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Beilage 1.
Vortrag
über
die Hkasvedachung, mit Erklärung eines patentierten neuen Systems,
gehalten am 24. Januar 1885 von Professor Böller.
Es wird kaum eine andere Hochbaukonstruktion geben,
welche so vielen verschiedenen Einwirkungen Rechnung zu tragen
hat, wie die Glasbedachung. Die meist sehr strengen Anfor
derungen in Beziehung auf Wasserdichtheit, die Angriffe, welche
das Dach durch Regen, Sturm und Hagel auszuhalten hat,
die gefährliche Eisbildung des in den Fugen stehenbleibenden
Wassers, das Einwehen von Schnee, die geringe zulässige Über
greifung der Teile, das glatte, zerbrechliche Material, das sich
mit anderen Materialien nur schwer auf die Dauer verbindet,
die Bewegung des Dachgerüstes durch die Temperaturändernng,
wobei die Teile der Bedachung fortwährend an einander ver
schoben werden, endlich die Schwitzwasserbildung und die Rück
sicht auf das unvermeidliche Auswechseln gesprungener Tafeln,
— alles das enthält eine so eigenartige Vielheit von einander
widersprechenden Forderungen, daß die Glasbedachung auch für
den akademischen Standpunkt eine der interessantesten Kon
struktionsaufgaben bildet, und zum Aufsuchen einer theoretisch
unanfechtbaren Lösung ebensosehr herausfordert, wie das sinn
reichste Problem der reinen Wissenschaften. Unter Betrachtung
der bisher bei uns und in anderen Ländern bekannten Systeme
an der Hand von Zeichnungen in größerem Maßstabe bestätigte
der Vortragende die jedem Fachmann bekannte Thatsache, daß
eine solche theoretisch vollkommene Lösung, oder auch nur eine
solche, welche in allen praktischen Fällen als Annäherung be
friedigen könnte, trotz der zahlreichen Versuche dazu uoch nicht
vorliegt. Bei der gewöhnlichen Eindeckung mit Kitt muß in
der Wärme durch die Erbreiterung der Sparrenfelder und durch
die Verlängerung der Sparren notwendig entweder ein Los
reißen der Tafeln vom Kitt und ein Querabreißen der Kitt
prismen erfolgen, oder — wenn der Kitt am Glas und Sprossen
festhält — eine Zugspannung auf das Glas übertragen werden,
um so größer, je größer die Tafeln sind, weshalb diese zunieist
im Hochsomnier springen. Die Kälte ist dem gewöhnlichen
Kittdach weniger gefährlich, weil das Glas gegen Druck weit
widerstandsfähiger ist als gegen Zug. Die übrigen vorhandenen
Systeme mit erhöhter Mittelrippe des Sprossens, so viel ver
schiedene Querschnitte für den letzteren sie auch darbieten mögen,
verfolgen alle nur ein Prinzip: sie lassen das Wasser zwischen
der Tafel und der Sprossenrippe in möglichst reduzierter Menge
durchdringen, und suchen es unter der Tafel in Sicherheits-
rinncn aufzufangen, die an den Sparren gehängt sind oder
einen Teil seines Profils bilden. Das Wasser tropft aber lei
der nicht immer an der Glaskante ab, sondern breitet sich leicht
auf der Unterfläche des Glases aus. Das erwähnte Prinzip
wenden auch die vielen in England patentierten Systeme an, bei
welchen die Tafeln durchaus ohne Kitt und andere Dichtungs
und Druckverteilungsmittel auf den zinkblechumhüllten Sprossen
gelagert und durch ausgeschraubte Sparrenkappen aus Kupfer
oder Zinkblech niedergepreßt werden. Bei diesen Eindeckungs
weisen, die durch die Hauptrepräsentanten (Patent Helliwell,
Rendle u. s. w.) dargestellt waren, gelangt das Wasser eher
noch leichter als bei Kittlagerung auf die Unterfläche der Tafel,
wegen der Hohlräumc, die durch das schuppenförmige Aufein
anderliegen der Tafeln zwischen Glas und Auflager entstehen.
Auch sind die Tafeln sehr hart und unsicher gebettet, da sie
sie nur mit der Ecke auf dem Zinkblech, bei einigen Systemen
sogar auf dessen scharfer Kante aufliegen. Infolge dieser Nach
teile sind diese englischen Glasbedachungen nur für steile Dächer
und für kleine leichte Tafeln brauchbar, wobei sie dann durch
die große, auf den Quadratmeter entfallende Sprossenlänge sehr
teuer werden müssen. Auch sind sie nur dann mit Nutzen an
wendbar, wenn eine Firma Sprossen, Glas und Arbeit liefert,
und bestimmte Tafelgrößen wiederholt, so daß die Sparren
kappen und Blechsprossen im Vorrat gearbeitet werden können.
Unter den genannten Voraussetzungen können sie allerdings für'
bestimmte Fälle vollkommen genügende Eindeckungen geben; das
oftmalige Ausflicken der Verkittung fällt weg und das Aus
wechseln gesprungener Tafeln geht leichter und einfacher vor
sich, als bei Verkittung. Nach Betrachtung der rinnen- oder
kastenförmigen Sprossen, die für größere Rohglastafeln ange
wendet werden, gelangte der Vortragende zu dem Schluß, daß
kein Dach ohne Kitt vollkommen wasser-, sturm- und schneedicht
sein könne, so daß man bei den bisher bekannten Systemen
nur die Wahl habe zwischen häufigem Flicken und einem von
Anfang an nicht vollkommen dichten Dach.
Den dauernd und vollständig dichten Verschluß aller Fugen
suchte der Vortragende mit seiner neuen Eindeckungsweise (D.
R.P. 30955 „Glasbedachung mit Randstreifen") zu erreichen;
gleichzeitig sollten die oben erwähnten Spannungen im Glas
durch eine gewisse Beweglichkeit der Tafeln vermieden und
flachere Dächer möglich werden. Die wesentlichen Neuerungen
sind die folgenden: Es werden Streifen aus Blei von 0,5 bis
0,7 mm Stärke wasserdicht an die Ränder der Glastafeln an
gesetzt und zwar vor dem Verlegen der Tafeln in der Werk
stätte. Beim Verlegen kommen diese Streifen auf die Unter
fläche des Glases, also zwischen Glas und Sprossen zu liegen,
so daß ihre Verbindung mit der Tafel durch die Tafel selber
zugedeckt und geschützt ist. Der über den Glasrand vorstehende
Teil der Streifen legt sich beim Verlegen an die Mittelrippe
des .[.förmigen Sparrens und wird über diese hinübergeschlagen,
so daß er den Streifen der Nachbartafel überdeckt. Nach dem
Verlegen werden zum Schutz gegen den Sturm und das Ab
rutschen der Tafeln Zinnblechkappen von Zoreseisen-förmigenl
Querschnitt (nur durch Falzen, nicht durch Ziehen hergestellt)
auf den Sparren gesetzt und durch kleine horizontale Mutter
schrauben an den Sparren gepreßt. Der etwa 4 mm hohe
Hohlrauui zwischen dem schwach geneigten Fuß dieser Kappen
und der Tafel wird von der Seite her mit Kitt oder anderen
Dichtungsmaterialien ausgefüllt, wodurch der Wasserandraug zu
den Streifen wenigstens eingeschränkt, und Genauigkeit der
Arbeit bei Herstellung des Kappenprofils überflüssig wird. Der
Kitt wird wohl auch hier Risse bekommen, aber er wird nicht
ausbröckeln, und mehr ist nicht nötig. Die Kappen greifen
längs des Sparrens etwa 4 em über einander und sind nur an
ihrem unteren Ende angeschraubt (Fig. 1 u. 2 S. 16).
Jede Glastafel wird auf den Sprossen und der nächst
unteren Tafel derart beweglich gelagert, daß sie ihren beiden
durch die Temperaturänderung herbeigeführten Verschiebungen
senkrecht zu den Sparren und längs der Sparren ungehin
dert folgen kann. Auch die Bleistreifen bleiben zwischen ihren
am Glas und am Sprossen festliegenden Rändern beweglich, so
daß auch sie den genannten Verschiebungen der Glastafel
nachgeben können, ohne eine Zugspannung oder abscheerende
Spannung zu erleiden, also ohne daß ein Losreißen oder Zer
stören der Streifen angestrebt würde. Nach der Gefällslinie
greifen die Tafeln gewöhnlich um ca. 3 em schuppenförmig über