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bloß sprachliche Formulierung des Urteils verstanden wissen, womit er im
plizite auch die terminologische Gleichsetzung von Urteil und Aussage
ablehnt. Denn er definiert das Urteil nicht als formale Zweigliedrigkeit,
sondern als einen zuerkennenden Akt, der auf ein urteilendes Bewußtsein be
zogen ist. Aber ein Satz wie »der Vogel singt« ist als sprachliche Formulierung
kein Urteil, weil ein urteilendes Bewußtsein darin nicht mehr mitwirkt, sondern
nur eben ein Behauptungssatz, »der nur solange ein Urteil Vortäuschen kann,
als man eben (Behauptungs-)Satz und Urteil gleichsetzt« 44 . Und Ammann stellt
fest: »Das Verhältnis des grammatischen Subjekts zum grammatischen Prädi
kat hat also hier nichts mit dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat eines
Urteils zu tun, weil hier keine Urteile vorliegen, sondern einfache sprachliche
Einkleidungen Vorgefundener Tatbestände.« 45
Wie aber auch die Auffassungen und Definitionen von Urteil und Satz
differieren, in wie hohem Maße auch die Terminologie — so die Gleichstellung
bzw. der alternierende Gebrauch von Urteil und Aussage, Behauptungs- und
Aussagesatz — die Phänomene zu verwischen geeignet ist: zwei Sachverhalte
lassen sich dennoch feststellen, die von diesen Divergenzen unberührt sind
und eben deshalb den Weg zu weiteren, bisher, so weit ich sehe, noch nicht
ins Auge gefaßten Verhältnissen und Problemen weisen.
Der erste dieser Sachverhalte ist weniger relevant. Er betrifft das schon
berührte Verhältnis von Urteilslogik und Grammatik, und zwar die einfache
Tatsache, daß, wenn überhaupt, diese sich nur für einen logisch-grammatischen
Moment begegnen: im Behauptungs- oder Aussagesatz. Von ihm aus trennen
sich Urteils- und Satzlehre sogleich wieder und gehen jede ihre eigenen Wege.
Die Urteilslehre befaßt sich mit den verschiedenen Arten von Urteilen außer
dem prädikativen; die Satzlehre baut sich zur Syntax aus und befaßt sich mit
Subjekt und Prädikat nicht als Form des Urteils, sondern als Teilen des Satzes
neben den anderen Satzteilen. Eben dieser Sachverhalt legt die von Ammann
unter anderem Gesichtspunkt aufgeworfene Frage nahe, ob die Begegnung von
prädikativem Urteil und Satz im »Aussagesatz« nicht eine bloße Scheinbegeg
nung ist und die Urteilsformel S ist p nur durch die grammatischen Satzteilnamen,
Subjekt und Prädikat, den Schein des Zusammenfallens mit dem Satz erhält.
Der zweite Sachverhalt hängt freilich mit diesem Verhältnis von Urteil und
Aussagesatz zusammen, ist aber für unser Problem von weit entscheidenderer
Bedeutung. Es handelt sich um die Lücke, die in Hinsicht auf das Problem der
Aussage zwischen Logik und Grammatik besteht und nun freilich erst von
44 H. Ammann, Die menschliche Rede, Bd. II: Der Satz, Lahr 1928, S. 125
45 Ebd., S. 123