Full text: Die Logik der Dichtung

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sehen Gedichten gibt, die durch politische Ereignisse und Situationen ver 
anlaßt sind, so ist es dennoch legitim, nur die letzteren als echte politische 
Lyrik zu verstehen. Und wenn die Kategorie der emotionalen Gedichte alle 
Kriterien der lyrischen Subjekt-Objekt-Relation aufweist und sich von der 
Grenze zur mitteilend objektgerichteten Aussage fernhält, so ist naturgemäß 
die politische Lyrik im eigentlichen Sinne nahe an ihr angesiedelt. Das lyrische 
Ich eines Heineschen oder Brechtschen »Zeitgedichtes« — um uns an um 
hundert Jahre getrennten Höhepunkten politischer Lyrik zu orientieren — 
kommt in vielen Fällen einem historischen, theoretischen oder pragmatischen 
Aussagesubjekt sehr nahe. Wenn Heine in dem Gedicht »Michel nach dem 
März« (1851) in Versen wie diesen: 
Solang ich den deutschen Michel gekannt, 
War er ein Bärenhäuter; 
Ich dachte im März, er hat sich ermannt 
Und handelt fürder gescheuter. 
Wie stolz erhob er das blonde Haupt 
Vor seinen Landesvätern! 
Wie sprach er — was doch unerlaubt — 
Von hohen Landesverrätern. 
Das klang so süß zu meinem Ohr 
Wie märchenhafte Sagen, 
Ich fühlte wie ein junger Tor 
Das Herz mir wieder schlagen. 
Doch als die schwarz-rot-goldne Fahn, 
Der altgermanische Plunder, 
Aufs Neu erschien, da schwand mein Wahn 
Und die süßen Märchenwunder. 
Ich kannte die Farben in diesem Panier 
Und ihre Vorbedeutung: 
Von deutscher Freiheit brachten sie mir 
Die schlimmste Hiobszeitung. 
Schon sah ich den Arndt, den Vater Jahn — 
Die Helden aus andern Zeiten 
Aus ihren Gräbern wieder nahn 
Und für den Kaiser streiten. 
Derweil der Michel geduldig und gut 
Begann zu schlafen und schnarchen, 
Und wieder erwachte unter der Hut 
Von vierunddreißig Monarchen.
	        
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