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Steinmetzzeichen am Gewölbe des vierten Turmgeschoffes. Daran
haben viele vvn den mit der Mauer verwachsenen Rippenstücken das
Zeichen des Mathias Ensinger (1436 bis 1438), mährend an
den freien Rippenstücken das Zeichen yj vorkommt, das erst gegen
1470 an den obersten Teilen des Turmhelms »nd dann noch später
an der südlichen Seitenschiffgalerie, welche erst nach.Vollendung des
Turinhelms erbaut worden ist, wieder vorkommt. Ans dem gleichen
Grund sind auch die Füße des Oktogongemölbes so konstruiert wor
den, daß letzteres zur Stützung des Helmes in keiner Weise nötig
ist und erst nach dessen gänzlicher Vollendung eingesetzt zir werden
brauchte. Von 1464 an war also der Gang der Banarbeiten aller
Wahrscheinlichkeit nach folgender: Zuerst wurde, unter Zurücklassung
des Baldachins der nordwestlichen Wendeltreppe und der Fiale»' ans
der Helmfnßgalerie, der Turmhelm bis dahin, wo seine innere Höhl
ung aufhört, hinaufgeführt. So lange wurden die Steine im Helm
innern aufgezogen. Hierbei ist mutmaßlich ein relativ leichtes, auf
der Helmfußgalerie stehendes, äußeres Baugerüst benutzt worden,
das mit dem Wachstum des Helmes geschoßweise erhöht wurde.
Die für den massiven Teil des Helmsußes und für die große Kreuze
blume nötigen Steine werden ebenfalls int Innern des Turmes,
aber nur bis in die Mitte der Oktogonhöhe gehoben, von da durch
das nordöstliche Fenster, in welchem der Mittelpfosten noch fehlte,
auf ein Gerüst über dem dortigen Plattformdreieck gebracht und von
hier aus äußerlich an de» Versetzungsplatz aufgezogen'worden sei».
Rach der Vollendung des Turmhelnis sind dann der Baldachin über
der nordwestlichen Wendeltreppe, in beu die Fiale mit der Jahres
zahl 1471 eingebunden ist, sowie die übrigen 7 Fialen auf der
Helmfnßgalerie, weiterhin der Helm über der südwestlichen Wendel
treppe, ferner die daneben befindliche Fialengruppe und die 2 auf
den östlichen Plaltformecken stehenden Fialengrnppen aufgestellt wor
den. Hiernach wurde das Oktogongewölbe geschlossen und der Platteu-
boden darüber versetzt, wobei aber durch Offenhaltung einer äußeren
Gewölbkappe und Nichtverlegung einer Helmbodenplatte, eine Oeff-
nuug belassen wurde, durch welche man die Steine zur Wendeltreppe
ini Innern des Helms aufziehen konnte. Erst nachdem diese Treppe
versetzt war, wurden die Turmgewölbe unter dem Oktogon und in
der Höhe des Kirchenmittelschiff-Gewölbes eingesetzt und damit der
Turm vollendet.
Zur Bearbeitung des Helmes an sich sind zufolge angestellter
Berechnungen 4400 Steinhauerarbeitstage nötig gewesen, oder bei
200 Tagen pro Mann und Jahr und bei einem durchschnittlichen
Stand der Stcinmetzhütte von 4 bis 5 Mann, höchstens 5 Baujahre..
Der 1465 begonnene Helm wird also spätestens 1470
fertig gewesen sein. Damit stimmt die Jahreszahl 1471 am nord
westlichen Treppenbaldachin, denn dieser ist bei der richtigen Bau
betriebsordnung 1471 auch wirklich aufgestellt worden. Ferner
waren zur Bearbeitung dieses Baldachins, des Helms der südwest
lichen Wendeltreppe, der 3 Fialengruppen, sowie des Gewölbes und
Bodens über dem Oktogon, bei einem Stand der Steinmetzhütte von
nur 4 bis 5 Man», 3 */a Baujahre ebenfalls ausreichend, und somit
konnte thatsächlich die Wendeltreppe im Innern des Helms um 1474(
womit die Jahreszahl an ihrem Fuß wieder übereinstimmt, begonnen
werden. Die Ausführung dieser Treppe und der beiden Tnrm-
wölbungen, d. i. der letzten Turmteile, kann also schon 1475 oder
1476, sicherlich aber um 1478 vollständig fertig gewesen sein; denn
um 1479 wurde laut Inschrift der Baldachin im südlichen Seiten
schiff erbaut.
Damit dürfte nun auch die bisher verbreitet gewesene irrige
Angabe, der Turm sei erst nach Hans Böblingers Tod um 1494
vollendet worden, richtig gestellt sein. Hans Böblinger, der, wie
schon gesagt, 1482 starb, hat die Turmvollendung 4 bis 6 Jahres
überlebt. Daß die Jahreszahl aus dem Turmknopf nicht 1494, son
dern 1654 lautet, ist schon gesagt; die Zahl ani Ausgang aus dem
Helm auf die obere Helmgalerie aber lautet ebenfalls nicht 1484,
sondern einfach 84, und bezeichnet die Anzahl der Treppenstufen
im Helm.
Nach Vollendung des Turms wurden nun noch manche bei
seinem Aufbau zurückgestellte Zierteile nachgeholt; z. B. die Fialen,
welche frei auf den an den Turm sich anschließenden westlichen
Halbgiebeln der Seitenschiffe stehen. Eine davon trügt die In
schrift „Marx Beblinger", nämlich den Namen von dem zweiten
Sohn und Nachfolger Hans Böblingers; unter diesem Namen be
findet sich das zugehörige Meisterzeichen des Marx, das dem seines
Vaters ganz gleich ist, sowie die Jahreszahl 1484. Dasselbe Zeichen
wiederholt sich noch öfters (aber stets ohne den Meisterschild), an
der südlichen Seitenschiffgalerie und an dem Ostgiebel. — Ersichtlich
ist nach der Tnrmvollenduug der Frauenkirchenbau nicht mehr ernst
lich betrieben worden; Marx ist wohl deshalb auch nie als förm
licher Kirchenbaumeister, sondern nur als leitender Balier angestellt
gewesen. Er starb 1492, unter ihm wurde die südliche Seitenschiff
galerie, soweit sie nicht schon vor 1420 vollendet war, fertig gebaut.
Auch der Ostgiebel ist größtenteils unter ihm gebaut worden. Sein
Schwager Stephan Waid hat von 1492 bis 1494 nur noch die
letzte Hand daran gelegt; er wurde 1495 Stadtwerkmeister und
gleichzeitig Matthäus Böblinger (der frühere Baumeister des
Ulmer Münsters und dritte Sohn des Hans) Baumeister an der
Frauenkirche. Dieser hat die äußeren Chormauern ein wenig erhöht,
die Chorgalerie erbaut und'die Chorstrebepfeilerschlüsse 'mit dem
Figurenschmuck angebracht. Er starb 1505. Nach ihm wurden nur
noch die nördliche Schiffgalerie und deren Fialen hergestellt, ob durch
Dionysius Böblinger (Hansens fünften Sohn), oder durch Marx von
Stuttgart, mag dahingestellt bleiben; es ist für die allgemeine Ban
geschichte auch unwichtig, da alles, was nach Hansens Tod entstand
(die Arbeiten von Matthäus B. nicht ausgenommen), sehr unbe
deutend ist.
Beilage 7.
Ueber den Gnu des neuen Sibliothebgebnndes in Stuttgart.
Von Oberbaurat v. Landauer.
Seit der in dem ersten Heft der Sitzungsprotokolle des Vereins
für Baukunde vom Jahr 1883 näher beschriebenen Besichtigung des
Bibliothekgebaudes durch die Vereinsmitglieder am 7. Januar 1883
ist auch der Mitteltrakt des Sammluugsgebäudes, welcher infolge
des Eingreifens des alten Bibliothekgebäudes in den projektierten
Neubau erst nach Abbruch des ersteren, somit nicht gleichzeitig mit
den übrigen Teilen, aufgeführt werden konnte, vollendet worden.
Derselbe enthält in einer seitwärts durch Fahrrampen zu er
reichenden Höhe von 11 Stufen über dem Straßenniveau den Haupt
eingang und ein größeres Vestibüle, über diesem einen großen Bücher
saal für Prachtwerke, und in der oberen Attike noch einen weitere»,
ausschließlich durch Oberlicht erleuchteten Büchersaal.
Durch das Vestibüle, welches mit stachen, auf Gurtbögen und
darunter befindlichen Marmorsäulen ruhenden offenen Kreuzgewölben
überdeckt ist, gelangt man abwärts in die, die Katastersteine und das
Lapidarium ausnehmenden, mit flachen Gewölbekappen zwischen eisernen
Trägern überdeckten Souterrainräume, aufwärts aber, von der ersten
Ruhbank der in der Längsachse liegenden Granittreppe ab, zur
Rechten und Linken in die zur Aufnahme der vaterländischen Alter
tümer bestimmten Parterresäle, sodann gerade aus durch ein zweites,