Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1874)

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Beilage 1. 
zur 1. ordentl. Versammlung. 
Uebersicht über den jetzigen Stand des Signalwesens aus den Eisenbahnen 
von 
Baurath Wrockmann. 
Schon in den ersten Jahren der Eisenbahnen hat man die 
Nothwendigkeit erkannt, die Züge vor besonderen ihnen drohenden 
Gefahren durch Signale zu schützen. Anfangs geschah dieses nur 
an besonders gefährlichen Punkten, nach und nach sind aber bei 
wachsender Frequenz die Signale immer häufiger geworden und 
hat sich allmählig oas Signalwesen zu einem förmlichen System 
ausgebildet, welches wohl auf den norddeutschen Bahnen am meisten 
entwickelt sein dürfte. Dieser Gegenstand hat gerade jetzt für die 
Württembergische Staatsbahn ein besonderes Interesse, da das 
deutsche Bahnpolizei-Reglement eine Reihe von Signalen vor 
schreibt, welche bisher hier nicht im Gebrauche waren, und jetzt 
eingeführt werden müssen. 
Die Gefahren, welche man mittelst der Signale abzuwenden 
bezweckt, sind von dreierlei Art, nämlich 
BÄl) es kann eine Gefahr dadurch entstehen, daß die Bahnwärter 
auf den Uebergängen die Barrierm nicht rechtzeitig schließen 
und daß dann der Zug auf Fuhrwerke oder Viehheerden 
stoßen kann, welche die Bahn kreuzen; 
2) 'es ist möglich, daß wenn 2 Züge in kurzen Zwischenräumen 
sich auf derselben Linie bewegen, der erste Zug aus irgend 
einer Ursache langsamer fahren oder anhalten muß und daß 
dann der nachfolgende Zug wegen besonderer Terrainver 
hältnisse oder ungünstiger Witterung den ersten nicht recht 
zeitig erblickt und auf ihn aufstoßt; 
3) es kann vorkommen, daß die Geleise eines Bahnhofes, in 
welche ein Zug, einzufahren hat, durch irgend welche auf 
dem Bahnhöfe vorzunehmende Manöver mit Zügen besetzt 
sind und daß dadurch die Gefahr eines Zusammenstoßes 
unvermuteter Weise für den einfahrenden Zug eintritt. 
Für die zuerst genannte, aus dem Unterlassen der rechtzeitigen 
Schließung der Barrieren entstehende Gefahr besteht auf den 
Württembergischen Bahnen kein besonderes Signal. Man mußte 
sich daher lediglich auf die Bahnwärter verlassen, welche nach 
Maßgabe des Fahrplans, also nach ihrer Uhr, die Züge zu erwar 
ten hatten. Der Uebelstand, daß bei Zugsverspätungen die Barrieren 
lange geschlossen bleiben müssen, ist thatsächlich ziemlich selten ein 
getreten, da die Wärter entweder einen solchen Standpunkt haben, 
oder unter Umständen sich denselben so wählen können, daß sie 
durch Gehör oder Gesicht das Herannahen des Zuges wahrnehmen 
und darnach das Geschlossenhalten der Barrieren auf einen kurzen 
Zeitraum beschränken können. Immerhin ist aber zuzugeben, daß 
das Herannahen der Züge nicht unter allen Umständen mit Sicher 
heit zu erkennen ist. Viele Bahnen haben daher zu diesem Zwecke 
von Anfang an optische Signale eingerichtet; es sind dieses be 
kanntlich hohe Masten mit beweglichen Flügeln, welche bei jedem 
Bahnwärter in solcher Weise aufgestellt sind, daß sie von dem 
Standpunkte des nächsten Wärters aus gut wahrgenommen wer 
den können. Ein beim Abfahren eines Zuges mit dem ersten 
Telegraphen gegebenes Signal pflanzt sich mit genügender Schnel 
ligkeit über die ganze Linie fort. Dieses System hat aber den 
Nachtheil, daß bei ungünstigem Wetter (Nebel, Schneegestöber, 
starkem Regen u. s. w.) die Signale nicht gut sichtbar sind und 
daß auch die Nachlässigkeit eines einzelnen Wärters das Durch 
laufen des Signals.durch die Linie verhindern kann. Man ist 
deshalb schon seit einer Reihe von Jahren zu den akustischen 
Signalen, d. h. zu den elektrischen Läutewerken übergegangen. 
Bei diesen werden die in der Nähe der Bahnwärter aufgestellten 
Uhrwerke mittelst eines elektrischen Stromes ausgerückt und lassen 
dann eine Zahl von Glockenschlägen ertönen. Auch diese Ein 
richtung zeigte früher verschiedene Mängel; sie war nicht ganz zu 
verlässig, wenn die zur Hervorbringung des Stromes dienende 
Batterie in ihrer Wirkung nachließ und dadurch an einzelnen 
Läutewerken die Auslösung nicht herbeiführte; andrerseits diese 
Auslösung so fein eingestellt war, daß ein schwacher Strom für 
sie genügte, so wurde sie zuweilen schon durch die Erschütterung 
vom vorbeifahrenden Zuge in Bewegung gesetzt; endlich kam es 
auch vor, daß die bei Gewittern stattfindende elektrische Spannung 
der Atmosphäre die Auslösung bewirkte. Alle diese Mißstände 
sind bei den neueren Apparaten vermieden; man benutzt nämlich 
zur Erzeugung des elektrischen Stromes jetzt den Induktionsapparat, 
welcher einen sich stets gleich bleibenden Strom von erheblicher 
Intensität giebt, und, um die durch atmosphärische Spannungen 
entstehenden Störungen zu vermeiden, hat man die Einrichtung 
getroffen, daß erst durch eine Reihe von wechselsweise positiven 
und negativen Strömen, welche übrigens sehr rasch auf einander 
folgen, die Auslösung eintreten kann. Es ist dieses das gleiche 
Prinzip, welches bei den elektrischen Uhren benutzt wird. Bei 
diesen kann nämlich eine Reihe gleichartiger Ströme, wie die at 
mosphärische Elektrizität sie nur bringen kann, höchstens für ein 
zelne Minuten den Zeiger zu früh zum Vorrücken bringen, im 
Allgemeinen aber den Gang der Uhren nicht stören, indem zum 
jedesmaligen Vorrücken stets ein dem vorhergehenden entgegenge 
setzter Strom erforderlich ist, so daß, wenn die atmosphärische 
Elektrizität den Zeiger zu frühzeitig vorstellen konnte, der folgende 
von der Uhr ausgehende Strom unwirksam bleiben muß und erst 
der nächste, ebenfalls von der Uhr ausgehende Strom, ihn weiter 
vorrücken kann. 
Die elektrischen Läutewerke und ihre Leitungen hat man auch
	        
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