EINLEITUNG
BEGRIFF UND AUFGABE EINER LOGIK DER DICHTUNG
In der folgenden Arbeit wird der Versuch gemacht, aus dem Gebiete der
allgemeinen Dichtungsästhetik eine Logik der Dichtung herauszusondern.
Dies Verfahren muß zunächst darum als ein solches kenntlich gemacht wer
den, weil jede theoretische Erörterung der Dichtung, mit welchem ihrer vie
len Aspekte sie sich auch befaßt, zur Ästhetik der Dichtung rechnen kann.
Denn insofern Kunst Gegenstand der Ästhetik und nicht der Logik, Gebiet
des Gestaltens und nicht des Denkens ist, könnte die Rede von einer Logik
der Dichtung als überflüssig, ja geradezu als verwirrend erscheinen. Es ist
aber in der Sonderstellung der Dichtung im System der Kunst begründet,
daß dieser Unterschied dennoch gemacht werden kann, ja daß es eine Logik,
oder ein logisches System der Dichtung gibt.
Der Begriff einer Logik der Dichtung muß dabei in einem sozusagen mittel
baren Sinne verstanden werden. Er ist deshalb sinnvoll und legitim, weil es
eine Logik der Sprache gibt oder genauer der Begriff einer Sprachlogik in die
moderne Besinnung über die Logik des Denkens eingegangen ist 1 . In dieser
Anwendung kann Sprachlogik das Verhältnis der Denk- oder auch der Sach-
logik zur Sprache besagen, und zwar als einem »der vornehmsten Hilfsmittel
und Werkzeuge des Denkens«, wie schon J. St. Mill formuliert hat 2 . E. Husserl
statuiert deshalb die Notwendigkeit, »die Logik mit sprachlichen Erörterun
gen zu beginnen« 3 , und in einem noch umfassenderen Sinne ist es L. Wittgen
steins Problem, die Sprache auf ihre Fähigkeit hin zu prüfen, den Gedanken
überhaupt unverkleidet darzustellen, so daß für ihn Philosophie (nicht bloß
Logik im engeren Sinne) auf »Sprachkritik« zurückgeführt wird, die als solche
dann Sprachlogik ist. Wobei Wittgenstein betont, daß aus der Umgangs
1 Vgl. F. Schneider, Das Problem einer Sprachlogik, in: Zs. f. Philos. Forschung VII
(1953), H. 1
2 J. St. Mill, Logik, I. Buch, Kap. 1, § 1
3 E. Husserl, Logische Untersuchungen, II, 1, Halle 1928, S. 1