21
So viel aber hat sich ergeben, daß genannte Reparaturen sich
in der Hauptsache nur auf die freistehenden fein gegliederten oder
durchbrochenen Bauteile zu erstrecken hatten, und daß die bedeckten !
oder vollen Mauerteile fast durchgehends noch in gutem Zustande
sich befinden.
In den letzten Jahrzehnten aber wurde wahrgenommen, daß
verschiedene frei stehende Teile am Hauptturm schnell der vollstän
digen Verwitterung entgegen gehen, und hat deshalb der Stiftungs
rat einen Baufonds angesammelt, im Jahre 1882 aber wurde
Herr Münsterbaumeister Beyer in Ulm veranlaßt, eine Aeußerung über
die am obern Teil des Turms sichtbaren Beschädigungen re. abzugeben,
und es hat sich Herr Beyer nach vorangegangener Untersuchung
dahin ausgesprochen, daß die frei aufsteigende kühne Wendeltreppe
infolge der schon weit vorgerückten Verwitterung des Steins in
einem baufälligen Zustande sich befinde und daß ebenso auch ver
schiedene Wasserspeier erneuert werden müssen.
Bei der von mir im Jahr 1884 vorgenommenen weiteren
Untersuchung hat es sich aber gezeigt, daß auch die zwei obersten
Turm-Etagen baufällig sind, und so wurde beschlossen, eine Ge-
samtrestanration des Turms vorzunehmen. (Redner beschreibt so
dann diese Arbeit im Einzelnen).
Die Gesamthöhe des Turms beträgt nunmehr inkl. des sog. Männ-
leins 62,11 Meter vom Kirchenboden an gemessen, welch letzterer
durchschnittlich 1,5 Meter beim Turm über dem Straßenterrain liegt.
Das Männlein selbst hat eine Höhe von 2,35 Meter.
Gleichzeitig mit der äußern Turmrestauration wurde auch im
Innern der Kirche durch die Versetzung der Orgel und der damit
zusammenhängenden Veränderung der Orgelempore eine wesentliche
Verbesserung vorgenommen. (Redner beschreibt auch diese Arbeite»).
Herr Münsterbaumeistcr Beyer ist mit der Ausarbeitung eines
für den Ausbau der Vortürme bestimmten Planes beauftragt, da
mit auch dieser für den Techniker so interessante Bau zu seiner
Vollendung gelange und die beiden Chortürme mit Helmen, das
Schiff aber mit dem ihm schon vor einem halben jahrtausend zu
gedachten Basilikadach geschmückt, und so dieses Denkmal der alt
deutschen Baukunst seinen Mitschwestern in Köln, Ulm und Eßlingen
gleichgestellt werde.
Die weiter in Heilbronn vorhandene evang. Skt. Nikolaikirche,
welche im 14. Jahrhundert erbaut und in welcher 1525 der erste
evangelische Gottesdienst gehalten wurde, ist der damaligen Zeit
entsprechend im Spitzbogen- bezw. gotischen Stil durchgeführt, be
darf aber im Innern noch eines entsprechenden Deckenausbaues.
Die katholische Kirche zu St. Peter und Paul (ehemals
Deutsch-Ordenskirche) steht mit dem Deutschen Haus (nunmehr
Landgericht) in Verbindung. Der ältere Teil dieser Kirche ist das
im streng romanischen Stil erbaute Erdgeschoß des Kirch
turms, im übrigen ist die Kirche im gothischen Stil ausgeführt,
im Jahr 1721 wurde dieselbe aber im sog. Jesuitenstil umgebaut.
(Nicht mehr vorhanden: Franziskanerkloster aus dem 13. Jahr
hundert 1270. Von den Franzosen abgebrannt. Katharinenhospital
v. 1306. Karmeliterkloster v. 1440. Klarakloster v. 1350).
Das Teutsche Haus selbst gehört in der Hauptsache der Re
naissance an und bietet mancherlei Sehenswerte. Die Gebäude
i» der Deutschhofstraße wurde» 1717 bis 1718 erstellt.
Das Rathaus auf dem Markt wurde in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts an der Stelle des 1535 abgebrannten alten
Rathauses errichtet. Dasselbe ist in der Hauptsache in der damals
schon stark entwickelten Renaissance erstellt; doch zeigen sich noch ver
schiedene gothische Formen. Besonders hervorzuheben ist die auf
Arkaden ruhende Freitreppe, die mit allegorischen Figuren: Liebe,
Wohlthätigkeit, Stärke und Gerechtigkeit geziert ist; die künstliche
Uhr, welche 1579—1580 von Harbrecht von Schaffhansen (der
die berühmte astronomische Uhr im Straßbnrger Münster vollendet
hat) verfertigt wurde.
Das sich an das Ralhans anschließende frühere Oberamtei
gebäude stammt aus dem Ende des 16. Jahrhunderts und ist mit
einem herrlichen steinernen Giebel versehen. Dieses Gebäude ist
nunmehr mit dem Rathaus vereinigt.
Da die der Witterung ausgesetzten Steine schon stark gelitten
haben, so besteht seit mehreren Jahren der Gedanke, eine Restau
ration im Aeußern vornehmen zu lassen und hat auch Herr Pro
fessor Reinhardt im Jahr 1872 einen Plan hiefür ausgearbeitet.
Ein definitiver Beschluß hierüber wurde noch nicht gefaßt, hin
gegen aber ein Fonds angesammelt.
Das Besireben geht bis jetzt dahin, bei der Restauration sich
soweit immer möglich an das Vorhandene zu halten.
Die vorgelegten Photographien gebe» in dieser Richtung den
nötigen Aufschluß.
Erwähnenswert ist noch, daß nach der Beschreibung von C.
Jäger in dem im Jahr 1535 abgebrannten Rathaus in den un
tern Räumen eine öffentliche Badstube sich befand.
Das anstoßende städtische Archiv wurde in den Jahren 1765
bis 1769 im reinen Zopfstil erbaut; einige Jahre später wurde
auch das hübsch durchgeführte alte Schießhans im Rokokostil er
stellt.
Zu den weiteren interessanten älteren Bauten gehören:
Das Wcingandsche Haus an der linken Seite des Markt
platzes — ehemalige Wohnung des Reichsschultheißen s. Plan!
welches mit der Sage des Kätchens von Heilbronn eng verknüpft und
schon aus diesem Grunde hier zu erwähnen ist. Dasselbe kann
wohl als in: Frührenaissance-Stil mit starken Anklängen an die
Gothik hergestellt, bezeichnet werden.
Das Hägelcsche Haus beim Kirchbrunnen, wohl auch eines der
ältesten Häuser.
Der jetzige Besitzer will dem erstgenannten Gebändebesitzer
bezüglich der Geburtsstätte des Kätchens den Rang streitig machen.
Erst in de» letzte» Monaten hat derselbe neben seiner Bierrestauration
auch noch eine altdeutsche Weinstube, wozu der hübsche Erker und
die alte Kasettcndecke geeignet verwendet werden konnte, eingerichtet.
Es ist dieses Lokal wohl in beiderlei Richtung den reiselustigen
Technikern zu empfehlen.
Weiter ist der Besichtigung noch wert das im Jahr 1600
erbaute alte Schlachthaus, nunmehrige historische Museum und
Botenhalle, auch die Sonne in der Sülmerstraße ans den 90.
Jahren vom vorige» Jahrhundert, welche von dem Architekten Krutt-
hofen aus der Pfalz im edlen Stil durchgeführt ist, und das
Rauchsche Haus 1804—1807 errichtet, durch Herrn Professor Rein
hardt vor 11 Jahren in edler Renaissance restauriert, dient der
Stadt zur wesentlichen Zierde; außerdem ist noch zu nennen das
Staatsrat v. Goppelische Haus, das in pompejanischer Bauweise
von Hofbaumeister Dr. Zanth erstellt wurde.
Daß aber in Heilbronn auch in den letzten Jahrzehnten auf
dem Gebiet der Bautechnik vieles und nennenswertes geschehen ist,
habe ich schon in dem geschichtlichen Teil summarisch angeführt und
darf ich deßhalb hier nur noch das Wesentlichste hievon besonders
nennen:
Die Synagoge, 1874 bis 1877 nach Wolfs Plänen im
maurisch-byzantinischen Stile meisterhaft ausgeführt. Leider aber
hat dieses Bauwesen schon bedeutende Sorgen wegen den immer
noch stattfindenden starken Setzungen hervorgerufen, und behalte
ich mir vor, auf diese Frage an einem späteren Abend zurückzu
kommen.
Der Harmoniebau in den Jahren 1876 — 77 von Professor
Reinhardt im edlen Renaissancestil und prächtiger Ausstattung der
Jnncnräume ausgeführt. Das Wohnhaus von Hagenbucher vom
gleichen Meister hergestellt. Das Bankhaus von Rümelin und das
Wohngebäude von Kaufmann Koch, von Professor Walter ausge
führt. Das im Deutsch-Renaissancestil durchgeführte Wohngebäude
von Dr. Schliz nach dem Plan von Keyser und von Großheim (s. Plan)
in Berlin hergestellt. Das Bankgebäude der Filiale der Vercins-
bank von Mautet, Moosbrugger sowie noch verschiedene andere
Wohngebäude und die neuen Schulgebäude legen Zeugnis davon
ab, daß auch in Heilbronn der Sinn für das Schöne und Edle
obwaltet.
Bezüglich der Baukosten kann ich anführen, daß in Heilbronn
der Massivbau infolge des vorhandenen Steinreichtunis wohl um
mindestens 15 °/ 0 billiger zu stehen kommt als in Stuttgart; so
stellte sich z. B. die neue höhere Mädchenschule auf 13,85 M. pro
Kubikmeter vom Terrain his inkl. Dachgesims gemessen samt der
vorhandenen Zentralheizung.