Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1879)

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Nach Rom, der Weltstadt, welche die Welt beherrscht, 
Lenkt hin die Blicke jeder, der Baukunst pflegt, 
Dort schaut er Werke, die der Zeiten 
Zahn und Zerstörungen widerstehen. 
Wir sehen zwei Vertreter der alten Zeit, 
Die Werk' betrachtend, welche sie selbst erbaut, 
Der eine Wasseroberbaurath, 
Während der andere hochbaukundig. 
Der Aquädukt zieht hin in die Länge sich. 
Ohn' Ende reih'n aneinander die Bogen sich. 
Und auf Gewölben ruht die Rinne, 
Welche mit Wasser die Stadt versorget. 
Auf and'rer Seite herrlich erhebet sich 
Der Tempel, der von Säulen umgeben ist, 
Mit Bildern in dem Giebelfelds, 
Die den Betrachter zu sich erheben. 
Vieles bester der versteht, 
Dem an die Hand ein Führer geht, 
Welchem alles scheint erklärlich, 
Was man sonst verstünde schwerlich. 
Der von Aegypten that berichten, 
Wird itzo auch das Dunkel lichten; 
Sagt, daß, die jetzt vor uns steh'», 
Im Gespräche sich ergeh'», 
Daß der Wasseroberbaurath 
Bei dem Hochbauoberbaurath 
Nach dem Modul sich erkundigt, 
Der des Tempels Bau zu Grund liegt; 
Auch möchte gern er noch erfahren, 
Wie groß dabei die Partes waren. 
Doch der röm'sche Architekte, 
Dem die Kunst im Kopfe steckte, 
Sagt, daß nicht nach Formelzahlen 
Man die Tempel baut zumalen; 
Sondern daß mit Schöpferkraft 
Nach Gefühl man Kunstwerk' schafft. 
Doch da von Theorie die Rede, 
Mittelst deren man jedwede 
Konstruktionsaufgab' kann lösen 
Und Respekt auch ein thut flößen, 
Ersucht, der den Tempel hat geplanet 
Den, der dem Master Wege bahnet, 
Daß er den Festigkeitskoefizient, 
Wie auch den Sicherheitsmodul ihm nennt, 
Die er legt der Berechnung zu Grund, 
So daß die Bauten noch stehen zur Stund'. 
Der Wasterbaurath mit Präzision 
Sagt, wie zu wählen die Dimension, 
Daß achtzehnhundert siebzig und neun 
Die Bauwerk' noch nicht fallen ein. — 
Der Wasserbauer hat in der Hand, 
Ein Instrument uns wohl bekannt, 
Welches Wasserwage heißt, 
In die zuweilen Wein man geußt. 
Der Vorhang schneidet die Aussicht ab, 
Das Alterthum steigt in das Grab. 
Erst nach mehr als tausend Jahren 
Ist der Vorhang aufgefahren. 
Im Mittelalter angekommen, 
Sehen wir die Mönch', die frommen. 
Im Kaltenthaler Kloster, da ist's schon lange Brauch, 
Daß man die Baukunst pfleget, sowie die Trinkkunst auch. 
Abt Enderlein, der Schmerbauch, ist Freund von Kunst und Wein, 
Desgleichen auch die Brüder, die sich dem Kloster weih'n. — 
Man formet in der Bauhütt' des Klosters manch' Gethier, 
Das dann als Wasserspeier dem Bauwerk dient zur Zier; 
Auch formet man Figuren bekrönender Natur, 
Die setzt man auf Fialen und Strebepfeiler nur. 
So lebt man in der Bauhütt' vom Kloster Kaltenthal, 
So lebte in den Klöstern inan fröhlich dazumal. 
Schweigsam bleibt der Eicerone, 
Der bisher uns schien nicht ohne, 
Sehnsuchtsvoll ist sein Gemüth, 
Wenn er and're trinken sieht; 
Läßt den Vorhang rauschend sinken, 
Während sich die Mönch' betrinken. 
Und als der Vorhang sich erhebt, 
Ein Bild der Neuzeit vor uns schwebt: 
Ein sogenannter Bauverein 
Nimmt izt den Raum der Bühne ein. 
Wir nehmen es wahr, daß in solchem Vereine 
Der Vorstand sitzt in der Regel alleine, 
Daß ihm gegenüber nur rücksichtsvoll sitzet 
Der Schreiber, der Protokoll führend schwitzet, 
Auf jedweder Seite des Vorstands ist's frei. 
Kein einziges Mitglied wagt nah sich herbei. 
Respektesentfernung wird ein hier gehalten. 
Und niemand riskirt es, sich ein noch zu schalten. 
An dem Ende des Tisches zusammengerückt 
Da sitzen die Jungen vom Vortrag beglückt. 
Den zu ihrer Belehrung der Vorstand gehalten. 
— Verschieden dagegen vernehmen's die Alten: 
Zwar sitzen auch sie zu Klumpen geballt, 
Doch locket sie nicht mehr des Vortrags Gewalt, 
Weil ihnen ja längst schon alles bekannt, 
Und keiner Vermehrung bedarf ihr Verstand. 
Als der Vortrag ist zu End, 
Erhebt ein Junger sich behend. 
Damit er dem Redner Bedankung spende. 
Die Andern am selbigen Tischesende, 
Sie folgen ihm ohne Widerstreben, 
Derweilen die Alten sich langsam erheben. 
— Obwohl der Verein schon groß genug, 
Erfreut ihn doch ein Aufnahmsgesuch. 
Einstimmig werden aufgenommen 
Alle, die in Vorschlag kommen. 
Am Schütteln des Kopfes sieht man klar, 
Daß gar nichts einzuwenden war. 
Einmal nur hat man's vernommen. 
Daß eine Einsprach vorgekommen. 
— Hat keiner mehr 'was vorzutragen. 
Vernimmt man jetzt den Vorstand fragen. 
Als Antwort hört man allgemein 
Deutlich nur das Wörtchen „nein"! 
Aufgehoben wird die Sitzung, 
Daß nach großer Geisterhitzung 
Man gemüthlich sich bespreche 
Und dazu ein wenig zeche. 
Kaum sprach der Vorstand: „Die Sitzung ist aus". 
So stürzen die Mitglieder eilig hinaus, 
Verwundert blickt das Präsidium umher, 
Die Gäst' sind verschwunden, im Saale ist's leer. 
Der Vorhang fällt, der Beifall rauscht, 
Herr Seeger, dem wir lang gelauscht, 
Verneigt sich vor dem Publikum, 
Das vor Bewund'rung starr und stumm. 
Wieder im Saale vereint sind sämmtliche Künstler der Bühne, 
Die um des Festes Glanz so große Verdienste erworben. 
Und es erhebt sich vom Stuhl Herr Leibbrand, der wackere Baurath, 
Spricht zu der Darsteller Lob eine Herzen erhebende Rede. — 
Gerne ergreift man das Glas, und mächtig erschallet der Hochruf. — 
Kaum war die Rede vorbei, als wieder der Vorhang sich hebet. 
Majestätisch schritten einher die Mönche, 
Singend hohe, herrliche Liederklänge, 
Und an alter Zeiten entschwund'ne Größe 
Mahnend die Jetztwelt.
	        
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