Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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dieser Beziehung an ihrem Latrineninspektor Löble einen vorzüglichen 
Agenten. 
Aber trotz dieser umfassenden Verfrachtung nach auswärts er 
gaben sich zu gewissen Zeiten Schwierigkeiten mit dem Absätze der 
Latrinen, indem die Nachfrage nach dem Dünger zu den verschiedenen 
Jahreszeiten eine sehr wechselnde ist. Im Frühjahr kann man bei 
nahe nicht genug Dünger beibringen, dagegen stockt der Absatz in 
der Zeit der Ernten und im Winter. 
Dies führte dazu, zur Ansammlung der Fäkalstoffc Sammcl- 
g ntbcn anzulegen und zwar zuerst auf der Stadtmarkung selbst. Der 
artige Gruben befinden sich in der sog. WärnHalde mit 2560 cbm 
sin der Nähe der neuen Weinsteige), in der Käuzen Hecke mit 
1120 cbm (in der Nähe der alten Weinsteige) und auf der Prag 
mit 3840 cbm. 
Diese Behälter wurden ganz nach Art der Wasserreservoire mit 
Gurtbögen und Gewölben ausgeführt und überdeckt. Neuerdings 
werden dieselben statt mit Gewölben mit Eisenträgern und flachen 
Betondecken überdeckt. 
Diese Gruben werden nur benützt, wenn die unmittelbare Ver-. 
Wendung der Fäkalstoffe znrDüngung und Verfrachtung nicht möglich ist. 
Aber auch außerhalb der Stadtmarkung wurden eine Reihe von 
Gruben angelegt, meistens in der Nähe der Bahnstationen, teils 
ganz auf Kosten der Stadtverwaltung, teils mit Unterstützung seitens 
derselben durch auswärtige Gemeinden oder Interessenten; im Ganzen 
mehr als 15, von welchen diejenigen in Vaihingen a. F. die 
größten sind. 
Derartige Behälter sind namentlich für die kleinen Bauern, die 
keine ganze Eiscnbahnwagenladung beziehen können, von großem 
Wert, da auch ihnen dadurch Gelegenheit geboten ist, sich ihren Be 
darf von Stuttgart zu beschaffen. Die Füllung dieser Gruben ge 
schieht meist zur Ernte oder Winterszeit, wo die Nachfrage nach 
Dünger geringer ist und die Bezugspreise wesentlich billiger sind. 
Mit Hilfe der Sammelgruben und des Bahntransportes nach 
auswärts gelang es seither, bis zu einem kleinen Teile den ge 
samten jährlichen Anfall abzusetzen, so daß nur wenig ohne Entgelt 
abgeführt werden mußte. (Vergleiche die graphische Darstellung.) 
Auch in finanzieller Beziehung fand die Stadt ihre 
Rechnung. 
Insoweit ging anfänglich alles gut. Da kam das Jahr 1892 
mit dem Ausbruch der Cholera in Hamburg und der Cholerafurcht 
bei uns. 
In übergroßer Aengstlichkeit erließ bie König!. Stadtdirektiou 
hier sofort ein Verbot des Düngens mit städtischer Latrine auf hie 
siger Markung. Da auch die anschließenden Oberämter diese Maß 
regel nachahmten, so stockte der Absatz an Fäkalien vollständig und 
die Stadtverwaltung kam in eine um so peinlichere Lage, als zu 
derselben Zeit gerade auch ihre Gruben gefüllt waren und infolge der 
Cholcrafurcht häufigere Entleerungen der Gruben verlangt wurden. 
Die Verwaltung wußte' sich schließlich nur dadurch zu helfen, daß 
sie mit der überflüssigen Latrincumasse den städtischen Wald düngte, was 
zwar unserem Oberförster recht angenehm war, dagegen unsere Wald 
spaziergänger weniger erfreute. Glücklicherweise gelang es der Stadt, 
durch energische Vorstellungen beim Königl. Ministerium des Innern 
und mit dessen Hilfe noch rechtzeitig das Verbot des Düngens hier 
und auswärts aufzuheben, sonst wären die schlimmsten Zustände hier 
eingetreten. 
Für dieses Mal war das Schlimmste noch abgewendet; allein 
die Stadt mußte sich sagen, daß wenn wirklich einmal eine Epidemie 
hier ausbrechcn sollte, der Absatz und die Verfrachtung der Fäkalien 
alsbald vollständig unmöglich würde und man bei der Unzulänglich 
keit der Gruben und dem in diesem Falle unwiderruflich eintretenden 
Verbote des Düngens der Grundstücke mit Latrinenmasse nicht wüßte, 
wohin man die Fäkalien verbringen solle. 
Dies führte zu dem Gedanken, der Frage der künstlichen 
Verarbeitung der flüssigen Fäkalstoffe zur Trocken - Substanz, 
der sog. Poudrette, näher zu treten. 
Auch von anderen Gesichtspunkten aus wird meines Erachtens 
die Stadtverwaltung zur Poudrette-Bereituug gedrängt. 
Die große Abhängigkeit von den äußeren Umständen, insbesondere 
den Witterungsvcrhältnissen und der jeweiligen Nachfrage nach dem 
Fäkaldünger auf dem Lande ist ein schwerer — wohl zu beobach 
tender — Mißstand im bisherigen System. 
Hiezu kommt, daß mit dem Anwachsen der Bevölkerung der An 
fall von Jahr zu Jahr ziemlich rasch steigt, wogegen der Absatz 
immer schwieriger wird, teils infolge des billigen Bezuges künstlichen 
Düngers, teils durch den Umstand, daß auch andere Städte in der 
Umgebung, wie Ludwigsburg, Gmünd, Heilbronn u. s. w., ihre Fäkal 
stoffe verkaufen und uns dadurch Konkurrenz machen. 
Ich bin der Ansicht, daß wir bezüglich des Absatzes an Fäkal 
dünger und dessen Verfrachtung nach auswärts an der Grenze der 
Leistungsfähigkeit angelangt sind. Trotzdem, daß von seiten der 
Latrincnverwaltung schon seit längerer Zeit Allem aufgeboten wurde, 
um die anfallenden Fäkalstoffe möglichst rasch und vorteilhaft fort 
zubringen und daß zu diesem Zwecke in den letzten Jahren noch 
eine Reihe größerer Sammelgruben gebaut wurde, mußte in den 
vergangenen Jahren doch ein ziemlich erheblicher Teil auf städtische 
Güter verbracht oder unentgeltlich abgeführt werden. 
Dian darf also nach diesen Erfahrungen es als sicher annehmen, 
daß jährlich nicht mehr als 60—70000 cbm verkaufsweise abgegeben 
werden können. Hieraus folgt, daß der Ueberschuß an Latrinendünger 
von Jahr zu Jahr wachsen und im Jahre 1900 bereits 30000 cbm 
int Jahr überschreiten wird. Dies bedingt nicht allein einen erheb 
lichen Ausfall an Einnahmen, sondern es wird auch schwierig werden, 
diese Massen überhaupt irgendwo unterzubringen. 
Hiezu kommt, daß auch einzelne unserer Sammelgruben auf 
hiesiger Markung, wie z. B. diejenige auf der Prag der Ausdehnung 
der Stadt hinderlich sind und in Bälde beseitigt oder weiter nach 
auswärts verlegt werden müssen. 
So wirkt Alles zusammen, steigender Anfall, geringerer Absatz 
und erhöhte Transportkosten, ungünstig und wenn Nichts geschieht, 
so wird man auch sehr bald in finanzieller Hinsicht die Wirkung 
dieser ungünstigeren Verhältnisse zu bemerken haben. 
In welchem Maße dies voraussichtlich eintreten wird, kann 
man ans der graphischen Darstellung der Betriebsausgaben und Ein 
nahmen erkennen, nach welcher sich im Jahre 1900 die Betriebs 
ausgaben auf jährlich 580 000 Jl. und die Einnahmen nicht höher 
als bisher, nämlich auf 180000 Jk stellen werden, so daß von der 
Bürgerschaft der Fehlbetrag mit ca. 400 000 Jk. gedeckt, bezw. die 
Leerungsgebühren, die jetzt schon hoch genug sind, um mehr als das 
Doppelte erhöht werden müßten. 
Dieser Eventualität kann nur durch Erschließung eines 
größeren Absatzgebietes vorgebeugt werden und letzteres ist 
mittelst der schwerfälligen Verfrachtung des nassen Fäkaldüngers nicht 
möglich; hiezu eignet sich allein der Trockendünger, die Poudrette. 
Das Verfahren der künstlichen Verarbeitung der Fäkalien 
bietet nach Lage der hiesigen Verhältnisse folgende Vorteile: 
1) es schließt sich eng an das bestehende System mit Gruben 
und getrennter Abfuhr der Abfallstoffe an; 
2) die seitherige Verfrachtung der Rohfäkalien nach auswärts 
und in die Gruben kann unbehindert fortbetrieben werden; 
es ist nur die überschüssige Masse künstlich zu verarbeiten; 
3) die Poudrettierung läßt sich ganz nach Bedarf ausdehnen. 
Die schwierigste Frage hiebei ist die Platz frage für die zu 
errichtende Poudrette-Fabrik. An dieser Frage hätte die Verwirk 
lichung der ganzen Idee der Poudrettierung scheitern können. 
Entscheidend für die Wahl des Platzes ist neben thnnlichster 
Entfernung von menschlichen Wohnstätten der bedeutende Bedarf an 
Wasser zur Kondensierung der Dämpfe aus den Eindampf- und 
Trockenapparaten der Fabrik. 
Derselbe beträgt bei dem bis jetzt in Aussicht genommenen 
Podcwilsschen Verfahren das 12—15fache des zu verarbeitenden 
Quantums, also bis zu 150 cbm in der Stunde. 
Da ein derartiges Wasserquantum in der Umgegend nur am 
Neckar mit Sicherheit jeder Zeit zu treffen ist, so mußte man von 
allen etwa sonst geeigneten und in Vorschlag gebrachten Plätzen bei 
Heslach, bei Bothnang, bei Vaihingen a. F. u. s. w. absehen. Hie 
bei kommt noch in Betracht, daß bei allen diesen Plätzen die Fäkal- 
massen zuerst mittelst Pumpen gehoben werden müßten, während 
allein nach dem Neckar genügendes natürliches Gefäll für die Be 
förderung der Latrinen vorhanden ist.
	        
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