Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1879)

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Nach den langwierigen Debatten konnte der offizielle Theil 
des Abends erst in später Stunde geschlossen werden. 
Der Schriftführer: 
v. Seeger. 
Siebente ordentliche Wcrsammlung vom 5. April 1879. 
Vorsitzender: Oberbaurath v. Schlierholz. 
Schriftführer: Baumeister Laistner. 
Anwesend: 28 Mitglieder. 
Protokoll der sechsten Versammlung ist noch nicht 
vollständig ........ «. V_ lltr Verlesung 
gelangen. Es erfolgt zunächst auf Vorschlag des Vorsitzenden 
die Aufnahme des Herrn Ingenieur Staib als ortsanwesen 
des Mitglied. 
Eingelaufen ist eine Mittheilung des Herrn Slaats- 
ministers des Kirchen- und Schulwesens v. Geßler, welche 
von einem Preisausschreiben der K. italienischen Akademie der 
Künste zu Mailand für Entwürfe zur Vollendung der Südseite 
des Mailänder Domplatzes Kenntniß gibt; ferner vom Senat 
der K. Akademie der Kiinste zu Berlin das Programm für die 
vom 31. August bis 2. November d. Js. zu Berlin statt 
findende akademische Kunstausstellung von Werken lebender 
Künstler des In- und Auslandes; und weiterhin der Prospekt 
zu dem in Berlin neu gegründeten, von Adolf Böttcher 
herausgegebenen „Wochenblatt für Architekten und Ingenieure", 
zugleich mit einer Einladung zu Unterstützung dieses Unter 
nehmens. 
Hierauf hält Herr Prof. Reinhardt den angekündigten 
Vortrag „über die Hypäthral-Anlage der dorischen Peripteral- 
Tempel". Redner weist zunächst darauf hin, daß die seit 
Mitte des vorigen Jahrhunderts unternommene Erforschung 
der baulichen Ueberreste Griechenlands im Verein mit den 
Ueberlieferungen aus alter Zeit wohl im Stande seien, uns 
über die Disposition und Formenbildung der antiken Tempel 
bauten Klarheit zu geben, daß aber bezüglich der Deckenbildung 
und der Beleuchtungsart der Tempelräume keine bestimmten 
Anhaltspunkte vorliegen und alle bisher hierüber gemachten 
Aufstellungen auf mehr oder weniger zuverlässigen Voraus 
setzungen beruhen. Vitruv und andere Schriftsteller des Alter 
thums sprechen zwar von Oeffnungen, welche die Decken der 
griechischen Hypäthraltempel hatten, um die fensterlose Cella 
zu beleuchten, nirgends finde sich aber ein bestimmter Anhalt 
für die Lage und Ausdehnung dieser Oeffnungen. 
Unter den Annahmen, die dieserhalb in Beziehung auf 
Deckenbildung und Beleuchtungsart gemacht werden mußten, 
hatten bisher die von Blouet und Bötticher die meiste 
Wahrscheinlichkeit für sich; namentlich gilt dies von der 
Blouet'schen Anordnung, welche den Jnnenraum ähnlich der 
Hofanlage der Pompejanischen Häuser zu einer Art Com- 
pluvium gestaltet, indem sie die Galerien der doppelgeschoßigen 
Seitenschiffe als mit nach dem Jnnenraum abfallenden Pult 
dächern überdeckt annimmt, wobei aber allerdings die Cella 
weniger den Charakter eines Tempelraums als den eines 
offenen Hofes trägt. Redner weist dies an der Hand von 
aufgehängten Zeichnungen des Jupitertempels zu Olympia, 
des Poseidoutempels zu Pästum rc. nach und geht hierauf 
über auf eine neue Lösung der Frage, welche ein junger fran 
zösischer Architekt Namens Charles Chipiez in jüngster 
Zeit versucht hat und die schon auf der Salonausstellung zu 
Paris bedeutendes Aufsehen erregte. Darnach wäre der bisher 
unaufgehellte Zweck der zweigeschoßigen Säulenstellungen, welche 
die Cella in drei Schiffe theilen, wesentlich auch darin zu 
suchen, daß ihr Obergeschoß die Bedeckung des Mittelraums 
trug, während die Galerien der doppelgeschoßigen Seitenschiffe 
unbedeckt blieben und so die Beleuchtung des Jnnenraums 
vermittelten. Durch diese Lösung, welche ohnehin durch ihre 
Einfachheit und Klarheit der antiken Bauweise recht wohl ent 
sprechen würde, ist jedenfalls die Möglichkeit nachgewiesen, daß 
der Jnnenraum der Hypäthraltempel gleichzeitig bedeckt und 
doch dein Lichte geöffnet sein konnte. Ein weiteres Tableau 
in schönster Perspektive zeigt diese neuversuchte Lösung in 
Anwendung auf den Jupitertempel zu Aegina in klarer, an 
schaulicher Weise. 
Der Vorsitzende dankt dem Herrn Professor Reinhardt 
Namens der Versammlung für seinen interessanten Vortrag, 
der geeignet gewesen sei, dem Hörer in übersichtlicher Form 
ein Bild von den Resultaten zu geben, welche die Erforschung 
der antiken Tempel hinsichtlich der Deckenkonstruktionen und 
Beleuchtungsarten bisher erreicht hat. 
An den Vortrag selbst schließt sich eine sehr eifrige Dis 
kussion über den Anspruch auf Wahrscheinlichkeit, den alle 
bisher versuchten Lösungen und so auch die neueste, von 
Chipiez vorgeschlagene, haben. 
•yen ©tuWurtttt) v. Egls bsmcrkt dabei zunächst ein 
leitend, daß sich aus den vielen Versuchen, die Hypäthral- 
anlagen zu erklären, rückwärts auf die Mangelhaftigkeit der 
Anhaltspunkte schließen lasse, die für eine solche Erklärung zu 
Gebot stehen, und spricht sich hinsichtlich der Beleuchtungsfrage 
der Tempel im allgemeinen dahin aus, daß bei kleinen Tem 
peln die mächtige Thüröffnung dem Jnnenraum zweifelsohne 
genügend Licht zugeführt habe, daß dies aber bei den Perip- 
teral- und noch mehr bei den Dipteralanlagen nicht der Fall 
sein konnte. Da nun, von außergewöhnlichen Fällen abgesehen, 
keine Seitenfenster vorhanden waren und eine Beleuchtung 
durch Fackeln nicht wohl anzunehmen ist, so mußte die Licht 
öffnung nothwendigerweise sich irgendwo im Dache befunden 
haben, wie solches von Vitruv auch ausdrücklich berichtet wird. 
Daß der Jnnenraum nicht in allen Theilen gegen die 
Witterungseinflüsse geschützt gewesen sein müsse, sondern recht 
wohl an einzelnen Stellen unbedeckt gewesen sein könne, beweise 
unter andern das Pantheon, in welches schon seit 1900 Jahren 
der Regen falle. 
Hier wirft Herr Professor Reinhardt ein, daß das 
Pantheon ein Steindach besitze, während es sich im vorliegen 
den Falle um Holzdächer handle, die als solche offenbar selbst 
wieder geschützt gewesen sein müssen. 
Herr Oberbaurath v. Egle bemerkt fortfahrend, daß nur 
bei der Bötticher'schen Hypothese das Holzwerk des Daches 
gefährdet gewesen wäre, keineswegs bei derjenigen von Blouet 
oder Fergusson. Auch sei cs nicht nöthig, mit Blouet 
anzunehmen, die Lichtöffnung habe sich über die ganze Länge 
des Mittelschiffs der Cella erstreckt; schon eine relativ kleine 
Oeffnung habe, wie das Pantheon beweise, zur Erhellung des 
Innern und nebenbei auch zur Entfernung des Rauches bei 
Opferhandlungen genügt. 
Gegen die Chipiez'sche Lösung wendet Herr v. Egle 
ein, daß sie nicht so einfach und natürlich gedacht sei, wie die 
sonstigen Theile des Tempels. Er finde darin mehr die 
Denkweise der Architekten des 19. Jahrhunderts nach als die 
der Baumeister des 5. Jahrhunderts vor Christo. Sicherlich 
seien die ältesten Hypäthralanordnungen nicht so gesucht ge 
wesen. Sodann weist er darauf hin, daß das Regenwasser 
genöthigt gewesen wäre, auf dem Dache entlang der Licht 
schlitze über eine Menge Fugen zu laufen, was die Griechen 
am Dachsaume sonst recht geflissentlich zu verhindern gesucht 
bätteu. Endlich habe Cockerell am Tenipel auf Aegina 
Steine gefunden, die ganz zweifellos von der Hypäthralöffnung 
herrühren, welche dem Anscheine nach bei der Chipiez'schen 
Restauration nicht berücksichtigt worden seien. Wenn auch 
letztere im Allgemeinen für sich einnchuie, so glaube er doch, 
daß damit die anderen Lösungen von Blouet und Fergus 
son keineswegs entkräftet und die Hypäthralfrage gelöst sei. 
Herr Professor Reinhardt tritt wiederholt für die 
Chipiez'sche Lösung ein und betont dabei im Gegensatz zum 
Vorredner, daß die griechischen Tempelbauten nicht wohl als 
prinütiv bezeichnet werden können im Hinblick auf die An 
wendung der Entasis, der Säulenneiguug rc. 
Hiemit schließt der offizielle Theil der Versammlung in 
später Stunde. 
Der Schriftführer: 
Laistner.
	        

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