkwürdige und Paradoxe, daß gerade der zweidimen
sionale Film uns ein natürlicheres Raumerlebnis vermittelt als die dreidimensio
nale Bühne. Ja, wenn wir diese Erscheinung ein wenig pointiert ausdrücken,
so vermittelt das Zweidimensionale, der Film, ein dreidimensionales Raum
erlebnis, die dreidimensionale Bühne dagegen ein zweidimensionales, jeden
falls in hohem Grade fragmentarisches.
An diesem Punkte der Analyse wird es nun notwendig, die technischen
Strukturbedingungen des Films, die Photographie, näher zu untersuchen.
Diese verhält sich offenbar in bezug auf den Film wie das Erzählen in bezug
auf den Roman und die dialogische Gestaltung in bezug auf das Drama. In
allen drei Fällen ist das jeweilige Werk, das epische, dramatische, filmische,
das Produkt dieser ihrer künstlerischen Techniken. Aber sogleich indem wir
diesen Vergleich hersteilen, bemerken oder spüren wir, daß er nicht völlig
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