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Welch schönes Jenseits
ist in deinen Staub gemalt.
Welch Königszeichen
im Geheimnis der Luft.
Der Objektbezug ist hier nicht nur durch die anredende Nennung des Gegen
standes, Schmetterling, sondern bereits durch den Titel angegeben, der damit
schon das Verständnis der ersten Strophe steuert. Der Titel aber hat in der
Lyrik eine weit wesentlichere Funktion als in der fiktionalen Gattung. Er hat
seine Funktion in der Aussagestruktur des Gedichtes und durch sie, nämlich
in der Relation des Objekt- und Subjektpols. Er kann, wie im obigen Falle,
durch Nennung des Objekts den Sinnzusammenhang der Gedichtaussagen
erhellen. Aber er kann auch, wie im Falle von »Selige Sehnsucht« in den Sinn
zusammenhang, den Subjektbezug, hineinweisen, ohne ihn etwa darum sogleich
zu erhellen. Auch in diesem Gedicht erscheint ein Schmetterling:
Keine Feme macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.
Aber das Insekt mitsamt seinem so geschilderten Lebensvorgang ist hier nicht
der Objektbezug, sondern Symbol des sich in der Flamme der Liebe verbren
nenden Hebenden Herzens, das sich hier selbst, im Bilde des SchmetterHngs,
anredet. Wie empfindhch und sozusagen leicht verschiebbar aber die Subjekt-
Objektrelation der lyrischen Aussage ist, wird erkennbar, wenn man die denk
bare Annahme machte, daß auch Goethe seinem Gedicht den Titel Schmetter
ling gegeben hätte. Sogleich würde dieser sich als der ursprünghche Objekt
bezug darstellen, der nun in die symbolisch verwandelnde Subjektsphäre des
lyrischen Ich hineingezogen wäre, ein Prozeß, den umgekehrt das Schmetter
lingsgedicht von Nelly Sachs deutlich zeigt. Der Titel kann also sowohl den
Objekt- wie den Subjektbezug angeben. In beiden dieser in zahHoser Variation
vorkommenden Arten von Titelgebungen gibt es Fälle wo der Objekt- bzw.
der Sinnbezug erhellt, und andere wo sie eher verdunkelt werden. Für unseren
Zusammenhang sollen damit nur zwei Phänomene verdeutlicht werden: 1. daß
auch ein den Objektbezug angebender Titel nicht bedeutet, daß die Aussagen
des Gedichtes objektgerichtet sind, d. h. eine Funktion in einem WirkHchkeits-
zusammenhang haben, 2. die auf den ersten BHck umgekehrt erscheinende
Tatsache, daß in jeder noch so sinn-immanenten lyrischen Aussage ein Objekt
bezug bewahrt ist, so in Sinn aufgelöst oder sinnüberspült —und damit schwer
deutbar — er auch sein mag. Denn es ist, wie schon hervorgehoben, im Wesen