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präteritiven Form, die nicht mehr die Frage nach einem Wann möglich
werden läßt.
Dieses Stifter-Beispiel ist, wie nochmals ausdrücklich hervorgehoben sei,
für unser Problem nur aus dem Grunde so besonders instruktiv, weil seine
Erzählform es ermöglicht, das Präteritumproblem des fiktionalen Erzählens
geradezu in seiner Genesis aufzuzeigen. Diese Stelle enthält das paradox
anmutende Phänomen, daß das Präsens dem Bewußtsein des Vergangen
seins der geschilderten Zeit und Örtlichkeit Ausdruck gibt, das danach ein
tretende Präteritum »sagte« dagegen deren >Gegenwart<; denn es wird im
selben Augenblick seines Auftretens nicht mehr als vergangenheitsaussagend
empfunden, die nun präteritiv geschilderten Gestalten und Geschehnisse
>sind< >jetzt und hie«.
Die Verben der inneren Vorgänge
Keineswegs ist aber die Phänomenologie des epischen oder fiktionalen
Präteritums, und damit die des fiktionalen Erzählens, schon erschöpfend
erhellt. Bis jetzt wurde gezeigt, daß es seine Vergangenheitsfunktion verliert
und dies seine Ursache darin hat, daß die Zeit der epischen Handlung, d. h.
aber diese selbst, nicht auf eine reale Ich-Origo, ein >redendes< oder Aussage
subjekt bezogen ist, sondern auf die fiktiven Ich-Origines der Romangestalten.
Doch gilt es nun, die eigentliche Ursache dafür aufzudecken, daß wir eine
epische Handlung nicht als eine vergangene erleben, obwohl sie im Präteritum
erzählt ist.
Es mag richtig sein, daß Homer oder der Dichter des Nibelungenliedes
die Geschichten erzählen wollte, die als einmal geschehene im Bewußtsein
ihrer Völker lebten. Mit weit größerer Sicherheit aber läßt sich feststellen, daß
er sie nicht als einmal, sondern als »jetzt geschehene«erzählen wollte. Was uns dar
über belehrt, sind die Verben, derer sich der Epiker bedient. Wir unterscheiden
Verben der äußeren und Verben der inneren Vorgänge. Gehen, sitzen, stehen,
lachen, usw. sind Verben, die äußere Vorgänge bezeichnen, welche wir
sozusagen von außen an den Personen feststellen, die wir wahrnehmen
können. Sie dienen zu jeder Art von Beschreibung auch nicht-epischer Art.
Aber niemals kommt der Epiker mit diesen Verben aus. Er bedarf der Ver
ben der inneren Vorgänge wie denken, sinnen, glauben, meinen, fühlen,
hoffen u. a. m. Und er bedient sich ihrer in einer Weise, wie außer ihm kein —
mündlich oder schriftlich — Mitteilender, Erzählender tun kann. Denn
indem wir unsere psychologisch-logische Selbsterfahrung zu Hilfe nehmen