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chem mich der Staatsminister Dr. Delbrück und einige andere
Würdenträger Theil nahmen. Die Vorbereitungen waren muster
haft und der Verlauf ein höchst glänzender. Gut gezeichnete Tisch
karten voll Humor und ebensolche Poetische Bescheerungen wurden
ausgetheilt, schwungvolle Toaste in nicht enden wollender Reihe
steigerten die ohnehin schon gehobene Stimmung, ein Festspiel „der
Berliner Baumensch" von dem Baumeister Hubert Stier erregte
ungeheure Heiterkeit und die Zwischenräume wurden von Anfang
bis zu Ende mit trefflicher Tafelmusik ausgefüllt, so daß schließlich
nichts zu wünschen übrig blieb, als ein frischer Kopf für den näch
sten Tag, der mit einer in je^er Hinsicht sehr gelungenen Excursion
nach Potsdam auch den geselligen Theil der General-Versamnilung
in schönster Weise abschloß. — An allen drei Versammlungstagen
fanden zwischen 1 und 5 Uhr je in drei Abtheilungen für Archi
tekten und in eben so vielen für Ingenieure Excursionen statt,
welche unter der planmäßigen und geschickten Führung von Mit
gliedern des dortigen Architekten-Vereins Gelegenheit boten, die
wichtigsten Sehenswürdigkeiten Berlins freilich nur im Fluge ken
nen zu lernen. — Den Abend des ersten Tages schloß ein Com-
mers unter dem Vorsitze des Baumeisters Böckmann in einem
gewaltigen Saale der „Norddeutschen Brauerei", bei dem Alles
darauf angelegt war, die ausgelassenste Heiterkeit hervorzurufen und
bis in die Morgenstunden zu erhalten. — Der mindest aufregende,
aber schönste Abend war oer des 24. Septembers im Zoologischen
Harten. Für diesen hatten unsere Berliner Kollegen mit eben so
viel Glück als Keckheit schon im Juli v. I. ein Mittag- oder
richtiger gesagt Abendessen im Freien bestimmt, und in der That
war der mondhelle Abend ungemein mild, einer der schönsten des
wunderschönen Herbstes im Jahr 1874. Nur diejenigen, die im
Freien keinen Tischplatz mehr erhalten konnten, zogen sich mit Be
dauern in den Saal zurück, verließen diesen aber so schleunig als
möglich wieder, um die inzwischen in dem malerisch angelegten
Garten in Scene gesetzte Beleuchtung zu genießen, welche, von den
Architekten deffelben Ende und Böckmann mit ächtem Künstler
gefühl angeordnet und geleitet, eine Menge bezaubernder Effekte
hervorbrachte, und die Theilnehmer daran erinnerte, daß sie nicht
blos ein Fest in der neuen Kaiserstadt, sondern ein Künstlerfest
begehen. — Wenn bis jetzt von der bei solchen Gelegenheiten üb
lichen Ausstellung von Entwürfen u. s. w. nicht die Rede war,
so hat dieses seinen Grund darin, weil man während der Ver-
sammluugstage keine Zeit finden konnte, dieselbe auch nur zu sehen,
geschweige denn zu studiren. Zu diesem Behufe mußte man nach
dem Schluffe der Versammlung noch einige weitere Tage verwen
den, was auch von einer sehr großen Zahl von Theilnehmern ge
schehen ist. Diese „Ausstellung von Entwürfen und Bau-Jndustrie-
Gegenstünden" fand in dem mehr als 120 m. langen und 25 m.
breiten Exerzierhaus-Saale in der Karlsstraße und auf dem an
stoßenden noch namhaft größeren Hofe statt. Sie war viel reich
haltiger als die 16 früheren Ausstellungen der „Wander-Ver-
sammlungen" zusammen genommen, und Betreffs der Entwürfe
deutschen Ursprungs auch der vorjährigen Wiener-Ausstellung
überlegen. Es lagen im Ganzen über 500 Entwürfe vor,
wovon viele meisterhaft dargestellt und durchgeführt waren. —
Die Zahl der Entwürfe aus dem Jngenieurfach war sehr er
heblich und die behandelten Gegenstände sehr mannigfaltig, aber
die Zahl der architektonischen Entwürfe war noch größer
und dieselben erstreckten sich nicht nur auf fast alle Gebäude-Gat
tungen, sondern auch auf eine große Mannigfaltigkeit von stilisti
schen Richtungen. Fast alle nach Ländern, Zeit und Material ver
schiedenen Stilschattirungen der Renaissance des 15., 16. und sogar
17. Jahrhunderts, nicht blos Italiens, sondern auch Frankreichs
und Deutschlands sind mit möglichster historischer Treue nachzuah
men gesucht worden, im Gegensatz gegen die Bestrebungen früherer
Zeiten, welche wohl Motive dieser historischen Bauweisen, aber in
modernem Zuschnitt zu verwerthen trachteten. In dieser Hinsicht
stehen jetzt viele Vertreter der Renaissance genau auf demselben
Standpunkt wie die Anhänger der mittelalterlichen Bauweisen und
es bekundet sich hierin eine Rückwirkung dieser letzteren auf jene.
— Auch die Menge der Entwürfe mittelalterlichen Stiles war sehr
groß, doch schloß sich die Mehrzahl der Frühgothik oder der Back-
steingothik des norddeutschen Tieflandes an. Im Allgemeinen kann
man sich nicht verhehlen, daß ebenso wie auf dem Gebiet des In
genieur-Wesens auch auf dem der Architektur in den letzten 20
Jahren große Fortschritte gemacht worden sind, daß es heute viel
mehr Architekten von einer auf breiten Studien und reicher Uebung
beruhenden künstlerischen Bildung gibt, und daß auch die Anhänger
bestimmter Richtungen jetzt nicht mehr so exclusiv sind, wie da
mals. Dieser nicht zu unterschätzende Aufschwung rührt zwar zum
großen Theil von der Hebung des Wohlstandes, gewiß aber eben so
sehr von der Wirkung des mehr und mehr auskommenden Sistems
der architektonischen Konkurrenzen her, und sicherlich ist der Ein
fluß dieser letzteren mindestens ebenso intensiv und förderlich, als
der der technischen Lehranstalten. — Die Ausstellung von Gegen
ständen der Bauindustrie war gleichfalls vielumfassend und schön
und mancher wird Geschäfts-Adressen von dort mitgenommen haben,
welche ihm in der Praxis von Nutzen sein können. Außerdem ist
zur Zeit der General-Versammlung die große ungemein reichhaltige
akademische Kunst-Ausstellung und das neue Gewerbemuseum ge
öffnet gewesen. Wer daran noch nicht genug hatte, dem standen
auch noch die K. Museen u. s. w. zur Verfügung. Gewiß wird
jeder aus Berlin geschieden sein mit bent Gefühl, daß die erste
General-Versammlung des Verbandes in jeder Hinsicht überraschend
gelungen war, daß ihm Belehrung und Genüsse aller Art in über
wältigender Fülle geboten worden sind, und daß mit der Erinne
rung an die schönen Tage auch die Dankbarkeit für Diejenigen
in ihm fortleben wird, welche ihm diese Genüsse mit so viel Auf
opferung als Geschick bereitet haben, — für die College» in
Berlin. —
Nach diesem ausführlichen, für alle Diejenigen, welche die
Berliner Versammlung nicht besuchen konnten, interessanten Referate
spricht der Vorsitzende Herrn v. Egle den Dank des Vereins aus.
Herr Oberbaurath Binder macht sodann aufmerksam, daß
die Restauration der Wandgemälde an der Giebelseite des alten
Landschafts-Gebäudes (derzeit für die Kammer der Standesherren
benützt) vollendet, das Gerüst entfernt und die Wiederherstellung
eine sehr gelungene sei, er erwähnt, wie dieselbe wesentlich einem
unserer Mitglieder — Herrn Baurath Spindler — zu danken
und wie sich derselbe hiedurch in hohem Grade verdient gemacht
und mit den ausführenden Künstlern, den Herren Malern Pil
gram und Leins sich den Dank des Vereines erworben habe.
Der Verein, das Erwähnte anerkennend, beschließt, es solle
der Vereins-Vorstand Herrn Spindler in obigem Sinne den