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werden müssen, die diese Bezeichnung tragen, ohne diese Eigenschaft zu ent
halten, z. B. Hofmannsthals »Ballade des äußeren Lebens« oder in neuester
Zeit Christoph Meckels »Ballade« betitelte Vision vom Untergang Venedigs:
Aufflog Venedig
als es mit Fischen und Gondeln oft gespielt
und Finsterwasser gewälzt zur Genüge
mit allen Molen und Palästen
von den murmelnden Kieselbänken.
(Wildnisse, S. 12)
um als Beleg nur diese erste Strophe von fünf strukturell gleichartig gebauten
anzuführen. Daß an dem Sinn, aus dem heraus diese Dichter ihre Gedichte
dennoch Ballade nannten, hier nicht Kritik geübt wird, bedarf der Erwähnung
nicht.
Abschließend und zugleich auf das folgende Kapitel vorweisend sei von der
Ballade noch ein Blick auf das Rollengedicht geworfen. Seine Stellung in der
Lyrik ist weit unbestimmter, ambivalenter. Wenn wir es bisher nur in seinem
Verhältnis zu Bildgedicht und Ballade betrachtet haben, so enthält es doch
auch noch einen anderen Aspekt, nämlich den direkten Bezug zur lyrischen
Aussage, zum lyrischen Ich selbst. Hier wird das einfache Moment entschei
dend, daß das Rollengedicht ein Ichgedicht ist. Und keineswegs immer ist ja
das Bildgedicht der Keim des Rollengedichtes, nicht immer ist es spezifisch
monodramatischer Art, d. h. einer erfundenen, fiktiven Gestalt in den Mund
gelegt, die sich in Ichrede äußert. So scheint es sich zu verhalten, und verhält
es sich meist auch, wenn die Rolle nicht nur durch den Titel angegeben ist,
sondern auch der Inhalt des Gedichtes sich eindeutig auf sie beziehen läßt. Im
lyrischen Gebiete verhält es sich so, daß ein Gedicht mit dem Titel »Erstes
Liebeslied eines Mädchens« sich uns als Rollengedicht darstellt, weil wir seinen
Dichter als den Mann Mörike kennen, das Gedicht »Lied eines Verliebten« des
selben Dichters seinen möglichen Rollencharakter dagegen schon viel weniger
deutlich erscheinen läßt. Dieses Rollengedicht kann mit einem echten Ich
gedicht identisch sein, der unbestimmte »einen Verliebten« angebende Titel
nur eine mehr oder weniger durchsichtige Camouflage des Dichter-Ich. Kurz,
trotz der Rollenform kann der echte lyrische Fall vorliegen, daß wir über das
Verhältnis des lyrischen Ich zum Dichter-Ich nichts aussagen können. Aber
der Schluß wäre falsch, wenn man nun einfach jedes Ichgedicht als Rollen
gedicht kennzeichnen würde. Hier handelt es sich um Setzungen von mehr