Full text: Versammlungs-Berichte / Württembergischer Verein für Baukunde in Stuttgart (1885/86)

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Steinmetzzeichen am Gewölbe des vierten Turmgeschoffes. Daran 
haben viele vvn den mit der Mauer verwachsenen Rippenstücken das 
Zeichen des Mathias Ensinger (1436 bis 1438), mährend an 
den freien Rippenstücken das Zeichen yj vorkommt, das erst gegen 
1470 an den obersten Teilen des Turmhelms »nd dann noch später 
an der südlichen Seitenschiffgalerie, welche erst nach.Vollendung des 
Turinhelms erbaut worden ist, wieder vorkommt. Ans dem gleichen 
Grund sind auch die Füße des Oktogongemölbes so konstruiert wor 
den, daß letzteres zur Stützung des Helmes in keiner Weise nötig 
ist und erst nach dessen gänzlicher Vollendung eingesetzt zir werden 
brauchte. Von 1464 an war also der Gang der Banarbeiten aller 
Wahrscheinlichkeit nach folgender: Zuerst wurde, unter Zurücklassung 
des Baldachins der nordwestlichen Wendeltreppe und der Fiale»' ans 
der Helmfnßgalerie, der Turmhelm bis dahin, wo seine innere Höhl 
ung aufhört, hinaufgeführt. So lange wurden die Steine im Helm 
innern aufgezogen. Hierbei ist mutmaßlich ein relativ leichtes, auf 
der Helmfußgalerie stehendes, äußeres Baugerüst benutzt worden, 
das mit dem Wachstum des Helmes geschoßweise erhöht wurde. 
Die für den massiven Teil des Helmsußes und für die große Kreuze 
blume nötigen Steine werden ebenfalls int Innern des Turmes, 
aber nur bis in die Mitte der Oktogonhöhe gehoben, von da durch 
das nordöstliche Fenster, in welchem der Mittelpfosten noch fehlte, 
auf ein Gerüst über dem dortigen Plattformdreieck gebracht und von 
hier aus äußerlich an de» Versetzungsplatz aufgezogen'worden sei». 
Rach der Vollendung des Turmhelnis sind dann der Baldachin über 
der nordwestlichen Wendeltreppe, in beu die Fiale mit der Jahres 
zahl 1471 eingebunden ist, sowie die übrigen 7 Fialen auf der 
Helmfnßgalerie, weiterhin der Helm über der südwestlichen Wendel 
treppe, ferner die daneben befindliche Fialengruppe und die 2 auf 
den östlichen Plaltformecken stehenden Fialengrnppen aufgestellt wor 
den. Hiernach wurde das Oktogongewölbe geschlossen und der Platteu- 
boden darüber versetzt, wobei aber durch Offenhaltung einer äußeren 
Gewölbkappe und Nichtverlegung einer Helmbodenplatte, eine Oeff- 
nuug belassen wurde, durch welche man die Steine zur Wendeltreppe 
ini Innern des Helms aufziehen konnte. Erst nachdem diese Treppe 
versetzt war, wurden die Turmgewölbe unter dem Oktogon und in 
der Höhe des Kirchenmittelschiff-Gewölbes eingesetzt und damit der 
Turm vollendet. 
Zur Bearbeitung des Helmes an sich sind zufolge angestellter 
Berechnungen 4400 Steinhauerarbeitstage nötig gewesen, oder bei 
200 Tagen pro Mann und Jahr und bei einem durchschnittlichen 
Stand der Stcinmetzhütte von 4 bis 5 Mann, höchstens 5 Baujahre.. 
Der 1465 begonnene Helm wird also spätestens 1470 
fertig gewesen sein. Damit stimmt die Jahreszahl 1471 am nord 
westlichen Treppenbaldachin, denn dieser ist bei der richtigen Bau 
betriebsordnung 1471 auch wirklich aufgestellt worden. Ferner 
waren zur Bearbeitung dieses Baldachins, des Helms der südwest 
lichen Wendeltreppe, der 3 Fialengruppen, sowie des Gewölbes und 
Bodens über dem Oktogon, bei einem Stand der Steinmetzhütte von 
nur 4 bis 5 Man», 3 */a Baujahre ebenfalls ausreichend, und somit 
konnte thatsächlich die Wendeltreppe im Innern des Helms um 1474( 
womit die Jahreszahl an ihrem Fuß wieder übereinstimmt, begonnen 
werden. Die Ausführung dieser Treppe und der beiden Tnrm- 
wölbungen, d. i. der letzten Turmteile, kann also schon 1475 oder 
1476, sicherlich aber um 1478 vollständig fertig gewesen sein; denn 
um 1479 wurde laut Inschrift der Baldachin im südlichen Seiten 
schiff erbaut. 
Damit dürfte nun auch die bisher verbreitet gewesene irrige 
Angabe, der Turm sei erst nach Hans Böblingers Tod um 1494 
vollendet worden, richtig gestellt sein. Hans Böblinger, der, wie 
schon gesagt, 1482 starb, hat die Turmvollendung 4 bis 6 Jahres 
überlebt. Daß die Jahreszahl aus dem Turmknopf nicht 1494, son 
dern 1654 lautet, ist schon gesagt; die Zahl ani Ausgang aus dem 
Helm auf die obere Helmgalerie aber lautet ebenfalls nicht 1484, 
sondern einfach 84, und bezeichnet die Anzahl der Treppenstufen 
im Helm. 
Nach Vollendung des Turms wurden nun noch manche bei 
seinem Aufbau zurückgestellte Zierteile nachgeholt; z. B. die Fialen, 
welche frei auf den an den Turm sich anschließenden westlichen 
Halbgiebeln der Seitenschiffe stehen. Eine davon trügt die In 
schrift „Marx Beblinger", nämlich den Namen von dem zweiten 
Sohn und Nachfolger Hans Böblingers; unter diesem Namen be 
findet sich das zugehörige Meisterzeichen des Marx, das dem seines 
Vaters ganz gleich ist, sowie die Jahreszahl 1484. Dasselbe Zeichen 
wiederholt sich noch öfters (aber stets ohne den Meisterschild), an 
der südlichen Seitenschiffgalerie und an dem Ostgiebel. — Ersichtlich 
ist nach der Tnrmvollenduug der Frauenkirchenbau nicht mehr ernst 
lich betrieben worden; Marx ist wohl deshalb auch nie als förm 
licher Kirchenbaumeister, sondern nur als leitender Balier angestellt 
gewesen. Er starb 1492, unter ihm wurde die südliche Seitenschiff 
galerie, soweit sie nicht schon vor 1420 vollendet war, fertig gebaut. 
Auch der Ostgiebel ist größtenteils unter ihm gebaut worden. Sein 
Schwager Stephan Waid hat von 1492 bis 1494 nur noch die 
letzte Hand daran gelegt; er wurde 1495 Stadtwerkmeister und 
gleichzeitig Matthäus Böblinger (der frühere Baumeister des 
Ulmer Münsters und dritte Sohn des Hans) Baumeister an der 
Frauenkirche. Dieser hat die äußeren Chormauern ein wenig erhöht, 
die Chorgalerie erbaut und'die Chorstrebepfeilerschlüsse 'mit dem 
Figurenschmuck angebracht. Er starb 1505. Nach ihm wurden nur 
noch die nördliche Schiffgalerie und deren Fialen hergestellt, ob durch 
Dionysius Böblinger (Hansens fünften Sohn), oder durch Marx von 
Stuttgart, mag dahingestellt bleiben; es ist für die allgemeine Ban 
geschichte auch unwichtig, da alles, was nach Hansens Tod entstand 
(die Arbeiten von Matthäus B. nicht ausgenommen), sehr unbe 
deutend ist. 
Beilage 7. 
Ueber den Gnu des neuen Sibliothebgebnndes in Stuttgart. 
Von Oberbaurat v. Landauer. 
Seit der in dem ersten Heft der Sitzungsprotokolle des Vereins 
für Baukunde vom Jahr 1883 näher beschriebenen Besichtigung des 
Bibliothekgebaudes durch die Vereinsmitglieder am 7. Januar 1883 
ist auch der Mitteltrakt des Sammluugsgebäudes, welcher infolge 
des Eingreifens des alten Bibliothekgebäudes in den projektierten 
Neubau erst nach Abbruch des ersteren, somit nicht gleichzeitig mit 
den übrigen Teilen, aufgeführt werden konnte, vollendet worden. 
Derselbe enthält in einer seitwärts durch Fahrrampen zu er 
reichenden Höhe von 11 Stufen über dem Straßenniveau den Haupt 
eingang und ein größeres Vestibüle, über diesem einen großen Bücher 
saal für Prachtwerke, und in der oberen Attike noch einen weitere», 
ausschließlich durch Oberlicht erleuchteten Büchersaal. 
Durch das Vestibüle, welches mit stachen, auf Gurtbögen und 
darunter befindlichen Marmorsäulen ruhenden offenen Kreuzgewölben 
überdeckt ist, gelangt man abwärts in die, die Katastersteine und das 
Lapidarium ausnehmenden, mit flachen Gewölbekappen zwischen eisernen 
Trägern überdeckten Souterrainräume, aufwärts aber, von der ersten 
Ruhbank der in der Längsachse liegenden Granittreppe ab, zur 
Rechten und Linken in die zur Aufnahme der vaterländischen Alter 
tümer bestimmten Parterresäle, sodann gerade aus durch ein zweites,
	        

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