Das theoretische Aussagesubjekt unterscheidet sich von dem historischen eben
durch die Qualität, die dieses charakterisiert. Es kommt bei ihm nicht auf die
individuelle Person an, die die Aussage macht. Der Lehrer, der den Satz »Der
Schüler schreibt« als grammatisches Beispiel ausspricht, ist ein theoretisches
Aussagesubjekt, während er als historisches fungiert, wenn der Satz eine
aktuelle Situation meint, an der er beteiligt ist, oder auch, je nach dem Akzent,
den er ihm gibt, als pragmatisches (wie wir unten beschreiben werden). Auf
schlußreich für den Unterschied und auch die möglichen Grenzfälle zwischen
dem historischen und theoretischen Aussagesubjekt ist dasjenige eines im enge
ren Sinne historischen Berichts, den wir deshalb als geschichtlichen kenn
zeichnen wollen. Dabei soll der Begriff geschichtlich selbst in einem relativ
umfassenden Sinn verstanden werden: von einem geschichtswissenschaft-
lichen Werk bis zum tagespolitischen Zeitungsbericht sowie auch jedes kunst-
und literaturgeschichtliche Dokument. Die Verfasser dieser Berichte oder
Darstellungen sind zweifellos bestimmte individuelle Personen, die mit ihrem
Namen zeichnen und deren Individualität für den Charakter des Berichteten,
also eines geschichts- oder literaturwissenschaftlichen Buches, von Bedeutung
ist. Dennoch sind sie keine historischen Aussagesubjekte, weil es auf ihre
individuellen Personen nicht ankommt; der Leser nimmt allein den Sachgehalt
auf, bezieht ihn nicht wie im Falle des Briefes auf den jeweiligen Verfasser. Der
Verfasser des sachwissenschaftlichen Werkes ist ein theoretisches Aussage
subjekt. Wenn der Fall eintritt, daß auf seine individuelle Person sich das Inter
esse richtet, etwa seine Lebenszeit, sein Parteistandpunkt für die Beurteilung
des Werkes wichtig sind, so bleibt er als Autor des Werkes doch ein theo
retisches Aussagesubjekt, wenn auch ein solches, das an eine individuelle
Person gebunden ist, deren Beschaffenheit von mehr oder weniger großem
Einfluß auf das Aussageobjekt sein kann. — Es verhält sich ähnlich, wenn
auch ein wenig modifiziert, bei den Aussagesubjekten philosophischer Werke.
Die besondere Individualität des Philosophen ist enger auf sein Werk, eben
seine Philosophie, bezogen als etwa der Autor eines geschichtswissenschaft
lichen Werks. Die individuelle Bestimmtheit des Philosophen ist identisch
mit der seiner Lehre selbst; seine Person ist nicht von dieser gelöst und sein
Name dient deshalb auch zur Bezeichnung seiner Philosophie. Keineswegs
kann man hier von einem Einfluß der Umstände des Aussagesubjekts auf
das Aussageobjekt sprechen wie im Falle des geschichtswissenschaftlichen
Autors.
Die Individualität des theoretischen Aussagesubjekts nimmt in dem Grade
ab, in dem das Aussageobjekt theoretisch, nämlich unbeeinflußt vom Aussage-
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