Sowohl in Croces wie in Ingardens Theorien über die Sprachmaterie der
Dichtung und damit die Dichtung selbst ist die Sprache nur scheinbar in ihrer
dichtungskonstituierenden Beschaffenheit erfaßt und beschrieben, und beide
Theorien lösen sich darum in Tautologien auf. Worin sich die Sprache der
Dichtung von der Sprache der Wirklichkeit unterscheidet, kann nur erkannt
werden, indem man nicht nur die Sprache bzw. die >Sätze< selbst anschaut,
sondern hinter oder unter sie sieht. Erst die Struktur, die dann zutage tritt,
zeigt an, auf welche, und zwar auf welche unterschiedliche Weise die Dichtung
sich zur Wirklichkeit verhält. Erst damit stellt sich dann auch die Begriffsbil
dung Dichtung und Wirklichkeit in ihrem totalen Sinne her, ist sie nicht nur
auf die mimetischen Arten bezogen, sondern begreift auch die Lyrik ein, derart
daß sowohl die Phänomenologie der Dichtung wie die der Wirklichkeit sich
wechselseitig erhellen und herauskonturieren. Hiermit ist schon angedeutet,
daß gerade die Bedeutungsnuance des Vergleichs, die ln der vieldeutigen
Begriffsbildung enthalten ist, von Wichtigkeit für diese Untersuchung ist.
Weil das sich in der Sprache manifestierende »Vorstellen«, wie Hegel fest
gestellt hat, »auch außerhalb der Kunst (Dichtkunst) die geläufigste Weise des
Bewußtseins ist«, ist der ständige Vergleich der dichtenden mit der nicht-dichtenden
Sprache das gebotene methodische Mittel, die Struktur der Dichtung (als
Gesamtphänomen) zu erarbeiten.
Das Aussagesystem der Sprache
Begriff der Aussage
Wenn die Kriterien der dichtenden Sprache im Vergleich mit der nicht-
dichtenden erkannt werden sollen, so gilt es nun zunächst, diese selbst auf die
Stil der Sprache, eine andere Komposition, das Auftreten von Mannigfaltigkeiten der parat
gehaltenen Ansichten, die Abbildungsfunktion und die Repräsentationsfunktion der dar
gestellten Gegenständlichkeiten, das Vorhandensein der ästhetisch valenten Qualitäten . . .«
(S. 190), so muß ich dennoch auch weiterhin aufrechterhalten, daß bei all diesen — hier nicht
zu diskutierenden — Merkmalen das einzige entscheidende Kriterium fehlt: nämlich das der
fiktiven Personen, d. i. der in ihrem fiktiven Jetzt und Hier gestalteten Figuren, die einen
Roman zu einem Roman machen und deren strukturelle Funktion für das Erzählen in meinem
Buche dargestellt wird. — Ich muß mich dabei auch gegen Ingardens offenbare Meinung
verwahren, die Sätze in ihrer Eigenschaft als logische Urteile in meine Theorie einbezogen
zu haben. Mein Begriff Wirklichkeitsaussage gehört nicht der Urteilslogik, sondern der
Sprachtheorie zu (wie in dieser zweiten Auflage des Buches noch deutlicher werden wird),
und ich gebrauche ihn auch in der ersten Auflage nicht an Stelle des Begriffes Urteil (Ingarden,
S. 189, Anm. 1). Daß er vor allem nicht Aussage über Wirklichkeit meint, ist auch in der ersten
Auflage schon dargelegt worden.
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