Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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Beilage I 
zur I. ordentl. Versammlung. 
Auszug 
aus 
dem Vortrag des Oberbaurachs o. Ggle 
über 
das Kloster Kirsau. 
In Kürze ist daraus Folgendes mitzutheilen: 
Schon 645 wurde von einer reichen Wittwe Helizena 
aus dem Geschlechte der Grafen von Calw eine kleine Kirche 
und ein Haus für vier froinme Personen in Hirsau erbaut. 
In der darauf bezüglichen Urkunde ist auch einer Nikolaus- 
Kapelle in Calw gedacht und da wir von früheren Kirchen 
bauten in Württeinberg keinerlei Nachrichten haben, so ist an 
zunehmen, daß die beiden genannten zu den ersten unseres 
Landes gehören. — Um 830 wurde sodann von dem Grafen 
Crlafried von Calw auf Betreibung des Bischofs Nottung 
von Vercelli, der ebenfalls ein Graf von Calw, und wahr 
scheinlich des ersteren Bruder ivar, in Hirsau ein Benediktiner- 
Kloster gestiftet und nahe bei der Helizena-Kapelle in einer 
Niederung auf dem rechten Nagoldufer erbaut. 838 wurde 
die dem heiligen Aurelius gewidinete Klosterkirche durch den 
Erzbischof Otgar von Mainz eingeweiht, nachdem das Kloster 
vorher schon mit 16 Benediktinern, welche der berühmte Abt 
des Klosters Fulda, Rabanus Maurus, gesandt hatte, besetzt 
worden war. Sie bestand ohne Zweifel blos aus Holz und soll 
nach der Beschreibung „geräumig aber ohne Säulen" ge 
wesen sein. Jedenfalls rühren die jetzigen Ueberreste nicht 
van ihr her. Das Kloster blühte rasch auf und gelangte schon 
im zehnten Jahrhundert durch die damit verbundene Kloster 
schule zu hohem Ruhm. Ende desselben Jahrhunderts war 
die Zahl der Mönche auf 70—80 gestiegen. Um 1003 wurden 
die Klostergüter von den Grafen von Calw an sich gerissen 
und die Mönche verjagt. Urkundlichen Nachrichten zufolge sind 
danach Kirche und Klostergebäude zerfallen, „die Altäre waren 
der Witterung blosgestellt und innerhalb der dachlosen Mauern 
weidete das Vieh". Nachdem jedoch das Kloster 47 Jahre 
leer gestanden hatte, befahl Papst Leo IX. 1050, bei seinem 
damaligen Aufenthalt in Calw, seinem Neffen beut Grafen 
Adalbert von Calw, das Kloster Hirsau wieder in seinen 
früheren Stand herzustellen, was dieser nach langer Zögerung 
1066 durch Berufung eines Abtes mit 12 Benediktinern aus 
Einsiedeln endlich auch bewerkstelligte. 1071, also 5 Jahre 
später, wurde die „wiederhergestellte" Kirche eingeweiht, nach 
dem von .1069 an der hochberühmte und glänzend begabte 
Wilhelm Abt des Klosters Hirsau geworden war. Unter 
seiner Regierung nahm dasselbe einen raschen und fast un 
glaublich großen Aufschwung. Er gründete das Institut der 
Laienbrüder, welche im Kloster lebten und demselben als Hand 
werker aller Art: Steinmetzen, Maurer, Zimmerer, Schreiner, 
Schiniede rc. dienten und namentlich die Klosterbanten nach 
Angaben baukundiger Mönche ausführten. Zwischen 1080 
und 1090 zählte Hirsau >50 Mönche, 60 Laienbrüder und 50 
sogen. Oblaten d. h. gewöhnliche Arbeiter, Knechte rc., im 
Ganzen also 260 Personen. Das wiederhergestellte Kloster 
erwies sich deshalb schon nach wenigen Jahren als so unzu 
reichend, daß der Abt Wilhelm sich entschloß, nahe dabei auf 
einer Anhöhe am rechten Nagoldufer ein größeres Kloster 
mit einer dem heiligen Petrus geweihten Kirche zu gründen. 
Dieses Kloster wurde von 1083—1092 vollständig von den 
Mönchen, Laienbrüdern und Oblaten des Klosters erbaut und 
bei ihrer großen Zahl hat die kurze Bauzeit von nur 9 Jahren 
nichts unwahrscheinliches, obschon die gewaltige aber sehr ein 
fache Kirche, von der nur noch die Umfassungsmauern auf 
2—3 m - Höhe aufrecht stehen, sehr solid und sorgfältig, dabei 
vollständig in Stein ausgeführt worden ist. Das neue Kloster 
ward 1092 von den Mönchen bezogen. Nur 12 davon blieben 
unter einem Prior im ältern Kloster auf dein rechten Nagold 
ufer zurück. — Die Ueberreste der Kirche dieses letzteren sind 
derinalen in Privatbesitz und seit 1585 dergestalt in ein Ma 
gazin umgewandelt, daß man beim Vorübergehen nichts von 
ihrer ursprünglichen Bestimmung mehr erkennen kann. Erst 
wenn man das Innere betritt, sieht man sofort, daß man im 
Schiff einer romanischen Säulenbasilika ist. Krieg von Hoch- 
felden gibt davon im „Anzeiger für Kunde des deutschen 
Mittelalters, herausgegeben von Freiherrn v.'Aufseß" Jahr 
gang 1835 eine ausführliche Beschreibung, welche seither von 
allen Archäologen und Kunstschriftstellern, die dieses Baues 
erwähnt haben, benützt worden ist. Während aber Krieg von 
Hochfelden diese Ueberreste dem Baue von 838 zuschreibt, haben 
die auf seine Beschreibung sich stützenden späteren Schriftsteller 
Kugler, Otte rc., solche in das 12. Jahrhundert vorgerückt, 
weil Krieg von Eckknollen an den Säulenbasen gesprochen 
hat, welche aber thatsächlich gar nicht vorhanden, sondern von 
dem sonst hochverdienten Forscher nur vermuthet worden sind. 
Die Säulenfüße waren nemlich damals, wie noch heute, theils 
ganz theils bis auf die Anfänge des oberen Wulstes von dein 
jetzigen gepflasterten Magazinsboden bedeckt. Der Vortragende 
hat drei davon ausgraben lassen und von Eckknolleu keine 
Spur, wohl aber zwischen dem unteren Wulste und der Plinte 
eine Lagerfuge gefunden, deren Vorhandensein an sich schon 
die Eckknollen ausschließt. Auch an den kleinen Wandsäulchen 
der Seitenschiffmauern, welche immer zu Tag standen und die 
also auch im Jahr 1835 hätten besichtigt werden können, 
fehlen die Eckknollen und ist die erwähnte entscheidende Lager- 
fuge vorhanden. Abgesehen davon, ist aber auch die Form 
der Säulenfüße, die Beschaffenheit des Mauerwerks und Anderes 
von der Art, daß es bedenklich erscheint, die fraglichen Reste 
kurzweg in das 12. Jahrhundert herauszurücken. Der Vor 
tragende hat deshalb eine genauere Nachforschung für nützlich 
erachtet und dabei in einem nördlich an das Schiff angebauten 
Hause aus dem 16. Jahrhundert sofort Ueberreste von Mauern 
entdeckt, deren Struktur in jeder Hinsicht den alten Theilen 
der Seitenschiffmauern entspricht und welche er als Reste der 
nördlichen Querhallenmauern erkannte. Um hiefür triftige 
Beweise zn erhalten, veranlaßte er den zufällig auch dort an 
wesenden Herrn Landes-Konservator Professor Dr. Paulus 
in dem anstoßenden Garten an entsprechender Stelle der Süd 
seite nachgraben zu lassen, wobei in geringer Tiefe unter der 
Grasnarbe die unteren Theile und die Fundamente der süd 
lichen Querhalle und weiterhin auch diejenigen der Chormauern 
in bester Erhaltung gefunden wurden. Die damals — im 
Juli 1876 — von Zeichnern des Vortragenden gemachten 
Aufnahmen und Vermessungen zeigten sich aber beim genauen 
Aufzeichnen und insbesondere bei den Versuchen, den früheren 
Zustand der Kirche im Einzelnen möglichst genau zu ermitteln, 
in einigen Punkten als unzureichend, weshalb der Vortragende 
Anfang Novembers desselben Jahres unter seiner persönlichen 
Leitung sämmtliche Chormauern nochmals und vollständiger
	        

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