Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1884)

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Beilage 1 zur 6. Versammlung. 
Vortrag 
über den 
Wau des Artverglunnels, 
gehalten am 5. April 1884 durch Oberbaurath l>. Hiincl. 
Der Vortragende hat im vorigen Herbst eine Studien 
reise gemacht, die ihn u. A. der Bergstrecke Bludenz-Landeck 
der Arlbergbahn entlang führte. Seine dort gemachten 
Wahrnehmungen und gesammelten Notizen haben zum heutigen 
Vortrage den Anlaß und die Grundlage abgegeben; zur Er 
gänzung derselben dienten besonders einzelne Vorträge des K. 
K. Inspektors Gustav Plate in Wien, veröffentlicht im 
Wochenblatt des Oesterr. I.- und A.-V., und in der Oesterr. 
Eisenbahnzeitung. — 
Die genannte Bahnstrecke kreuzt eine Hauptwasserscheide 
und besteht daher aus der eigentlichen Uebergangs- oder Scheitel 
strecke, welche ivl Tunnel liegt, und den beiderseitigen Steigen 
oder Zufahrtsrampen. Letztere sind nach dem alten, ein 
fachen Prinzip des „Lehnenbaues" angelegt, also nicht wie die 
Gotthardbahn, welche aus lokalen Gründen mehr der Thalsohle 
als den Abhängen folgt und die zu steilen Strecken jener mit 
Kehrtunnels oder offenen Entwickelungen ersteigt. Sie haben 
außergewöhnliche Krümmungs- und Steigungsverhältnisse, näm 
lich Halbmesser bis zu 250 m herab, Steigungen an der Ost 
seite bis 26,4 °/oo, an der Westseite sogar bis 31,4 %><>, wobei 
jedoch zu bemerken, daß die vorherrschenden Transporte, z. B. 
Getreide, in off- und westlicher Richtung gehen, also jene stärksten 
Steigungen abwärts zurücklegen werden. (Unsere technischen 
Vereinbarungen lassen bekanntlich Krümmungen bis zu 300 m 
Halbmesser, Steigungen bis zu 25°/oo zu; an der Gotthardbahn 
betragen diese Grenzen bezw. 280 m und 26°/o,). Die zahl 
reichen, an den Berglehnen der Arlbergbahn vorkommenden 
Stützmauern, Futtermauern und Kunstbauten, sind meist und 
gewiß niit Recht aus ziemlich rohem Bruchsteinmauerwerk in 
gutem hydraulischem Mörtel hergestellt, darunter Steinbrücken 
bis zu 41 m Spannweite (Wäldli-Viadukt in der Westrampe). 
Eisenkonstruktionen kommen weniger vor; der größte dahin ge 
hörige und überhaupt an der Arlbergbahn vorkommende Kunst 
bau ist die Ueberbrückung des Paznaunerthales unweit Landeck 
in einer Höhe von 86 m über der Thalsohle und mit einer 
Hauptöffnung von 120 in Weite, deren Eisenüberbau mit halb 
parabelförmigen Fachwerksträgern konstruiert ist. 
Viel mehr Interesse noch als die offenen Bahnstrecken 
bietet der große Albergtunnel, welcher alles in der Tunnel 
bautechnik bisher dagewesene weit hinter sich läßt. Derselbe 
ist bekanntlich, nach seinen Vorgängern durch den Mt. Cenis und 
Gotthard, der dritte zur Ausführung gekommene große Alpen 
tunnel; als vierter wird sich voraussichtlich der bereits projek 
tierte durch den Simplon anschließen. Einige vergleichende 
Angaben über Länge, Bauzeit, Höhenverhältnisse und Gebirgs- 
art dieser vier in ihrer Art einzig dastehenden Bauwerke,, sind 
in folgender Tabelle zusanunengestellt. Die Länge des Arlberg 
tunnels ist demnach die geringste unter seinesgleichen, über 
schreitet aber das gewöhnliche Maß noch ganz bedeutend; denn 
Tunnellängen über 1 km gehören sonst zu den Seltenheiten. 
Beispielsweise mißt der Pragtunnel, der längste in unserer 
unmittelbaren Nähe, 831 m, der Hochdorfer Tunnel, der längste 
in Württemberg, 1520 m, und der Kaiser-Wilhelms-Tunnel 
bei Kochem an der Mosel, der längste auf dem deutschen Reichs 
gebiet, 4200 ui, also etwa nur 2 /s des Arlbergtunnels. Das 
Querprosil des letzteren zeigt Fig. 1; es stimmt bei zweispuriger 
Anlage mit dem am Alt. Cenis und Gotthardt gewählten fast 
genau, mit anderen zweispurigen Tunnelprofilen annähernd 
überein. 
Be 
zeichnung 
des 
Tunnels. 
Länge. 
Bauzeit. 
<g-jg 
g. 2i 
Ungefähre 
Tiefe des 
Tunnels 
unterm 
Terrain 
S c 
GZ 
Vor 
herrschendes 
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22 5 
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Durch 
schnitt 
.M- £ 
Z 
Gestein. 
m 
m 
m 
m 
m 
°/oo 
Mt. Cenis 
12 234 
1857—71 
870 
1338 
1 620 
800 
22 
Kalkstein. 
Gotthard 
14 912 
1872-81 
1600 
1 155 
1 700 
900 
6 
Granit, Gneist. 
Arlberg 
10 270 
1880-84 
2 600 
1311 
700 
470 
15 
Glimmerschiefer. 
Simplen 
(Projekt vom 
August 1882). 
20 000 
7 Jahre 
2 900 
708 
2 000 
1200 
8 
Krystallinische 
Schiefer. 
Die große Länge, verbunden mit dem Umstande, daß diese 
Tunnels wegen ihrer großen Tiefe unter dem Terrain nur von 
den beiden Mündungen aus in Angriff genommen werden können, 
bedingt gewisse bei geringerer Länge nicht vorkommende Schwierig 
keiten der Ausführung, die sich teils auf die Absteckung der 
Tuunelachse, teils auf die Ventilation während des Baues, 
teils auf die ungewöhnlich lange Bauzeit beziehen. Alle diese 
Schwierigkeiten können vermindert werden durch den Angriff 
des Baues mit einem, auch bei kleineren Tunnels vorkommenden 
sog. Richtstollen, in der Mitte der Tunnelbreite, der ent 
weder Sohlstollen ist (Fig. 2) oder Firststollen (Fig. 3). 
Denn Ungenauigkeiten in der Absteckung können bei voreilendem 
Richtstollen nach dem Durchschlag noch leicht ausgeglichen werden; 
da aber der Durchschlag in diesem Falle bälder erfolgt als bei 
sofortigem Ausbruch des vollen Tunnelprofils, so stellt sich auch 
früher eine natürliche Ventilation zwischen beiden Mundlöchern 
ein, und, sofern vom fertigen Stollen der Vollausbruch an 
beliebig vielen Punkten in Angriff genommen werden kann, 
wird auch die Vollendung des ganzen Tunnels beschleunigt. 
Es kommt hiebei vor allem auf möglichst schnellen Stollen- 
vortrieb an, ein Umstand, der bekanntlich zur Einführung der 
Maschinenbohrung statt der Handarbeit geführt hat. Wäh 
rend man bei Handbohrung in festem Gestein auf nur 1 m 
täglichen Fortschritt an jedem Stollenort durchschnittlich rechnen 
kann, in diesem Fall also zur Herstellung des Richtstollens am 
Arlberg etwa 14 Jahre gebraucht hätte, ist diese Zeit durch 
die Maschinenarbeit auf wenig mehr als 3 Jahre abgekürzt und 
im letzten Baujahre ein durchschnittlicher Tagesfortschritt von 
6 in an jeder Tunnelseite, in einem Monat au der Westseite 
sogar ein solcher von 8 m erzielt worden. 
Diese bisher unübertroffene Leistung im Richtstolleu bedingt 
in erster Linie den aus der vierten Kolonne der vorstehenden 
Tabelle ersichtlichen größeren Jahresfortschritt des Arlbcrgtunnels 
im Vergleich zum Mt. Cenis und Gotthard; sie ist zu verdanken 
teils der Vervollkommnung der Bohrmaschinen überhaupt, teils 
auch dem Umstand, daß an beiden Seiten des Arlbergs zwei 
verschiedene Maschinensysteme im Wetteifer arbeiteten, östlich 
die pneumatische Stoßbohrmaschine von Ferroux, westlich die
	        
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