8
diesem, sowie dem weiteren Grunde, weil einein Mittelschiff-
gewölbe jederseits zwei Seitenschiffgewölbe entsprechen, für jedes
Hauptjoch zweierlei Pfeiler nöthig hat, wovon die einen Haupt-
pfeiler genannt, fiir die Aufnahme von Mittelschiff und Seiten
schiffgewölben und die anderen Zwischenpfeiler genannt, blos
für die Aufnahme von Seitenschiffgewölben dienen. Die nun
folgenden weiteren Verbesserungsversuche gehören der, in Frank
reich schon um 1160, in Deutschland aber erst um 1200 be
ginnenden Epoche des romanischen Uebergangsstiles an, und
haben zunächst zu den sog. sechskappigen Kreuzgewölben geführt,
welche zwar die Zwischenpfeiler für das Tragen der Mittel-
schiffsgewölbe ebenfalls mit in Anspruch nahmen, aber unter Her
beiführung so erheblicher neuer Mißstände, daß man dieses System
nach längerer Uebung wieder aufgab und schließlich versuchte, das
romanische Rippengewölbe auch für oblange Gewölbefelder von
beliebigen Seitenverhältnissen brauchbar zu machen. Einige wenige
von diesen Versuchen gingen darauf aus, die über den kürzeren
Leiten befindlichen aber ebenfalls halbkreisförmigen Schildrippen
auf gleicher Basis mit den übrigen Rippen beginnen zu lassen
(Dom in Trient), doch erhielt dadurch das Mittelschiffgewölbe
wieder zu sehr den Charakter eines Tonnengewölbes mit allen
seinen Mißständen. Besser gelangen die andern Versuche, bei
welchen die halbkreisförmigen Schildrippen so stark gestelzt wurden,
daß ihre Scheitel in die gleiche Höhenlage kauien wie die
Scheitel der Querrippen. An Gewölben solcher Art war nur
noch die durch die Stelzung herbeigeführte Hinterschneidung der
Diagonalrippen auf Seiten der schmalen Gewölbkappen unerwiinscht,
während andererseits bei einem ungefähren Längen- und Breiten-
Verhältniß der Mittelschiff-Gewölbfelder wie 2:3, wegen des
Hinwegfalles der Zwischenpfeiler, unter sonst gleichen Umständen,
weniger und für die Gewölbanlage gleichmäßiger in An
spruch genommene Pfeiler nöthig wurden, als bei quadratischen
Rippengewölben und somit eine gleichmäßigere Vertheilung des
Seitenschubes stattfand. Die Stelzung und damit auch die
Hinterschneidung hätte in mathematisch korrekter Weise durch eine
ellyptische Schildrippe vermieden werden können, da aber ellyp-
tische Bögen wegen ihrer überall verschiedenen Krümmuugsver-
hältnisse durchaus verschiedene und je für ihre Stelle besonders
geformte Bogenquader erheischt hätten, so zog man Spitzbögen
vor, womit der beabsichtigte Zweck auf eine viel bequemere Weise
und ohne nennenswerthen Nachtheil ebenfalls erreicht wurde.
Fast gleichzeitig drängte sich den Baumeistern im Anfang des
13. Jahrhunderts die Wahrnehmung auf, daß nian unter An
wendung des Spitzbogens nicht nur für die Schildrippen, sondern
auch für die Querrippen dieselbe Scheitelhöhe erreichen könne, wie
für die halbkreisförmigen Diagonalrippen, wonach man bei diesen
oblongen Rippeugewölben die Höhe der Mittelschiffhochmauern
fiir die Fensteranlage und die Erhellung des Innern ebenso aus-
niitzen konnte, wie bei Kreuzgewölben römischer Art, während
bei jenen der Seitenschub nicht halb so groß und auf mehr
Punkte vertheilt ist als bei diesen. Von 1220 an waren solche
Gewölbe in Frankreich allgemein und von 1250 an auch in
Deutschland herrschend; damit ist die dritte Etappe in der Geschichte
der mittelalterlichen Gewölbarchitektur und überhaupt das Höchste
erreicht, was bis auf den heutigen Tag in der Gewölbetechnik zu
Tage gefördert worden ist. Kreuzgewölbe mit halbkreisförmigen
oder spitzbogigen Diagonalrippen und mit spitzbogigen Schild und
Querrippen, alle mit gleicher Scheitelhöhe, sind aber nichts anderes
als gothische Gewölbe, deren zwingende Konsequenzen noch
vor dem Eintritt der Mitte des 13. Jahrhunderts die volle
Gothik entwickelt und groß gezogen haben. Die stufenweise Er
zielung dieses Gewölbsystems war das Werk der romanischen
Baukunst; die überaus rationelle Ausnützung seiner Konsequenzen
aber, und die scharfsinnige Anwendung seiner Grundgedanken auf
die mannigfaltigsten Grundformen und Raumgestaltungen, ist das
Verdienst der gothischen Architektur.
Der Vorsitzende dankt Namens der Anwesenden dem Redner
für seinen lehrreichen Vortrag und schließt hierauf die Ver
sammlung. Der Schriftführer:
S e e g e r.
I-ünfle ordentliche Versammlung am 5. März 1881.
Vorsitzender: Oberbaurath v. Schlierholz.
Schriftführer: Baumeister Canz.
Anwesend: 15 hiesige und ein auswärtiges Mitglied.
Der Vorsitzende begrüßt das auswärtige Mitglied Herrn
Bauinspektor Ruff von Hall und das neu eingetretene Mitglied
Herrn Baumeister Gausser und macht sodann Mittheilung über
die eingegangenen Einläufe.
Eingelaufen ist ein Schreiben vom Hamburger Verein,
betreffend die Haftpflicht der Architekten und Ingenieure. Rach
früheren Beschlüssen des Verbandes hättet! die Einzelvereine bis
l. Februar 1881 ihre Vorschläge in dieser Sache einzubringen.
Der Hamburger Verein bittet um Zustellung der in Würt
temberg seither in dieser Sache geltenden Rechtsgrundsätze.
Der Vorsitzende möchte diese Frage an eine Commission
verwiesen haben, und schlägt vor, den Herrn Oberbürgermeister
v. Hack zu ersuchen, an der Commission theilzunehmen; es wird
jedoch bemerkt, daß derselbe krank sei, daher ein Jurist um ein
Gutachten ersucht werden solle (siehe hinten Ansschußsitzung vom
6. August).
Eine weitere Zuschrift betrifft die Ausdehnung des preuß.
Volkswirthschaftsraths auf das Reich und die Theilnahme von
Technikern an demselben.
Es wird um Aeußerung der Einzelnvereine in dieser Sache
gebeten.
Zur Beantwortung der Frage ivird eine Commission vor
geschlagen bestehend aus den Herrn v. Egle, v. Ehmann,
Hettich, Dobel, Leibbrand.
Baurath G ü n t t e r gibt nun Mittheilungen über den
Ban der gewölbten Ermsbrücke in Neuhausen O.A. Urach. Die
Brücke ist mitten in einer belebten Ortschaft gelegen und konnte
der Verkehr während des Baues nicht gehemmt werden. Die Aus
führung des Neubaues geschah deßhalb in 2 Theilen. Der Ver
kehr wurde nach Fertigstellen der einen Geivölbhälfte über dieselbe
geführt und die andere Hälfte in Angriff genommen. Die beiden
Gewölbtheile wurden stumpf zusammengestoßen. Die provisorische
Brücke fiel hiedurch weg und wurden in Folge dessen ivesentliche
Ersparnisse erzielt.
Die Brücke hat 10,5 m Lichtiveite, bei 1,5 m Pfeilerhöhe.
Die Breite der Fahrbahn beträgt 9,2 in.
Die Gründung geschah auf Posidonienschiefer. Der Abschlag
ivar durch eine mit Letten gedichtete und mit eisernen Nadeln
festgehaltene Blockwand gebildet.
Die Rüstung bestand aus nur stumpf zusammengestoßenen
Hölzern und wurden zur Ausrüstung, welche 8 Tage nach
Fertigstellen des Gewölbs geschah, gußeiserne Sandbüchsen ver
wendet.
Letztere haben sich wegen der hiedurch möglich geivordenen
gleichmäßigen Ausschalung sehr bewährt.
Die Kosten betrugen: Gründung 3390 fl. Maurer- und
Steinhauerarbeit 6193 fl., Rüstung 522 fl, Schmiedarbeit 600 fl.
Chaussirung 295 fl., Ingenrenz 2000 fl. zus. 13000 fl. oder
ca. 22290 M..
In der sich anschließenden Debatte hebt der Vorsitzende die
Vortheile der Gewölbeausschalung mittelst Sandbüchsen hervor.
Dieselben ermöglichen ein ruhiges über die ganze Breite sich
erstreckendes Ansschalen, das durch Keile nicht erreicht werden
könne.
Baurath Güntter theilt mit, daß der Bildung von schädlichen
Fugen tut Gewölbe durch verschiedene Mörtelstärken in den am
meisten beanspruchten Fugen vorgebeugt morden sei. Es sei
hierauf schon bei Bearbeitung der Steine Rücksicht genommen
worden.
Oberbaurath v. Schlier holz ist der Ansicht, daß durch
das früher angewandte Einlegen von Schindeln in die Fugen,
nüe es z. B. an der Cannstatter Brücke geschehen sei, um ein
schönes Aussehen zu erzielen, dem Brennen der Steine Vorschub
geleistet werde. Das Ausschalen flacher Gewölbe mittelst Schrauben
sei sehr riskirt. Die meisten Gewölbeeinstürze werden durch zu