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Beilage I
zur I. ordentl. Versammlung.
Auszug
aus
dem Vortrag des Oberbaurachs o. Ggle
über
das Kloster Kirsau.
In Kürze ist daraus Folgendes mitzutheilen:
Schon 645 wurde von einer reichen Wittwe Helizena
aus dem Geschlechte der Grafen von Calw eine kleine Kirche
und ein Haus für vier froinme Personen in Hirsau erbaut.
In der darauf bezüglichen Urkunde ist auch einer Nikolaus-
Kapelle in Calw gedacht und da wir von früheren Kirchen
bauten in Württeinberg keinerlei Nachrichten haben, so ist an
zunehmen, daß die beiden genannten zu den ersten unseres
Landes gehören. — Um 830 wurde sodann von dem Grafen
Crlafried von Calw auf Betreibung des Bischofs Nottung
von Vercelli, der ebenfalls ein Graf von Calw, und wahr
scheinlich des ersteren Bruder ivar, in Hirsau ein Benediktiner-
Kloster gestiftet und nahe bei der Helizena-Kapelle in einer
Niederung auf dem rechten Nagoldufer erbaut. 838 wurde
die dem heiligen Aurelius gewidinete Klosterkirche durch den
Erzbischof Otgar von Mainz eingeweiht, nachdem das Kloster
vorher schon mit 16 Benediktinern, welche der berühmte Abt
des Klosters Fulda, Rabanus Maurus, gesandt hatte, besetzt
worden war. Sie bestand ohne Zweifel blos aus Holz und soll
nach der Beschreibung „geräumig aber ohne Säulen" ge
wesen sein. Jedenfalls rühren die jetzigen Ueberreste nicht
van ihr her. Das Kloster blühte rasch auf und gelangte schon
im zehnten Jahrhundert durch die damit verbundene Kloster
schule zu hohem Ruhm. Ende desselben Jahrhunderts war
die Zahl der Mönche auf 70—80 gestiegen. Um 1003 wurden
die Klostergüter von den Grafen von Calw an sich gerissen
und die Mönche verjagt. Urkundlichen Nachrichten zufolge sind
danach Kirche und Klostergebäude zerfallen, „die Altäre waren
der Witterung blosgestellt und innerhalb der dachlosen Mauern
weidete das Vieh". Nachdem jedoch das Kloster 47 Jahre
leer gestanden hatte, befahl Papst Leo IX. 1050, bei seinem
damaligen Aufenthalt in Calw, seinem Neffen beut Grafen
Adalbert von Calw, das Kloster Hirsau wieder in seinen
früheren Stand herzustellen, was dieser nach langer Zögerung
1066 durch Berufung eines Abtes mit 12 Benediktinern aus
Einsiedeln endlich auch bewerkstelligte. 1071, also 5 Jahre
später, wurde die „wiederhergestellte" Kirche eingeweiht, nach
dem von .1069 an der hochberühmte und glänzend begabte
Wilhelm Abt des Klosters Hirsau geworden war. Unter
seiner Regierung nahm dasselbe einen raschen und fast un
glaublich großen Aufschwung. Er gründete das Institut der
Laienbrüder, welche im Kloster lebten und demselben als Hand
werker aller Art: Steinmetzen, Maurer, Zimmerer, Schreiner,
Schiniede rc. dienten und namentlich die Klosterbanten nach
Angaben baukundiger Mönche ausführten. Zwischen 1080
und 1090 zählte Hirsau >50 Mönche, 60 Laienbrüder und 50
sogen. Oblaten d. h. gewöhnliche Arbeiter, Knechte rc., im
Ganzen also 260 Personen. Das wiederhergestellte Kloster
erwies sich deshalb schon nach wenigen Jahren als so unzu
reichend, daß der Abt Wilhelm sich entschloß, nahe dabei auf
einer Anhöhe am rechten Nagoldufer ein größeres Kloster
mit einer dem heiligen Petrus geweihten Kirche zu gründen.
Dieses Kloster wurde von 1083—1092 vollständig von den
Mönchen, Laienbrüdern und Oblaten des Klosters erbaut und
bei ihrer großen Zahl hat die kurze Bauzeit von nur 9 Jahren
nichts unwahrscheinliches, obschon die gewaltige aber sehr ein
fache Kirche, von der nur noch die Umfassungsmauern auf
2—3 m - Höhe aufrecht stehen, sehr solid und sorgfältig, dabei
vollständig in Stein ausgeführt worden ist. Das neue Kloster
ward 1092 von den Mönchen bezogen. Nur 12 davon blieben
unter einem Prior im ältern Kloster auf dein rechten Nagold
ufer zurück. — Die Ueberreste der Kirche dieses letzteren sind
derinalen in Privatbesitz und seit 1585 dergestalt in ein Ma
gazin umgewandelt, daß man beim Vorübergehen nichts von
ihrer ursprünglichen Bestimmung mehr erkennen kann. Erst
wenn man das Innere betritt, sieht man sofort, daß man im
Schiff einer romanischen Säulenbasilika ist. Krieg von Hoch-
felden gibt davon im „Anzeiger für Kunde des deutschen
Mittelalters, herausgegeben von Freiherrn v.'Aufseß" Jahr
gang 1835 eine ausführliche Beschreibung, welche seither von
allen Archäologen und Kunstschriftstellern, die dieses Baues
erwähnt haben, benützt worden ist. Während aber Krieg von
Hochfelden diese Ueberreste dem Baue von 838 zuschreibt, haben
die auf seine Beschreibung sich stützenden späteren Schriftsteller
Kugler, Otte rc., solche in das 12. Jahrhundert vorgerückt,
weil Krieg von Eckknollen an den Säulenbasen gesprochen
hat, welche aber thatsächlich gar nicht vorhanden, sondern von
dem sonst hochverdienten Forscher nur vermuthet worden sind.
Die Säulenfüße waren nemlich damals, wie noch heute, theils
ganz theils bis auf die Anfänge des oberen Wulstes von dein
jetzigen gepflasterten Magazinsboden bedeckt. Der Vortragende
hat drei davon ausgraben lassen und von Eckknolleu keine
Spur, wohl aber zwischen dem unteren Wulste und der Plinte
eine Lagerfuge gefunden, deren Vorhandensein an sich schon
die Eckknollen ausschließt. Auch an den kleinen Wandsäulchen
der Seitenschiffmauern, welche immer zu Tag standen und die
also auch im Jahr 1835 hätten besichtigt werden können,
fehlen die Eckknollen und ist die erwähnte entscheidende Lager-
fuge vorhanden. Abgesehen davon, ist aber auch die Form
der Säulenfüße, die Beschaffenheit des Mauerwerks und Anderes
von der Art, daß es bedenklich erscheint, die fraglichen Reste
kurzweg in das 12. Jahrhundert herauszurücken. Der Vor
tragende hat deshalb eine genauere Nachforschung für nützlich
erachtet und dabei in einem nördlich an das Schiff angebauten
Hause aus dem 16. Jahrhundert sofort Ueberreste von Mauern
entdeckt, deren Struktur in jeder Hinsicht den alten Theilen
der Seitenschiffmauern entspricht und welche er als Reste der
nördlichen Querhallenmauern erkannte. Um hiefür triftige
Beweise zn erhalten, veranlaßte er den zufällig auch dort an
wesenden Herrn Landes-Konservator Professor Dr. Paulus
in dem anstoßenden Garten an entsprechender Stelle der Süd
seite nachgraben zu lassen, wobei in geringer Tiefe unter der
Grasnarbe die unteren Theile und die Fundamente der süd
lichen Querhalle und weiterhin auch diejenigen der Chormauern
in bester Erhaltung gefunden wurden. Die damals — im
Juli 1876 — von Zeichnern des Vortragenden gemachten
Aufnahmen und Vermessungen zeigten sich aber beim genauen
Aufzeichnen und insbesondere bei den Versuchen, den früheren
Zustand der Kirche im Einzelnen möglichst genau zu ermitteln,
in einigen Punkten als unzureichend, weshalb der Vortragende
Anfang Novembers desselben Jahres unter seiner persönlichen
Leitung sämmtliche Chormauern nochmals und vollständiger