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etwa I. M. Bochenski verwendet in seinem Buche »Formale Logik« ausschließ
lich den Terminus Aussage, und zwar im Anschluß an den »Wortschatz der
zeitgenössischen formalen Logik« 37 .
Mit Hinsicht auf die folgenden Darlegungen möchte ich jedoch der älteren
Tradition folgen und den Terminus Urteil als der Logik zugehörigen verwen
den, den Begriff Aussage als sprachtheoretischen und, wie ich gleich hinzu
fügen will, den dritten vorkommenden Begriff, den des Satzes, als grammati
schen reservieren. Meine Gründe dafür sind solche der Eindeutigkeit, wie sie
sich aus dem deutschen Sprachgebrauch, d. h. dem Sinn, ergibt, der in diesen
Begriffen bestimmend ist. Denn wenn auch das Wort Urteil (iudicium) der
juristischen Sprache entstammt und erst auf dem Wege der Wahr- und Falsch-
Beurteilung einer Aussage auch zu einem Terminus der Logik wurde, so ist
er als solcher dennoch eindeutiger und genauer als der der Aussage für das
selbe Phänomen. Sagen wir prädikatives (oder hypothethisches, apodiktisches
usw.) Urteil, so klingt keine der anderen, außerlogischen Bedeutungen des Wor
tes Urteil an; der Bereich der Logik bleibt geschlossen. Es verhält sich anders mit
dem Terminus Aussage. Er greift über in die Grammatik, die den Behaup
tungssatz auch als Aussagesatz bezeichnet. Und er bewahrt auch als Begriff
der Logik einen gewissen Akzent der Bedeutungsunsicherheit; ausdrücklich
muß Bochenski betonen, daß er »unter Aussage einen >Ausdruck< (ein materiell
aufgefaßtes Zeichen)« verstehe »und nicht das, was dieses Zeichen meint« 38 .
In der Tat spielt in den Begriff Aussage weit mehr und störender die Be
deutungsnuance des Aussagens und des Ausgesagten hinein als in den des
Urteils die des Urteilens und des Beurteilten. Dies kommt unwillkürlich bereits
in den Definitionen des prädikativen Urteils zum Ausdruck. »Die Reden sind
entweder eine einfache Aussage, wenn sie etwas von etwas aussagen, oder ...
wenn sie etwas von etwas verneinen .. .« — übersetzt Kirchmann den Satz des
Aristoteles . . . tovtcov öe r) /iev änAfj eaiv änocpdvaig, olov t'l xarä xivog rj ri
omo rlvog . . . und es ist deutlich, daß der Übersetzer, der die Hermeneia die
»Lehre vom Urteil« nennt, hier nicht das Wort >urteilen< einsetzen könnte 39 .
In diesem Ausdruck werden nur »die Reden« zu aussagenden aktiviert. Auf
fällig und symptomatisch aber ist es, wenn einst Chr. Sigwart schrieb: »Das,
was vorgeht, indem ich ein Urteil bilde und ausspreche, kann zunächst äußer
lich so bezeichnet werden, daß ich etwas von etwas aussage.« 40 Diese »psycho
37 J. M. Bochenski, Formale Logik, Freiburg 1956, S. 24
38 Ebd.
39 Aristoteles’ Flermeneutica, übers, von J. H. v. Kirchmann, Leipzig 1876, S. 59
40 Ch. Sigwart, Logik, I, 4. Aufl., Tübingen 1921, S. 31