Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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welches in den vorhergehenden Wochen besonders übel gelaunt 
war, goß an diesem Tage alle Herrlichkeiten des lang vermiß 
ten Frühlings in reichster Fülle iiber uns aus und trug we 
sentlich zürn guten Gelingen des Ausfluges bei. — Ein halb 
stündiger Aufenthalt in Heilbronn genügte zur Besichtigung 
der schönen Bahnhvfgebäude, einer gelungenen Arbeit unseres 
zu früh dahin geschiedenen Vereinsmitgliedes Schurr. Nach 
der um 10 Uhr erfolgten Ankunft in Jagstfeld gingen wir 
alsbald zu Fuße nach dem Mathildenbad in Wimpfen am Berg, 
ivo ein willkommenes Gabelfrühstück für uns bereit stand. 
Nachdem das Klappern des Tischqeräthes zu verklingen be-. 
gann, hielt der Schreiber dieses Berichtes einen kurzen, zur 
Orientirung bestimmten Vortrag über die Geschichte und künst 
lerischen Sehenswürdigkeiten Wimpfens, zu deren Besichtigung 
man auch sofort schritt, nachdem Herr Professor Dr. Schäfer 
aus Darmstadt zuvor noch in gewandter Rede einige ergän 
zende Bemerkungen dem eben erwähnten Vortrage beigefügt 
hatte. Die schönen spätromanischen Arkaden in der 
jetzigen Stadtmauer — welche mit dem umgebenden Quaderge 
mäuer einen der besterhaltenen Theile der auf der östlichen 
Spitze der Bergstadt, hoch über dem Neckar gelegenen Ueber 
reste der ehemaligen Pfalz der hohenstausischen Kaiser bilden — 
hatten wir schon bei dem Gang nach dem Mathildenbad be 
sichtigt. Nach dem Frühstücke gieng deßhalb unsere Wanderung 
nach der zunächstliegenden Stadtkirche, mit einem aus der 
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammenden einfachen 
frühgothischen Chore und einem in spätest gothischer Zeit 
(1492) errichteten in mehrfacher Hinsicht recht interessanten 
hallenförmigen Schiffbau, dessen Netzgewölbe auf doppelt ge 
krümmten Rippen ruhen. Die östliche Wand des nördlichen 
Seitenschiffes ist mit einenr im 16. Jahrhundert entstandenen, 
später übertünchten aber neuerdings wieder aufgedeckten und gut 
restaurirten, sehr beachtenswerthen Freskobilde — das jüngste 
Gericht darstellend — geschmückt. Von den Einrichtungsstücken 
haben die zwei geschnitzten und gemalten Altäre aus dem An 
fange des 16. Jahrhunderts, an denen die Renaissance sich 
bereits bemerkbar macht und besonders das um 1530 in auf 
fallend reinem, fast italienischem Renaissancestyl gefertigte 
Chorgestühl unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise gefesselt. 
Zur Besichtigung der alten Kelche und Hostienkästchen sind nur 
wenige von uns gekommen. Dagegen wurde die bekannte süd 
westlich neben der Kirche stehende Calvarienberg-Gruppe 
aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, theils wegen ihrer 
plastischen Schönheit, theils wegen des Materials, aus welchem 
die Figuren bestehen, einer genauen Untersuchung unterzogen; 
wobei wir nach längerer Besprechung zu der Ueberzeugung ge 
langten, daß fragliches Material nicht etwa Stuck sei, wie schon 
vermuthet worden ist, sondern ein sehr weicher und feinkörniger 
Stein (Kalkstein?). -- Von da gieng unser Zug nach der 
Donlinikanerkirche, ebenfalls mit einem frühgothischen, 
1273 begonnenen Chor und einem Schiffbau aus dem vorigen 
Jahrhundert. Dicht daneben ist der höchst interessante, zum 
Theil noch frühgothische Krenzgaug, welcher der hessischen 
Regierung behufs der Erhaltung — nicht Restauration — zu 
empfehlen wäre. Nach einer genauen Besichtigung desselben 
wanderten wir durch die malerischen Gäßchen mit ihren alten 
Bürgerhäusern zum „Steinhaus", ferner zur spätromanischen 
sog. Kapuzinerkirche, jetzt in ein Wohnhaus umgewandelt, 
und zum „rothen Thurme". Diese drei letztgenannten Bau 
ten liegen nahe beisammen und sind Ueberreste von der ehe 
maligen Kaiser-Pfalz. Die äußerlich noch ziemlich erhaltene 
Kapuzinerkirche (Palastkapelle) grenzt an die oben erwähnten 
prächtigen romanischen Arkaden und ist mit diesen augenschein 
lich gleichaltrig. Der rothe Thurm zeigt in seinen unteren 
Theilen eine ganz vorzüglich pünktliche Ausführung. Gleich 
wohl ist er, wie die übrigen Theile des ehemaligen Palastes 
auch erst im 12. Jahrhundert entstanden, also nicht römisch, 
j wie andere vermuthet haben. Für seinen mitteralterlichen Ur- 
sprung sprechen die Art des Randbeschlages der Quader und die 
Ueberreste eines romanischen Kamins in seinem Innern. - 
| Hiemit war der Rundgang in der Bergstadt zu Ende und 
! es gieng jetzt thalwärts. In einer Viertelstunde waren wir 
i vor der in architektonischen Kreisen rühmlich bekannten, dem 
I heiligen Petrus geweihten Kirche d es Augustiner-Ritter 
stiftes zu Wimpfen im Thal, das erst im Anfang dieses 
Jahrhunderts aufgehoben worden ist. Ueber dieses für die 
Geschichte der Einführung des gothischen Baustyles in Deutsch 
land so besonders wichtige Bauwerk hat der Schreiber dieser 
Zeilen bereits vor zwei Jahren in unserem Verein einen 
Vortrag gehalten, welcher in den Vereinsprotokollen enthalten 
ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird darauf ver- 
> wiesen und nur noch beigefügt, daß genannte frühgothische 
Kirche mit dem daranstoßenden Kreuzgang den Schwerpunkt 
unserer diesmaligen Exkursion bildete und uns wohl eine 
Stunde lang anregend beschäftigte. Wir besichtigten darnach 
nur noch die außerhalb des Städtchens gelegene spätgolhische 
Cornelienkirche mit einem schönen „englischen Gruße" im 
Tympanon des nördlichen Seitenportals und giengen dann 
mit beschleunigten Schritten in das nahe Badhotel nach Jagst 
feld, wo Abends 4 Uhr unseren durch lange Wanderung ge 
schärften Appetit eine wohlbestztzte Mittagstafel kunstgerecht 
stillte. Allseitige lebhafte Unterhaltung und bald auch Toaste 
würzten das Mahl. Der erste davon galt gebührendermaßen 
! unserem eifrigen Vorstand, welcher Tages zuvor die sehr interes- 
^ saute und reiche Ausstellung von Plänen des Jngenieurfaches 
eröffnet hatte; der zweite den liebenswürdigen Damen, welche 
j unserem Aus finge durch ihre Theilnahme eine höhere Weihe 
i verliehen hatten; der dritte unseren lieben Gästen aus Darmstadt, 
in deren Land wir an diesem Tage selbst Gäste gewesen waren, 
und der vierte endlich dem Cicerone und zumaligen Chronisten 
! der Exkursion. Bald nach 5 Uhr lud die Bahnhofglocke unsere 
j Darmstädter Gäste — zu früh für uns — zur Heimreise ein. 
Doch mußten wir selbst die unsrige bald vor 6 Uhr auch an 
treten. Wie der ganze bisherige Tag, so war auch die Heim 
reise von der heitersten Laune aller Theilnehmer und vom 
! besten Wetter begleitet, und wenn auch kein Thau mehr auf 
den blumigen Wiesen erglänzte, und Geist und Gemüth trotz 
; aller Lust nicht mehr so morgenfrisch bei der Heimfahrt waren, 
; wie bei der Ausfahrt, so gieng uns allen der schöne Tag doch 
dermaßen zu früh zu Ende, daß nicht wenige ihn in heiterer 
Geselligkeit noch bis tief in die Nacht hinein verlängerten. 
! Alle schieden mit dem aufrichtigen Wunsche, daß jede künftige 
. Vereinsexkursion eben so gut gelingen möchte wie diese. 
Egle. 
Protokoll 
über 
die am 26. August 1877 stattgehabte Exkursion des Vereins für Baukuude an den Remsviadukt bei Nenstädtle, 
sowie ins Nenstädtle bei Waiblingen. 
Die Exkursion des Sommers 1877 war auf einen Sonn 
tag Nachmittag beschränkt, und vereinigte 22 Mitglieder des 
Vereins, 11 Damen der Vereinsmitglieder und 2 Gäste in 
den freundlichen Garten- und Wirthschaftsräumen des sallbe- 
kanuten Bades Neustädtle. Der Zug 3 Uhr 8 Min. brachte 
die Gesellschaft nach Waiblingen, dessen neu angelegter Bahn 
hof eine kurze Besichtigung einzelner Mitglieder fand, worauf 
man durch die vielgewundenen Straßen der alten Hohenstaufen-
	        
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