Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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unter die Leitung des Staatsraths Generalmajors v. Seeg er 
und des Oberbauraths v. Bühl er, wozu schon ein Theil unserer 
topographischen und Flur-Karten, mit denen wir manchen größeren 
Ländern voraus waren, benützt werden konnten und vorzügliche 
Dienste leisteten. 
Ersterer bearbeitete die Linie: 
1) Berg, Ludwigsburg, Besigheim, Heilbronn. 
2) Ludwigsburg — Westgrenze. 
3) Stuttgart-Berg, ins Rems- und Brenzthal. 
Letzterer vorzugsweise Berg — Ulm und Ulm Friedrichs- 
Hasen, wobei jedoch für Lokomotiv-Bahnen nicht für räthlich 
gehalten wurde, stärkere Steigungen als für den Albaufgang 
1:150, im übrigen 1:200, und stärkere Radien, als von 2000' 
anzuwenden, was bei der Beurtheilung der betreffenden Tracir- 
ungcn nicht aus dem Auge gelassen werden darf. 
Der Minister des Innern erstattete den 23. Febr. 1839 
den Ständen erstmals Bericht, woraus ersichtlich, daß die Bahn 
linie 
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1) Cannstatt—Ulm 30 Std. 305030 fl. Pr. Std. 
doppelspurig —' • 9.150899 fl. 
2) Ulm —Friedrichshafen 27 Std. einsp. 
pr. Std. 235315 fl. — > 6.353493 fl. 
/3) Cannstatt—Heilbronn 15 ‘/ 2 Std. 
pr. Std. 316929 fl. — > 4.912403 fl. 
4) — auf der Pforzheimer Linie bis 
Landesgrenze 14'/- Std. 
pr. Std. 254926 fl. — j - 3.696424 fl. 
5) — auf der Bruchsaler Linie bis 
Landesgrenze 17 9 /i 0 Std. 
pr. Std. 239528 fl. —4.287543 fl. 
zus. 104°/,, Std. —270741 fl. — > 28.400762 fl. 
veranschlagt war, und nebenbei von Ulm bis Friedrichshafen 
ein Kanalprojekt auf die Länge von 29 Std. mit einem Kosten 
betrag von 7.446944 fl. bei 314' Steigung von Ulm zur Wasser 
scheide, 568' Gefäll von da bis Friedrichshafen und bei 5—10' 
Schleußenfall niit 95 Schleusten durch v. Bühlcr pojektirt war. 
Die K. Regierung stellte hienach bei der Neuheit und 
Schwierigkeit des Unternehmens weitere Erwägungen und sorg 
fältige Prüfungen in Aussicht. 
Seitens der Kammer wurde die Vorlage nur von dem Ab 
geordneten Dörtenbach von Calw eingehend und in richtiger 
Erfassung der wichtigen Frage studirt, in der Kammer selbst 
aber der Gegenstand nicht weiter behandelt, zudem auch der 
Eisenbahn-Enthusiasmus einige Abkühlung erfuhr. 
In diese Stillstandszeit fiel Seitens einer Privatgesellschaft die 
Idee einer Pferdebahn zwischen Stuttgart und Cannstatt, getragen 
von Oberbaurath von Etzel junior, und zwischen der bairischen 
Grenze bei Friesenhofen über Leutkirch, Jsny nach Wangen und 
Friedrichshafen 23 Std. 6280' lang auf Grund einer Petition 
der Städte Leutkirch, Wangen und Jsny vom Jahre 1838/39 
durch den damaligen Straßenbauinspektor, jetzigen Baurath von 
Seeg er ausgearbeitet und durch Bericht vom 4. Mai 1842 
übergeben. Die Kostenberechnung bezifferte sich für Letztere auf 
1.739427 fl. 20 kr. oder pr. Std. auf 74018 fl. 10 kr. und sollte 
als eine Verbindung zwischen Ulm und Friejenhofen, der Linie 
Ulm—Friedrichshafen nach Ansicht der Petenten Konkurrenz 
machen. 
Die genannten Regierungstcchniker überarbeiteten ihre Pro 
jekte; leider aber trat im Jahre 1841 Staatsrath v. Seeger, 
dessen Verdienste bezüglich seiner nach richtigem Systeme — auf 
Grund topogr. Behandlung der Flurkarten durch Aufnahme von 
Höhepunkten in einer gewissen Ausdehnung zu Bildung eines 
nivelistischen Netzes — gefertigten Vorarbeiten auch später von dem 
Professor v. Vignoles wie von dem Obcrbaurath von Etzel 
junior, in ausgezeichneter Weise anerkannt wurden, von den 
Geschäften zurück, und so fiel die ganze große Arbeit in die 
Hände des Oberbauraths von Bühlcr. 
Die K. Regierung konnte im März 1842 durch den da 
maligen Minister v. Schlayer begleitet durch einen ausführ 
lichen ausgezeichneten Vortrag an die Stände des Landes Vor 
lage machen und von der Nothwendigkeit des Eiscnbahnbaues, 
nachdem die übrigen Staaten Deutschlands bereits Eisenbahnen 
besaßen, durchdrungen, einen Gesetzcscntwurs einbringen, wornach 
für die auf Kosten des Staats zu bauenden Eisenbahnen für 
die Etatsperiode 1. Juli 1842 bis 30. Juni 45 — 3.200000 fl. 
zu bewilligen angesonnen wurden und die weitere Prüfung der 
Plane durch einen im Eiscnbahnbau praktisch erfahrenen und be 
währten fremden Techniker in Aussicht gestellt wurde. 
Diese Vorlage erregte bei einem großen Theile der Stände- 
Versammlung und der Landesbevölkerung große Freude; die 
hiefür niedergesetzte Kommission, deren Berichterstatter die treff 
lichen Männer 
Regierungsdirektor v. Werner aus Reutlingen 
und Fabrikant Dörtenbach aus Calw 
waren, gab in einem umfassenden, auf ausgedehnten Studien 
aus technischem, volkswirthschaftlichem, finanziellem Gebiete, 
der Vcrkehrsfrequenz, der Anschlüsse und der strategischen Verhält 
nisse, sowie auf Erwägungen zwischen Pferde- und Lokomotiv- 
bahncn, beruhendem vorzüglichen Referate dem großen Gedanken 
einer Eisenbahnanlage — bauend auf dem Ausspruche, daß 
in geistiger und politischer Beziehung die Natur und 
Größe des Effektes, den diese Erfindung auf alle Verhält 
nisse des menschlichen Lebens ausüben werde, nicht zu ahnen, 
so viel aber gewiß feie, daß Eisenbahnen die Träger der 
Kultur, der Humanität und der Gesittung seien; daß sie das 
Band des Einzelwesens, wie der Völker bilden, Künste, 
Wissenschaften, Licht und Aufklärung und eine gesunde öffent 
liche Meinung immer mehr verbreiten und befördern, den 
unedlen Partikularismus mildern, die materielle Einheit be 
festigen und die Völker und Interessen so ineinander ver 
schlingen, daß je inniger das Völkerleben sich entwickle und 
der Völkerverkchr zum Weltverkehr sich gestalte, desto weniger 
auch eine gewaltsame Störung des Friedens zu befürchten sei, 
die volkswirthschaftliche Seite der finanziellen voranstellend, 
Vortheile und Nachtheile gründlichst gegeneinander abwägend, die 
ersteren als bleibend, letztere als vorübergehend bezeichnend — 
ihren Ausdruck in der Anerkennung der Nothwendigkeit des Baues 
von Eisenbahnen auf Staatskosten, auch ohne vorherige Erledi 
gung der Anschlußsragen gegen Baiern und Baden hin, sprach 
dabei aber auch ihre großen Bedenken gegen die Projekte 
v. Böhlers insbesondere bezüglich der hohen Dämme, 
tiefen Einschnitte, des Winterbetriebs über die Alb und über 
Unzulänglichkeit der Baukosten aus. 
Diese Berichterstattung kann überhaupt als ein Muster 
auf dem Gebiete landständischer kommissarischer Thätigkeit be 
zeichnet werden. 
Diesem Kommissionsbcrichte stand ein solcher der Minorität, 
aus 2 Personen bestehend, gestützt auf ängstlicher Anschauung, 
welcher der Erbauung nicht hold war, jedenfalls den Bau aber 
verschoben haben wollte bis die Anschlüsse au die Nachbarstaaten 
geregelt seien, entgegen. 
v. Bühlcr, welcher zwar als Straßen- und Brückenbau 
meister und insbesondere in Oberschwaben als Lehrer einer 
großen Anzahl von angehenden Technikern einen guten Namen 
hatte und auf diesem Felde viel Verdienstliches leistete, ver 
mochte an der Spitze eines so bedeutenden Unternehmens und 
trotz seiner vielen Detailarbeiten dennoch kein Vertrauen zu er 
wecken, es fehlte ihm wohl nicht an Selbstbewußtsein und 
Energie, dagegen an System für solche Arbeiten. Er, der nie 
eine Eisenbahn gesehen, überhaupt mit der Methode für Terrain 
aufnahmen und so auch mit der Eiscnbahntracirung und dem 
Eiscnbahnbau unbekannt war, konnte unmöglich das Richtige 
treffen. 
Das Land war, wie V i g n o l e s später bemerkte, in seiner 
Hand eine unbehandelbare Masse, er zog nach seinem Gutdünken, 
gestützt auf barometrische Höhenpunkte und die topogr. Karte 
sowie durch Festhalten an vorgefaßten Gradienten, nach dem 
sog. englischen System meist lange gerade Linien ohne Rücksicht auf 
Terrainbeschaffcnheit und Ausgaben, und erhielt so häufig un-
	        
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