Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1876)

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der Pfeilerdicke, ungefähr proportional derselben, zunimmt. 
Aber auch die Rücksicht auf den Eisgang und sonstige schwim 
mende Körper dürfte eine besondere Verstärkrng nicht erfordern; 
vielmehr kommt es in dieser Beziehung wohl nur darauf an, 
daß die ankommenden Eisschollen durch die eisbrecherartig mit 
flachgeneigter Oberfläche konstruirten Pfeilerköpfe gehörig ab 
gewiesen oder zerbrochen werden. Als Beispiele von Brücken 
mit besonders starkem Eisgange wollen wir anführen: Die 
neue Dünabrücke zu Riga mit 86 Meter weiten Oeffnungen 
und 8,50 Meter über Null hohen Pfeilern,- welche bei ‘/so 
seitlichem Anlauf oben 3,20 Meter breit und aus rohem 
Bruchsteingemäuer in Cement mit Granitquaderverkleidung 
hergestellt sind, und welche dem Anprallen von 1 Meter dicken 
Eisschollen zu wiederstehen haben; ferner die Niemenbrücke zu 
Kowno, mit Oeffnungen von über 70 Meter (Erbkam 1863), 
deren Mittelpfeiler je aus einer Reihe von zwei den Brücken 
oberbau und zwei den Eisbrecher tragenden, mit Beton ge 
füllten gußeisernen Röhren von 3,16 Meter Durchmesser 
bestehen und offenbar viel weniger widerstandsfähig sind, 
als gleich dicke Steinpfeiler; endlich die Omaha-Brücke über 
den Missouri, mit 76 Meter weiten Oeffnungen und ebenso 
konstruirten Pfeilern, deren beide den Oberbau tragende Röhren 
bei 25 Meter Höhe über dem Flußbett nur 8 (7 Fuß engl. 
— 2,59 Meter Durchmesser haben, die dritte den Eisbrecher 
tragende Röhre- sogar noch dünner ist. 
In allen diesen Fällen würde man, wenn kein Eisgang 
stattfände, gewiß nicht die Pfeilerdicke vermindert, sondern nur 
die Eisbrecher weggelassen haben. 
Auch die übrigen Horizontalkräfte auf die Pfeiler, näm 
lich der Winddruck und der von den Temperaturveränderungen 
herrührende Schub- resp. Zug des Eisenoberbaues, sind bei 
niederen Pfeilern von keinem erheblichen Einfluß. Die letztere 
Kraft wirkt zwar nach der Pfeiler dicke, ist aber bei Anwen 
dung von Rollenlagern, die bei großen Brücken allgemein 
üblich und sehr zu empfehlen ist, nur ganz unbedeutend, und 
hebt sich überdies, bei discontinuirlichen Trägern, in ihrer 
Gesammtwirkung auf den Pfeiler von beiden Seiten auf. 
4) Nachdem wir das Maß von 2,50 Meter bis 3,00 Meter 
für die obere Pfeilerstärke bei größeren Tragweiten, bis zu 
100 Meter als hinreichend befunden haben, drängt sich nun 
die Frage auf, ob und wie weit man unter Umständen, ins 
besondere bei kleineren Tragweiten, noch unter dieses 
Maß hinabgehen darf. Die obige Methode, aus der Festigkeit 
der Steine die nothwendige Breite der Unterlagsplatten und 
daraus wieder die Pfeilerstärke zu bestimmen, ist hiebei nicht 
mehr anwendbar, weil man auf diese Weise unpraktisch kleine 
Dimensionen erhalten würde, und so schlanke Pfeiler unter 
Umständen, namentlich bei continuirlichen Trägern ohne Rollen 
auflager, welche letztere ja bei kleinen Tragweiten oft weg- 
gelasien werden, dem Temperaturschube nicht sicher zu wider 
stehen vermöchten. Wir haben daher hiebei uns vorzugsweise 
nach der Erfahrung gerichtet, und insbesondere in den von 
Etzel und Presse! aufgestellten Normalplänen und den nach 
diesen in der Schweiz und Oesterreich ausgeführten Eisenbahn 
brücken lehrreiche Anhaltspunkte gefunden, aus welchen wir 
die folgende, freilich nicht auf große Genauigkeit Anspruch 
machende Scala für die Abnahme der Pfeilerstärke mit der 
Weite der Oeffnungen abgeleitet haben: 
Tragweite 
von M. zu M. 
Obere Pfeilerstärke. 
50 bis 100 Meter. 
2,50 bis 3 Meter. 
40 Meter. 
2,20 Meter. 
30 „ 
1,90 „ 
20 „ 
1,60 „ 
10 „ 
1,30 ‘ „ 
Eine theoretisch genaue Begründung dieser geringeren 
Stärken ist um so schwieriger, je kleiner die Tragweite; die 
rückwirkende Materialfestigkeit wird dabei nur unvollständig 
ausgenützt und es kommen, ähnlich wie bei den Mauerstärken 
im Hochbau, gewisse nicht durch Formeln ausdrückbare Rück 
sichten der allgemeinen Stabilität, des Mauerverbandes rc., 
wesentlich mit in Betracht, sowie auch die Art des Verkehrs 
über der Brücke, ob Straße oder Eisenbahn. In besonders 
günstigen Fällen, z. B. bei Wegbrücken über Eisenbahnein 
schnitte, also ohne Stromangriff, wird man mit der oberen 
Pfeilerdicke bis auf 1 Meter, vielleicht auch noch tiefer hinab 
gehen können. Sind doch z. B. die 7,25 Meter von einander 
abstehenden, 4,70 Meter hohen, gemauerten Mittelstützen für 
die, den Straßenverkehr tragende, aus Eisen konstruirte 
Decke der unterirdischen Eisenbahn zu New-Iork, ihrer ganzen 
Höhe nach nur 50 cm. stark. (S. u. A. Oppermann, 
März 1876.) 
5) Alle vorstehenden Angaben können im Allgemeinen 
auch für den oberen Theil von hohen Viaductpfeilern 
als giltig angenommen werden bis zu einer Tiefe hinab, wo 
die für das angewendete Mauerwerk zulässige Grenzbelastung 
stattfindet, und bei deren Bestimmung auch auf die Horizontal 
kräfte, namentlich den Winddruck, Rücksicht zu nehmen ist. 
Von da aus abwärts muß ein entsprechender Anlauf gegeben 
werden, den man am rationellsten nach unten in der Weise 
zunehmen läßt, daß jene Grenze in allen Horizontalschnitten 
möglichst eingehalten wird, wodurch das bekannte, nach außen 
concave Pfeilerprofil entsteht. 
Stuttgart, Anfang Mai 1876. 
Hänel. 
Laißle. 
Binder. 
Kn oll. 
Beilage 3 
zur 10. ordentl. Versammlung. 
Aeferal 
über die von dem Architekten- und Ingenieur-Verein für Niederrhein und Westphalen gestellte Frage: 
Welche Fortschritte hat im Bereiche der einzelnen Vereine des Verbandes 
die Ausführung der Gebäude im reinen Konstruktionsbau (ohne Verputz) 
in den letzten Jahren gemacht und in welchem Zusammenhang hiermit 
steht die Vervollkommnung der Ziegelfabrikation sowie die Erleichterung 
des Transportes auf den Eisenbahnen? 
Die auf dem Gebiete des Hochbauwesens in den letzten großartige und für die Entwickelung der neueren Architektur 
15—20 Jahren hinsichtlich des reinen Konstruktionsbaues ge- als wesentlich maßgebende bezeichnet werden, sofern die während 
machten Fortschritte müssen, wie wohl allgemein bekannt, als dieser Zeit wiedererwachter Erkenntniß, die bei Ausführung
	        
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