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zwar eine sehr persönliche, satirisch bittre Klage über die zerschlagene Frei-
heitshoffnung anstimmt, wenn Brecht in den Svendborger Gedichten sich la
konisch und dialektisch über den vorausgesehenen Hitlerkrieg so äußert:
Wenn der Anstreicher durch die Lautsprecher
über den Frieden redet
Schauen die Straßenarbeiter auf die Autostraßen
Und sehen
Knietiefen Beton, bestimmt für
Schwere Tanks.
Der Anstreicher redet vom Frieden.
Aufrichtend die schmerzenden Rücken
Die großen Hände auf Kanonenrohren
Hören die Gießer zu.
Die Bombenflieger drosseln die Motore
Und hören
Den Anstreicher vom Frieden reden.
so ist der lyrische Prozeß als solcher gewissermaßen schwach markiert. Die
sich zur Gedichtform ordnenden Aussagen bleiben in hohem Maße objekt
gerichtet und sind infolgedessen direkt, unterstrichen noch durch die Nennung
der jeweiligen politischen oder zeitgeschichtlichen Figuren. Wenn aber auch
in beiden Fällen dieser Prozeß, der der Genesis des Gedichts, schwach, die
Aussagen aus dem Objektpol kaum zurückgezogen scheinen, so ist dennoch
ein formgebendes Element am Werke, das die Aussagen zum Gedicht ordnet.
Es ist in beiden Gedichten von ähnlicher Art, wenn auch nach Epochen- und
Individualstil verschieden, nämlich eine Diskrepant,die bei Heine als Erfah
rung von Hoffnung und Enttäuschung in erster Person ausgesagt, bei Brecht
durch die simple Tatsachenfeststellung der kriegsvorbereitenden Geschäfte der
Straßenarbeiter, Gießer, Bombenflieger usw. und die vom Frieden redende
Lautsprecherstimme des »Anstreichers« zur Anschauung gebracht ist. Indem
aber das Diskrepanzphänomen das formgebene Element und Thema ist, er
weist es sich als das lyrische Sinnmoment, das die Aussagen lenkt und — in
jeweils verschiedener Art — zum Gedicht ordnet. Es ist dabei leicht ersichtlich,
daß gerade Heines reimende Verse und regelmäßige Strophen durchaus auch
in Heinesche Prosa aufgelöst sein könnten, während fast paradoxerweise Brechts
reimlose, ametrische und unregelmäßige Verse und Strophen sich dennoch
solcher Auflösung widersetzen — deshalb, weil das Diskrepanzmoment hier
strukturell antithetischer behandelt ist als in Heines Nachmärzgedicht und sich
als ein mehr immanentes aber entschiedeneres Sinnmoment enthüllt. Für beide