Full text: Die Logik der Dichtung

Stuarts nicht als ein fiktives Gebilde, die gemalte Maria nicht als fiktive Maria, 
wohl aber die Figur der Maria Stuart in Schillers Tragödie, während anderer 
seits die schottische Königin als Gegenstand einer historischen Darstellung 
die reale Königin selbst, d. h. als diese gemeint ist. Worauf beruht es, daß wir 
eine noch so realistisch-portraitähnlich gemalte Person nicht als fiktive Person, 
doch jede noch so surrealistisch gestaltete Dramen- oder Romanfigur als solche 
bezeichnen? Vaihinger und seine Nachfolger, wie u. a. E. Utitz, haben fälsch 
licherweise von Roman- und Dramenpersonen als fingierten Personen ge 
sprochen, wie denn Vaihinger überhaupt an der Bestimmung der ästhetischen 
Fiktion gescheitert ist, weil er in den Begriff der Fiktion nicht den Bedeu 
tungsunterschied von fingiert und fiktiv aufgenommen hat, d. h. Fiktion aus 
schließlich als Als Ob-Struktur aufgefaßt hat. Aber Schiller hat Maria Stuart 
nicht gestaltet, als ob sie die wirkliche wäre. Wenn wir sie, wenn wir eine jede 
Roman- und Dramenwelt dennoch als fiktive apperzipieren, so beruht das nicht 
auf einer Als Ob-Struktur, sondern, wie wir sagen können, auf einer Ais- 
Struktur. Unwillkürlich hat einmal Theodor Fontane diese Definition der 
literarischen Fiktion gegeben: »Ein Roman ... soll uns eine Geschichte er 
zählen, an die wir glauben«, und meinte damit, er soll uns »eine Welt der 
Fiktion auf Augenblicke als eine Welt der Wirklichkeit erscheinen lassen ...« 
In dieser unwillkürlichen, sozusagen naiven, nämlich durchaus dem Geiste 
des Naturalismus erwachsenen Definition (1875 anläßlich einer Rezension von 
G. Freytags »Ahnen«) 69 ist dennoch, und vielleicht nicht zufällig gerade des 
halb, die Seinsweise der literarischen, der epischen so gut wie der dramati 
schen, Fiktion präzise getroffen. Der Ausdruck »als Wirklichkeit erscheinen« 
bezeichnet sie mit jedem dieser drei Wörter. Er bedeutet, daß der Schein von 
Wirklichkeit erzeugt sei, und das heißt (über Fontanes Intention hinaus) 
Schein von Wirklichkeit auch dann, wenn es sich um eine noch so unwirkliche 
Dramen- oder Romanwelt handelt. Auch das Märchen erscheint als Wirklich 
keit, solange wir lesend oder zuschauend in ihm verweilen, doch nicht so, als 
ob es eine Wirklichkeit wäre. Denn das Als Ob enthält das Bedeutungsmoment 
der Täuschung, damit den Bezug auf eine Wirklichkeit, der eben deshalb im 
Konjunktiv irrealis formuliert ist, weil die Als Ob-Wirklichkeit nicht die 
Wirklichkeit ist, die sie vorgibt zu sein. Die Ais-Wirklichkeit aber ist Schein, 
Illusion von Wirklichkeit, und das heißt Nicht-Wirklichkeit oder Fiktion. Der 
Begriff der Fiktion im Sinne der Ais-Struktur aber ist einzig und allein erfüllt 
durch die dramatische und die epische Fiktion (die Er-Erzählung), wie auch 
69 Th. Fontane, Sämtl. Werke, Bd. XXI, München 1963, S. 239
	        
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