Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

Die früher üblichen Stiefel und der Gerok sind leider außer 
Gebrauch gekommen. Die militärische Kopfbedeckung bildet auch heute 
noch der sog. Schittenhelm. Der gewöhnliche Bürger trägt einfach 
eine Kapp oder ein Kliihel, die von einem sog. Kcppler angefertigt 
werden. 
Die Lebensweise ist noch ziemlich dieselbe wie früher, und 
keineswegs schlecht. Auf der Tafel sind nicht selten Hänel — oder 
wie wir sagen würden: tsieckeler — zu treffen; bei besonderen An 
lässen erscheint der sog. Kugrnhan, mitunter auch ein Kanßer. 
Die schlechten Weinjahre haben sich leider auch im Lande der 
Baukundigen fühlbar gemacht, so daß z. B. heutzutage ein Zeller 
wohl nirgends mehr aufzutreiben ist. 
Infolge dessen hat auch der Bierkonsnm wesentlich zugenommen. 
Die Herstellung des einheimischen Bieres erfolge unter der Aufficht 
eines längst im Lande ansäßigen erfahrenen Preu. 
Die Wohnungen sind sehr einfach gehalten. Das Zimmer wird 
gewöhnlich nicht tapeziert, sondern nur mit Ackert gestrichen. Das 
Lieblingshanstier der Frauen ist wie bei uns die Kah. 
Das gangbarste Geld ist der (sinlde. den Sie aber jedenfalls 
nicht nach der österreichischen Währung beurteilen dürfen. 
Eigentümliche Bezeichnungen sind für mancherlei Verrichtungen, 
bezw. Personen üblich. So heißt z. B. der Meßner: Klocker, der 
Hochwächler: lüeger, der bei uns übliche Zettelträger (vulgo Pappjean): 
Kleber. Sackträger werden: Kupfer oder Kebsacker genannt. Was 
eigentlich die Funktionen des sog. Käufer sind, habe ich nicht in Er 
fahrung bringen können. 
Gerade diese eigentümlichen Bezeichnungen haben es den Bau- 
kundigen vermutlich angezeigt erscheinen lassen, zum leichteren Verkehr 
mit fremden Besuchern des Landes einen besonderen Dolmetsch auf 
zustellen. 
Der Musik wird wenig und zudem in eigentümlicher Weise ge 
huldigt. Ein Pfeiffer ist alles, was ich an ausübenden Musikern 
angetroffen habe. 
Wesentlich besser sieht es auf dem Gebiet der Dichtkunst aus. 
Diese ist in ganz befriedigender Weise durch einen Schiller und einen 
Mörike vertreten. 
Ueber die religiösen Gebräuche scheint ein geflissentliches Still 
schweigen beobachtet zu werden. Ich kann Ihnen daher nur so viel 
mitteilen, daß dabei bis in die jüngste Zeit der Weyrauch eine 
wesentliche Rolle gespielt hat, und ein Korherr die kirchlichen Zere 
monien leitet. Der Pilgrim, den ich seinerzeit angetroffen habe, 
scheint nicht mehr im Lande zu sein. 
Was endlich die sanitären Verhältnisse des Landes betrifft, so 
hat zwar die Hauptkrankheit, der Leibbrand, sich influenzaartig aus 
gebreitet — man unterscheidet jetzt zwischen dem großen, dem kleinen 
und dem Landes-Leibbrand —, allein die Krankheit ist, wie ich schon 
früher berichtete, keineswegs gefährlich und darf Sie daher nicht 
abhalten, dem sehenswerten Lande der Baukundigen einen Besuch 
abzustatten. 
Hiezu erlaube ich mir jetzt schon, Ihnen recht viel Vergnügen 
zu wünschen! 
Das neue König Karls-Bad in Wildbad. 
Vortrag, gehalten von Oberbaurat Berner am 13. Januar 1894. 
Den Bemühungen der Badeverwaltung, insbesondere des früheren, j 
nunmehr in den Ruhestand getretenen kgl. Badearztes, Geh. Hofrats ! 
Dr. v. Renz war es zu verdanken, daß die Kgl. Finanzverwaltung ! 
sich veranlaßt fand, die Erstellung eines weiteren Bad-Etablissements ' 
nach demiDorbild des großh. Friedrichsbads im benachbarten Baden- 
Baden, wenngleich in bescheidenerem Umfange, ins Auge zu fassen 
und einen Antrag auf Bewilligung der hiefür erforderlichen Summe 
von 470 000 Jl. bei den Landständen einzubringen, welcher denn 
auch im Sommer 1889 die Genehmigung erhielt, so daß der Bau 
selbst im Herbst dieses Jahres begonnen werden konnte. - Das neue 
Etablissement sollte den Zweck erfüllen, einerseits durch die projektierten 
röniisch-irischen und russischen Bäder, sowie durch die Errichtung einer 
sog. schwedischen heilgymnastischen Anstalt die Wirkung der gewöhn 
lichen Thermalbäder zu unterstützen, andererseits sollten darin auch 
ErholungS- und Leseränme Unterkunft finden, für welche letzteren 
bisher nur in sehr bescheidenem Maße gesorgt war. 
Vorauszuschicken ist hier eine kurze Mitteilung über das sog. 
alte König Karls-Bad. — Der Umstand, daß die Thermalquellen 
besonders zur Zeit der höchsten Frequenz kaum für die Bedürfnisse 
der zahlreichen Kurgäste ausreichten, führte schon vor Jahren zu 
dem Versuch, die Ergiebigkeit der Quellen durch Bohrung zu ver 
mehren, diese Versuche wurden aber, weil erfolglos, wieder aufge 
geben, und man kam auf den Gedanken, dessen Priorität v. Renz 
beansprucht, das zur Nachtzeit unnütz abfließende Thermalwasser zu 
sammeln, und am Tage in Einzelbädern wieder zu verwenden. 
Mittelst sinnreich konstruierter Röhrenleitungcn niit Schieberver 
stellung wurde dieses 35—36 °C warme Wasser an 47 Zapfstellen in den 
Badbassins gesammelt und nach einem tiefer liegenden gewölbten Reservoir 
am linke» Enzufcr geleitet und von dort unter der Enz hindurch wieder 
in ein höher liegendes Reservoir gepumpt, das gcgeu äußere Ab 
kühlung sorgfältig geschützt war. Es soll heute auf diese hydro 
technischen Einrichtungen nicht näher eingegangen werden; wer sich 
darüber genau unterrichten will, findet Ausführliches in dem Renz'schcn 
Buch, „Das Wildbad im Württcmbcrgischen Schwarzwald"; nur soviel 
sei bemerkt, daß diese Arbeiten von ganzem Erfolg begleitet waren 
und daß die Temperatur im neuen Bassin nur etwa um 1—1,5° 
niedriger war als an den Quellen, und daß das „Nachtwasser" aus 
reichte, um dem ersten König Karls-Bad täglich etwa 100—120 
Einzelbäder zuzuführen. 
Diese erste neue Badanlage enthält, wie aus dem Grundrisse er 
sichtlich, 17 Einzelbäder, die sich um einen offenen Hof gruppieren, 
einen kleinen Wasserturm mit dem Reservoir für kaltes Wasser 
«Quellwasser) für die Touchen und die erforderlichen Nebcngelasse. 
Mit Rücksicht auf die künftige Erweiterung wurde dieses 1882 fertige 
Bauwesen gegen die Vorderseite nur mit einer provisorischen Fassade 
versehen, die nun bei Beginn des Neubaus wieder gefallen ist. — 
Nebenher sei benicrkt, daß man ursprünglich bezüglich der Ver 
wendung des Vorderplatzcs vor dem König Karls-Bad noch ganz im 
Unklaren war, resp. daß man von Konversations- und Spielsälen, 
auch von einem Theaterbau redete, bis endlich, vornehmlich mit Rück 
sicht auf den Erfolg des Fricdrichsbades in Baden-Baden der Gedanke 
an ein ähnliches in Wildbad zu errichtendes Etablissement, Boden 
gewann. 
Der Bauplatz für das neue Bad ist ein sehr beschränkter, vorn 
durch die Zufahrtstraße zu den Anlagen, seitlich durch 2 Nebengassen 
begrenzt, 40 m lang, 20,5 m tief; auf dieser Grundfläche mußten 
zwei vollständige Schwitz- und Dampfbäder, je für beide Geschlechter 
(da eine zeillickie Trennung derselben unthunlich schien) untergebracht 
werden, obgleich cs noch den gemachten Erfahrungen vielleicht besser 
gewesen wäre, nur eine Sckiwitzbadanlage zu errichten, und dieser 
dann entsprechend größere Abmessungen zu geben, denn es hat sich 
herausgestellt, daß die Damcnabteilung sehr wenig besucht wird, 
resp. daß dem Bedürfnis genügt wäre, wenn 2 Vormittage wöchentlich 
für die Damen vorbehalten wären. — Ferner waren darin die Lese 
zimmer und die Säle für Heilgymnastik, nebst Vestibül, Treppen 
haus, Ruherünmen re. einzuteilen, und es ergab sich von selbst, daß 
für die Bäder das Erdgeschoß gewählt und damit zugleich eine un 
mittelbare Verbindung niit deni alten Badgebäudc erzielt wurde, so 
daß nunmehr das Ganze ein Etablissement von sehr bedeutendem 
Umfang — ca. 1350 l,rr> (Verschiebung der Aren) — darstellt
	        

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