Bildszene (nach einem unbedeutenden historischen Gemälde 173 ) ist gleichfalls
mit Hilfe des Imperfekts in eine epische Szene umgeformt:
Sie folgten furchtbar, ihren bunten Tod
von ferne nach ihm werfend, während er
verloren floh, nichts als: bedroht.
Die Ferne seiner Väter schien nicht mehr
für ihn zu gelten; denn um so zu fliehn
genügt ein Tier vor Jägern.
Das fliehende Reiten ist als Bewegung, als Handlung erkennbar:
Bis der Fluß
aufrauschte nah und blitzend. Ein Entschluß
hob ihn samt seiner Not und machte ihn
wieder zum Knaben fürstlichen Geblütes.
Ein Lächeln adliger Frauen goß
noch einmal Süßigkeit in sein verfrühtes
vollendetes Gesicht Er zwang sein Roß
groß wie sein Herz gehn, sein blutdurchglühtes:
es trug ihn in den Strom wie in sein Schloß.
Dieses Bildsonett ist darum aufschlußreich für das Balladenproblem, weil ihm
sein Ursprung aus einem Gemäldemotiv nicht mehr anzusehen ist. Und auch
hier ist das lyrische Ich nahe daran, von einer fiktionalisierenden Erzählfunktion
ersetzt zu werden. Eben deshalb aber wählten wir ein balladennahes Bild
gedicht Rilkes, weil in dieser modernen Form und auch bedingt durch das
hochentwickelte Kunstbewußtsein dieses Dichters noch die Grenze fühlbar
ist, die es dennoch im autochthon lyrischen Raum festhält, derart daß die Er
zählung der fiktiven Situation, des Geschehens, der Gestalt als lyrischem Phäno
men erhalten bleibt. Das Geheimnis ist, daß die Gestalt als eine Art poetischer
Vision beschworen wird, erhoben nun gleichsam in eine höhere Bildhaftigkeit,
und die darstellerisch fiktionalisierenden Mittel der Erzählfunktion nicht über
ihre gewissermaßen noch lyrischen Möglichkeiten hinaus ausgenützt sind. (Ein
künstlerisches Verfahren, das auch andere nicht aus Bildmotiven entstandene
Gestaltengedichte Rilkes charakterisiert, wie »Orpheus. Eurydike. Hermes.«
und »Alkestis«.) Ein weit naiveres Balladengefühl ist, wie nicht zu verwun
dern, in dem Bildgedicht C. F. Meyers »Die Fei« wirksam. Hier ist das Gemälde
motiv nach einem Bilde Schwinds gänzlich in Erzählung aufgelöst, mit allen
Mitteln der Erzählfunktion als Bericht und direkter Rede, wobei nun durch die
173 Rosenfeld, a. a. O., S. 252
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