Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1874)

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nemlich einestheils die Last auf die gleiche Höhe gehoben werden 
und dieser gleichen Arbeit werden die gleichen Kosten entsprechen, 
anderntheils aber muß bei der zweiten Bahn ein größerer Weg 
zurückgelegt werden und ist daher die für die Fortbewegung in 
der Horizontalen nöthige Arbeit und die entsprechende Abnützung 
eine größere, als bei der steileren Bahn. Daß bei der letzteren 
sehr viel langsamer gefahren wird, darf nicht als Nachtheil be 
trachtet werden, denn der zurückzulegende Weg ist auf ihr ein viel 
kürzerer und man wird von einem Endpunkt zum andern, trotz der 
langsameren Fahrt in der gleichen Zeit, wie auf der weniger steilen 
Bahn gelangen. — 
Ein für Gebirgsbahnen nicht gering anzuschlagender Vortheil 
liegt bei dem Wetli-System auch darin, daß dasselbe von dem Zu 
stande der Schienenoberfläche ganz unabhängig ist, da die Walze, 
auch wenn die Oberfläche der Schienen durch Thau, Reif u. s. w. 
noch so schlüpfrig sein sollte, niemals gleiten wird, sondern stets 
die volle Zugkraft vermitteln kann. 
Ueber die zu erwartenden Unterhaltungskosten des Wetli'schen 
Oberbaues läßt sich wenig Bestimmtes sagen; nach dem Aussehen 
der Probestrecke, auf welcher eine große Zahl von Versuchsfahrten 
angestellt ist, zu urtheilen, wird die Abnutzung an den Leitschienen 
keine bedeutende und eine durchaus gleichmäßige sein. 
Einigermaßen schwierig wird die Unterhaltung der richtigen 
Höhenlage der Bahn sein, da das gewöhnliche Verfahren mittelst 
Unterstopfens (Krampens) der Querschwellcn durch die Leitschienen 
sehr behindert ist; vielleicht wird sich dieser Schwierigkeit bei der 
Anwendung eiserner Quer- oder Langschwellen leichter begegnen 
lassen. Für den Betrieb wird endlich Wohl auch der Winter 
Schwierigkeiten darbieten können, da die Entfernung des Schnee's 
aus der Bahn viel umständlicher und zeitraubender, als bei der i 
gewöhnlichen Construktion des Oberbaues sein wird. — 
Zu einer Beurtheilung des Wetli-Systems gehört selbstver 
ständlich eine Vergleichung mit anderen den gleichen Zweck verfol 
genden und bereits ausgeführten Systemen. Es sind dieses das 
auf der provisorischen über den Mont-Cenis führenden Bahn an 
gewendete System Fell und das auf der Rigibahn benützte Zahn- 
stangen-System. Bei dem ersteren System liegt bekanntlich in der 
Mitte zwischen den gewöhnlichen Schienen, und zwar etwas höher 
als diese, eine dritte Schiene, an welche von jeder Seite 2 hori 
zontal liegende Räder so stark mittelst Federn angepreßt werden, 
daß sie, wenn sie in Umdrehung gesetzt werden, nicht gleiten, son 
dern die Maschine und mit derselben den Zug vorwärts bewegen. 
Die nach diesem System ausgeführte Bahn war während des 
Baues des Mont-Cenis-TunnelZ in regelmäßigem Betriebe, zeigte 
aber keine erhebliche Leistungsfähigkeit und es waren die Lokomo 
tiven, bei welchen die Bewegung der horizontalen Räder eine sehr 
complicirte Construktion erforderlich machte!, häufigen Defekten un 
terwerfen; die starken Pressungen, welche bei den horizontalen 
Rädern unumgänglich nöthig sind, um ihr Gleiten zu verhüten. 
erzeugen naturgemäß wegen der dabei entstehenden Reibungen große 
Kraftverluste. Dabei scheint aus mehreren Versuchs-Resultaten her 
vorzugehen, daß die Räder der Fell'schen Maschine während des 
Ziehens unverhältnißmäßig stark gleiten, wodurch ebenfalls viel 
Kraft verloren gehen muß, und es steht damit die starke Abnutzung 
der drei Schienen, wie sie dem Vernehmen nach beobachtet ist, in 
direktem Zusammenhange. Im Allgemeinen kann man wohl sagen 
sind die Erfahrungen bei der Mont-Cenis-Bahn derartige ge 
wesen, daß sie zu einer Nachahmung für ähnliche Fälle nicht ge 
rade ermuthigen. 
Das Zahnstangen-System ist bekanntlich bei der Rigibahn in 
Anwendung gekommen und hat sich bei den dortigen Ausnahme- 
Verhältnissen bewährt. Es ist zur Beförderung geringer Lasten 
und für ganz kleine Fahrgeschwindigkeiten benutzt; für größere 
Züge dürfte es schwer halten, die zwischen den Schienen liegende 
Zahnstange und das in dieselbe eingreifende, an der Maschine an 
gebrachte Zahnrad in solcher Weise zu construiren, daß es den auf 
sie einwirkenden Kräften mit genügender Sicherheit widerstehen 
kann. Bei der Anwendung einer großen Zugkraft wird der Ueber- 
gang von einem Zahn zum andern wohl immer mit einem Stoße 
verbunden sein und ist dabei immer die Tendenz zum vertikalen 
Heben, also zum Entgleisen vorhanden. In beiden Beziehungen 
gebührt dem Wetli-System ein entschiedener Vorzug, da der Ueber- 
gang von einer Leitschiene zur andern viel weniger häufig erfolgt, 
als der Nebergang von einem Zahn zum andern bei der Zahn 
stange, da ferner dieser Uebergang in viel sanfterer Weise vor sich 
geht und da endlich die Tendenz zum vertikalen Heben eine erheb 
lich geringere ist. Ferner ist bei der Zahnstange der Kraftverlust 
ein erheblich größerer als bei dem Wetli-System und ist endlich 
noch anzuführen, daß ein starker Schneefall für den Betrieb einer 
Zahnstangenbahn noch viel störender sein würde als für denjenigen 
der nach dem Wetli-System gebauten Bahn. 
Im Jahre 1869 haben im Aufträge des Schweizerischen 
Bundesraths die Fach-Professoren des Polytechnikums in Zürich 
ein Gutachten über das Wetli-System abgegeben. Dieses Gut 
achten sagt, daß das System im Princip richtig und höchst ori 
ginell sei, auf einer hohen Stufe der Vollkommenheit stehe und das 
Zahnstangen-System weit übertreffe; in der Frage über die Kup 
pelung der Triebräder mit der Schraubenwalze gehen die Ansichten 
der einzelnen Professoren etwas auseinander, ebenso hinsichtlich der 
muthmaßlichen Dauer und der Unterhaltungskosten des Oberbaues; 
alle vier Experten jedoch, nämlich die Professoren Zeuner, Veith, 
Pestalozzi und Culmann, kommen zu dem Schluffe, daß die 
praktische Anwendung des Systems behufs dessen Erprobung dringend 
zu empfehlen sei. 
Nach dem oben Gesagten steht diese praktische Erprobung in 
größerem Maßstabe in naher Aussicht und dürften daher die vor 
stehenden Mittheilungen und Erörterungen für Ingenieure von eini 
gem Interesse sein.
	        

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