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erhalten können, daß cs aber auch die Art der Fragestellung ist,
was eine klare Beantwortung ungemein erschwert. Der großen
Dringlichkeit der Sache halber kann jedoch ans die von mehreren
Seiten angeregte Verschiebung der Beratung nicht eingegangen
werden.
Bei der Einzelberatung, für die nur an der Hand der 35
Fragen eine eingehende Berichterstattung möglich wäre. werden die
Kommissionsanträge in alle» wesentlichen Zügen gutgeheißen. Es
wird, entgegen der aus den Fragen herauszulesenden Anschauung,
nach welcher in Norddeutschland eine obligatorische Meisterprüfung
für nötig erachtet wird, fast allseitig anerkannt, daß der Bauhand
werkerstand in Württemberg, abgesehen vielleicht von kleinen Ort
schaften, zu keinen Klagen Veranlassung gebe. Geschickte und un
geschickte Meister und Arbeiter habe es immer gegeben und werde
es immer geben. Einzelne Stimmen sprechen sich allerdings dahin
aus, daß zwar die Leistungen der Technik im ganzen bester ge
worden, diejenigen aber der Gehilfen, der Arbeiter, entschieden im
Rückgang begnffen seien.
Bei Frage 32 wird anerkannt, daß eine selbständige Gerichts
barkeit des Bauwesens in der Art der Handelsgerichte allerdings
zu wünschen wäre.
Der Vorsitzende spricht nach Schluß dieser Beratung und Ab
stimmung der Kommission und deren Berichterstatter den Dank des
Vereins für ihre Thätigkeit aus.
Zn ziemlich vorgerückter Stunde erst gelangt als Gast des
Vereins Herr Regierungsbaumeister Klett zum Wort, um
„Ueber Konsolträgerbrücken u
zu sprechen. Seine beifällig aufgenommenen lind durch eine reiche
Zahl von Zeichnungen und Photographien unterstützten Ausführungen
sind im Auszug die folgenden:
Die Konsolträgerbrücken, auch kontinuierliche Gelenkträger ge
nannt (engl, eantilovor driägos), haben viele Vorteile, besonders
bei großen Spannweiten und zum Ueberbrückcn tief cingeschnittener
Thäler oder tiefer Gewässer.
Das Kennzeichnende des Systems sind besonders konstruierte
Brückenträger, welche bei mehreren Brückenöffnungen über die Mittel-
pfeiler hinausragen und freiliegende Stützpunkte den Mittelträgern
bieten.
Bei einer einzelnen Oeffnung liegen die Konsolträger auf den
Widerlagern auf und sind gehörig verankert.
Dieses Brückensystem ist früher schon angewandt worden,
wieder in Vergessenheit geraten und in den 1860er Jahren von
verschiedenen Ingenieuren von neuem erdacht und weiter ausgebildet
worden.
Nach einem Vortrage des englischen Ingenieurs Baker wurde
schon vor 200 Jahren eine derartige Brücke von 30 m Spann
weite in Tibet erbaut.
Zur Ileberbrückung des East river bei Brooklyn arbeitete der
Ingenieur Pope im Jahre 1810 ein Projekt nach dem Konsol
trägersystem aus mit der bedeutende» Spannweite von 584 m;
die jetzige Brücke ist bekanntlich eine Drahtseilbrücke, jedoch dürfen
keine Lokomotiven dieselbe befahren.
In Deutschland veröffentlichte Professor Ritter Berechnungen
der Gelenkträgcrbrücken und der günstigsten Anordnung derselben;
mährend der Ingenieur Gerber das System für die Praxis aus
bildete, auch ein Patent in Bayern hierauf in den Jahren 1886/88
erwirkte und mehrere Brücken hiernach ausführte.
In England nahm O. I. Sedley ein Patent ini Jahre 1864
auf Konsolträgerbrücken mit nur einer Oeffnung und führte gegen
60 solcher Brücken aus.
Tic größte Konsolträgerbrücke und zugleich die größte Fach
werksbrücke der Welt ist seit dem Jahre 1882 bei Edinburg in
Ausführung begriffen; cs ist dies die Brücke über den Meeres
einschnitt (Firth) Forth.
Der Mecrcseinschnitt hat an der Brückenbaustelle eine Insel
unb die Brücke überseht in zwei mächtigen Oeffnungen je mit 518 m
Weite diese Stelle. Die eingehängten Mittclträger sind 106 m
lang. Der Mittelpfeiler auf der Insel selbst ist 80 m breit und
hat 4 kreisrunde Pfeiler von 104 m Höhe und 3,60 m Lichtweite,
die aus Stahlblechen zusammengesetzt sind.
Alle Druckglieder, wie die untere Gurtung und die Druck
diagonalen sind aus Röhren gebildet.
Das Gesamtgewicht der Brücke von Stahl soll sich ans
48 000 t belaufen und die Kosten die Summe von 60—70 Mil
lionen Mark erreichen.
Der Bau soll im Jahre 1889 dem Betriebe übergeben werden,
und zwar einem 2spurigen Eisenbahnbetriebe. Das Eingehe» auf
Einzelheiten des gewaltigen Baues, an dem 4 — 5000 Arbeiter be
schäftigt sind, würde Stunden Zeit erfordern.
In Amerika hat der Ingenieur Schneider verschiedene große
Brücken nach dem Systeme zur Ausführung gebracht, worunter
besonders die Brücke über den Niagara erwähnenswert ist.
Diese Brücke führt 5 Kilometer unterhalb der Wasserfälle und
ganz i» der Nähe der jetzigen Drahtseilbrücke über den noch sehr
reißenden und tiefen Strom in 3 Oeffnungen von 277,z m Ge
samtlänge.
Die zwei Mittelpfeiler (eiserne Türme von 41m Höhe) stehen
am Fuße des steile» Felseinschnittes, in Entfernungen von 150,8 m.
Der eingehängte Mittelträger ist 36,8 m lang. Es ist ein doppeltes
Fachwerkssystem mit Bolzenverbindungen, die gezogene Gurtung
besteht aus Flachstäben mit wann angestauchten Augen (eye bars).
Die untere Gurtung ist I | förmig.
Die Enden der Konsolenträger sind verankert.
Die Aufstellung der Brücke ging in der außerordentlich kurzen
Zeit von 9 Monaten vor sich, und zwar wurden die zwei Landfelder
mittels fester Gerüste montiert, die Mittelöffnung durch Hänge
gerüste, welche an fahrbaren Gestellen befestigt waren.
Die 2 geleisige Eisenbahnbrücke erforderte etwa 6000 t Stahl
| und 15 000 t Schmiedeisen.
Die Kosten belaufen sich auf etwa 2Va Millionen Mark
(600 000 Dollarsi.
In Deutschland sind hauptsächlich durch den Ingenieur Gerber
viele Brücken zur Ausführung gelangt, von denen die Igeleisige
Eisenbahnbrücke über die Luhe erläutert wird.
Hinsichtlich der Theorie dieses Brückensystemes wird erwähnt,
daß die Berechnung nach statischen Gesetzen vor sich geht, abgesehen
von Zerlegungen bei doppeltem Fachwerkssysteme, wenn der Träger
auf nur einem Punkte im Zwischenpfeiler auflagert. Sind wie
z. B. bei der Niagarabrücke aber zwei Auflager auf dem Mittel-
pfeiler vorhanden zur Druckocrteilung, so müssen die Diagonalen
im Felde über dem Pfeiler wegbleiben, wenn das System statisch
bestimmt bleiben soll. In diesem Fall werden nur Horizontalkräfte
übertragen.
Die Brücke über den Eirtb ok Eortb ist ein statisch unbe
stimmtes Fachwerk, u. a. wegen der Diagonalen in den drei Pfeiler
feldern.
Nach diesen Erörterungen geht der Vortragende zur Brücken-
konknrrenz in Mannheim über, welche leider die Nachteile des Kon-
knrrenzwesens — die Schwierigkeit der gerechten Beurteilung —
in hohem Maße mit sich geführt, dagegen auch viel Lehrreiches
geboten habe. Er bespricht die Bedingungen der Konkurrenz, den
bestehenden Zustand und die 11 eingegangenen Projekte im Ein
zelnen. (Seine Mitteilungen über die Konkurrenz sind im Auszug
erschienen in der Wochenschrift des östr. Ingenieur- und Architekten
vereins 1887 S. 332 u. ff.)
An den Vortrag, für den der Vorsitzende auch den offiziellen
Dank des Vereins erstattet, knüpfen sich noch mehrfache Erörterungen
über die Pseilcrstärken, den Bauvorgang, die Gerüste re. bei der
Mannheimer Brücke, sowie über Berechnungsweisc für die Brücke
über den Eirtb ok Eortb und die Konsolträger im allgemeinen,
an denen sich Fischer, v. Hänel, Kölle und Weyrauch
beteiligen.
Nach 11 Uhr wird hierauf die Sitzung geschlossen.
Der Schriftführer:
L a i st n e r.