Det Blick, der nicht zur Sprache werden kann
(Denn Seelen schaun sich ineinander an)
Indes sich Herz zum Herzen schüchtern drängt
Und Geist an Geist, an Lippe Lippe hängt —
Der nur verlangend süßester Genuß
Des Wiederfindens — seht, ist dieser Kuß.
Es schwebt in ihm des Himmels reinstes Glück.
Anschauend tretet, tretet still zurück.
Auch wenn man nicht wüßte, daß dies Gedicht eine Skulptur beschreibt, ver
mittelt es uns eine schauend-deskriptive Haltung des lyrischen Ichs, verbal in
den Imperativen »seht« und »tretet still zurück« zum Ausdruck gebracht. Das
was die die Gestalten beseelenden, ihnen Gefühle einlegenden Worte vermit
teln, überschreitet doch nirgends die Konturen der Skulptur, sagt von ihr nicht
mehr aus, als von ihren Zügen abgelesen werden kann — wobei es gleichgültig
ist, ob ein anderer Betrachter andere Gefühle davon abgelesen hätte. Wesent
lich ist, daß das lyrische Ich die Gestalten in der Spannung der Subjekt-Objekt-
Relation behält, sie nicht aus seinem Erlebnisfeld entläßt, ja trotz der subjektiv
beseelenden Interpretation ist diese Relation hier ausdrücklich in das Gedicht
hineingenommen, wie es ähnlich auch in Rilkes berühmten Skulpturengedicht
»Archaischer Torso Apollo« der Fall ist. Wir vergleichen damit ein weniger
bekanntes, aber für unsere Problematik sehr aufschlußreiches Portraitgedicht
Rilkes:
Damenbildnis aus den achtziger Jahren
Wartend stand sie an den schwergerafften
dunklen Atlasdraperien,
die ein Aufwand falscher Leidenschaften
über ihr zu ballen schien;
seit den noch so nahen Mädchenjahren
wie mit einer anderen vertauscht:
müde unter den getürmten Haaren,
in den Rüschenroben unerfahren
und von allen Falten wie belauscht
bei dem Heimweh und dem schwachen Planen,
wie das Leben weiter werden soll:
anders, wirklicher, wie in Romanen,
hingerissen und verhängnisvoll, —
daß man einmal etwas erst in die Schatullen
legen dürfte, um sich im Geruch
von Erinnerungen einzulullen;
daß man endlich in dem Tagebuch
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