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nemlich einestheils die Last auf die gleiche Höhe gehoben werden
und dieser gleichen Arbeit werden die gleichen Kosten entsprechen,
anderntheils aber muß bei der zweiten Bahn ein größerer Weg
zurückgelegt werden und ist daher die für die Fortbewegung in
der Horizontalen nöthige Arbeit und die entsprechende Abnützung
eine größere, als bei der steileren Bahn. Daß bei der letzteren
sehr viel langsamer gefahren wird, darf nicht als Nachtheil be
trachtet werden, denn der zurückzulegende Weg ist auf ihr ein viel
kürzerer und man wird von einem Endpunkt zum andern, trotz der
langsameren Fahrt in der gleichen Zeit, wie auf der weniger steilen
Bahn gelangen. —
Ein für Gebirgsbahnen nicht gering anzuschlagender Vortheil
liegt bei dem Wetli-System auch darin, daß dasselbe von dem Zu
stande der Schienenoberfläche ganz unabhängig ist, da die Walze,
auch wenn die Oberfläche der Schienen durch Thau, Reif u. s. w.
noch so schlüpfrig sein sollte, niemals gleiten wird, sondern stets
die volle Zugkraft vermitteln kann.
Ueber die zu erwartenden Unterhaltungskosten des Wetli'schen
Oberbaues läßt sich wenig Bestimmtes sagen; nach dem Aussehen
der Probestrecke, auf welcher eine große Zahl von Versuchsfahrten
angestellt ist, zu urtheilen, wird die Abnutzung an den Leitschienen
keine bedeutende und eine durchaus gleichmäßige sein.
Einigermaßen schwierig wird die Unterhaltung der richtigen
Höhenlage der Bahn sein, da das gewöhnliche Verfahren mittelst
Unterstopfens (Krampens) der Querschwellcn durch die Leitschienen
sehr behindert ist; vielleicht wird sich dieser Schwierigkeit bei der
Anwendung eiserner Quer- oder Langschwellen leichter begegnen
lassen. Für den Betrieb wird endlich Wohl auch der Winter
Schwierigkeiten darbieten können, da die Entfernung des Schnee's
aus der Bahn viel umständlicher und zeitraubender, als bei der i
gewöhnlichen Construktion des Oberbaues sein wird. —
Zu einer Beurtheilung des Wetli-Systems gehört selbstver
ständlich eine Vergleichung mit anderen den gleichen Zweck verfol
genden und bereits ausgeführten Systemen. Es sind dieses das
auf der provisorischen über den Mont-Cenis führenden Bahn an
gewendete System Fell und das auf der Rigibahn benützte Zahn-
stangen-System. Bei dem ersteren System liegt bekanntlich in der
Mitte zwischen den gewöhnlichen Schienen, und zwar etwas höher
als diese, eine dritte Schiene, an welche von jeder Seite 2 hori
zontal liegende Räder so stark mittelst Federn angepreßt werden,
daß sie, wenn sie in Umdrehung gesetzt werden, nicht gleiten, son
dern die Maschine und mit derselben den Zug vorwärts bewegen.
Die nach diesem System ausgeführte Bahn war während des
Baues des Mont-Cenis-TunnelZ in regelmäßigem Betriebe, zeigte
aber keine erhebliche Leistungsfähigkeit und es waren die Lokomo
tiven, bei welchen die Bewegung der horizontalen Räder eine sehr
complicirte Construktion erforderlich machte!, häufigen Defekten un
terwerfen; die starken Pressungen, welche bei den horizontalen
Rädern unumgänglich nöthig sind, um ihr Gleiten zu verhüten.
erzeugen naturgemäß wegen der dabei entstehenden Reibungen große
Kraftverluste. Dabei scheint aus mehreren Versuchs-Resultaten her
vorzugehen, daß die Räder der Fell'schen Maschine während des
Ziehens unverhältnißmäßig stark gleiten, wodurch ebenfalls viel
Kraft verloren gehen muß, und es steht damit die starke Abnutzung
der drei Schienen, wie sie dem Vernehmen nach beobachtet ist, in
direktem Zusammenhange. Im Allgemeinen kann man wohl sagen
sind die Erfahrungen bei der Mont-Cenis-Bahn derartige ge
wesen, daß sie zu einer Nachahmung für ähnliche Fälle nicht ge
rade ermuthigen.
Das Zahnstangen-System ist bekanntlich bei der Rigibahn in
Anwendung gekommen und hat sich bei den dortigen Ausnahme-
Verhältnissen bewährt. Es ist zur Beförderung geringer Lasten
und für ganz kleine Fahrgeschwindigkeiten benutzt; für größere
Züge dürfte es schwer halten, die zwischen den Schienen liegende
Zahnstange und das in dieselbe eingreifende, an der Maschine an
gebrachte Zahnrad in solcher Weise zu construiren, daß es den auf
sie einwirkenden Kräften mit genügender Sicherheit widerstehen
kann. Bei der Anwendung einer großen Zugkraft wird der Ueber-
gang von einem Zahn zum andern wohl immer mit einem Stoße
verbunden sein und ist dabei immer die Tendenz zum vertikalen
Heben, also zum Entgleisen vorhanden. In beiden Beziehungen
gebührt dem Wetli-System ein entschiedener Vorzug, da der Ueber-
gang von einer Leitschiene zur andern viel weniger häufig erfolgt,
als der Nebergang von einem Zahn zum andern bei der Zahn
stange, da ferner dieser Uebergang in viel sanfterer Weise vor sich
geht und da endlich die Tendenz zum vertikalen Heben eine erheb
lich geringere ist. Ferner ist bei der Zahnstange der Kraftverlust
ein erheblich größerer als bei dem Wetli-System und ist endlich
noch anzuführen, daß ein starker Schneefall für den Betrieb einer
Zahnstangenbahn noch viel störender sein würde als für denjenigen
der nach dem Wetli-System gebauten Bahn.
Im Jahre 1869 haben im Aufträge des Schweizerischen
Bundesraths die Fach-Professoren des Polytechnikums in Zürich
ein Gutachten über das Wetli-System abgegeben. Dieses Gut
achten sagt, daß das System im Princip richtig und höchst ori
ginell sei, auf einer hohen Stufe der Vollkommenheit stehe und das
Zahnstangen-System weit übertreffe; in der Frage über die Kup
pelung der Triebräder mit der Schraubenwalze gehen die Ansichten
der einzelnen Professoren etwas auseinander, ebenso hinsichtlich der
muthmaßlichen Dauer und der Unterhaltungskosten des Oberbaues;
alle vier Experten jedoch, nämlich die Professoren Zeuner, Veith,
Pestalozzi und Culmann, kommen zu dem Schluffe, daß die
praktische Anwendung des Systems behufs dessen Erprobung dringend
zu empfehlen sei.
Nach dem oben Gesagten steht diese praktische Erprobung in
größerem Maßstabe in naher Aussicht und dürften daher die vor
stehenden Mittheilungen und Erörterungen für Ingenieure von eini
gem Interesse sein.