Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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für die Ortpfeiler fester Tuff, Kiesfels, Kies und darunter 
Letten angefahren wurden, zeigten die Baustellen für die Zwi 
schenpfeiler unter losem Sand und Kies mächtige Lettenlager, 
und erst in 9 bis 10 m Tiefe feste Mergelbänke von beträcht 
licher Mächtigkeit. Hiermit war die Grundlage für den Grün 
dungsplan vollständig verändert, und es war um so nötiger 
geworden, die Durchflussweite thunlichst zu beschränken, 
wenn die Baukosten nicht ins ungemessene wachsen sollten. 
Die teuere Gründung der Zwischenpfeiler zwang zu mög 
lichster Verringerung ihrer Zahl, also zu grossen Spann 
weiten für die Brücke. Für den Oberbau der letzteren 
schien nur eine Konstruktion empfehlenswert, bei welcher 
die tragenden Teile Fahrbahn und Nebenwege nicht trennen: 
man war sonach auf Bogenkonstruktionen angewiesen. Für 
eine weitgespengte Bogenbrücke schien Pfahlfundation in 
einem mit Sauerwasser durchtränkten Grunde, der Tannen 
holz erfahrungsgemäß gefährlich wird, nicht rätlich; bei der 
bis zu 10 m reichenden Fundationstiefe konnte daher eine 
Luftdruckgründung in betracht kommen. 
Die Bogenbrücke selbst wurde als Stein- oder als 
Stahlbrücke entworfen, je mit 5 Bogen bis zu 50 m 
Spannweite und etwa Vio Pfeilhöhe. Die Bogenbrücke 
wurde nach Leibbrand 'schern System mit 3 Gelenken be 
arbeitet; ihre Abmessungen wurden im Anschluss an die 
neuesten Leibbrand’schen Ausführungen im Murr- und Enz- 
thal so kühn als möglich gewählt, um die Brücke bei voller 
Sicherheit so billig als thunlich bauen zu können; das Wölb 
material — bunter Sandstein von Waldsindlingen — sollte 
bis auf 60 kg/qcm in Anspruch genommen, die Bögen in 
5 Ringen neben einander gewölbt werden. Für die Stahlbrücke 
war basisches Martinflusseisen in Aussicht genommen mit 
einer Inanspruchnahme bis zu 1000 kg/qcm. Die Kosten 
einer 15,5 m breiten Brücke waren für Stein auf 1200 000 «/Ä, 
für Flusseisen auf 1400000 ^ berechnet; auf Gründungen 
entfielen hierbei 380000 JL. Beachtenswert ist hierbei, dass 
die Kosten der neuen Steinbrücke 315 ^ für 1 qm Brücken 
tafel betragen haben würden, während die 60 Jahre zuvor er 
baute Wilhelmsbrücke 310 JL, also nur 4 pCt weniger ge 
kostet hat. Der Verfasser des Planes glaubte jedoch vor 
schlagen zu sollen, man möge der Brücke 18 m statt 15,5 m 
Breite geben, damit auf ihr nicht nur ein, sondern zwei 
Pferdebahngleise gelegt werden können und der Verkehrszu 
nahme auf lange Zeit hinaus Rechnung getragen werde; der 
hiermit verbundene Mehraufwand wurde zu 100000 Jl be 
rechnet. Nach längeren Verhandlungen mit den Städten Stutt 
gart und Cannstatt, bei welchen seitens der ersteren Geneigt 
heit bestand, für die neue Brücke den Schwanenplatz in Berg 
als Ausgangspunkt zu beanspruchen, einigte man sich aller 
seits darüber, dass die bisher staatlicherseits gewählte 
Brückenbaustelle, welche einen überaus schönen und zweck 
mässigen Anschluss der durch die königlichen Anlagen zu 
führenden Cannstatterstrasse an die neue Brücke ermöglichte, 
beibehalten werden solle; die Ansteigungen gegen die Brücken 
mitte wurden auf der Stuttgarter Seite zu 1 pCt, auf der 
Cannstatter Seite zu 2 pCt, die Brückenbreite zu 18 m fest 
gesetzt und bestimmt, dass auf der Cannstatter Seite eine 
nahezu ebene Verbindung vom Brückenende zum Bahnhof 
Cannstatt zur Ausführung gelange. Die Baarbeiträge der 
Interessenten, nämlich der Städte Stuttgart und Cannstatt, 
der Amtskörperschaft Cannstatt und der Kgl. Eisenbahnver 
waltung, erreichten nun die Summe von 290000 JL bei 
1 300000 ^ Gesamtaufwand. 
Die Stände genehmigten im April 1891 eine erste hälf 
tige Rate zum Brückenbau von 500000 JL, ohne — selbst 
verständlicherweise — die Regierung über die Art und Weise 
der Ausführung der Brücke zu binden. Die Bauverwaltung 
nahm zunächst die Ausführung der Steinbrücke in Aussicht. 
Die Gründungsarbeiten im Betrage von 391000 ^ konnten 
Ende August 1891 an Holzmann & Cie. in Frankfurt und 
Jooss & Cie. in Stuttgart vergeben werden. Die Arbeiten 
sind seither in regem Gange. Eine 535 m lange, 2 Gleise 
tragende Holzbrücke führt vom Bahnhof Cannstatt zu den 
Arbeitsstätten. Der linksseitige Ortpfeiler konnte mit voll 
ster Sicherheit auf festem Tuff und darunter liegendem Kies 
fels und Kies gegründet werden. Der rechtseitige Ortpfeiler 
brachte jedoch eine leidige Täuschung, indem der daselbst 
angefahrene Kiesfels sich nur auf die Hälfte der Baugrube 
erstreckte; in der anderen Hälfte fand er seine Fortsetzung 
durch schlammigen Kies; darunter lagerte 1,8 bis 2,8 m mäch 
tiger Kies auf Letten. Auf solchem Grund konnte ein 
sicherer Stützpunkt für eine die Fundamentsohle mit 5 kg/qcm 
pressende Steinbrücke nicht gewonnen werden; Pfähle bieten 
keinen genügenden Ersatz für Fels; es wäre daher nur mög 
lich gewesen, auch hier mit Luftdruck 9 m tief bis auf die 
festen Mergel zu gründen, was einen Mehraufwand von 
100000 JL zur Folge gehabt hätte. Hierzu standen keine 
Mittel zur Verfügung; man entschloss sich deshalb ohne wei 
teres zur Ausführung der Stahlbrücke, nachdem die 
Eisenpreise seit der erstmaligen Aufstellung des Voran 
schlages um 25 pCt zurückgegangen waren. Eine Stahlbrücke 
drückt den Baugrund (Kies) des rechten Ortpfeilers nur mit 
3 kg/qcm, und hierfür ist er tragfähig genug. 
Die Gründung der Zwischenpfeiler mittels Luftdruckes 
nahm inzwischen ruhig ihren Fortgang. Sie ist nichts unbedingt 
neues, sie wird nur zum erstenmal in unserem Lande ange 
wendet. Im Jahre 1859 führte Fleur-Saint-Denis an der Rhein 
brücke bei Kehl zum erstenmal eine Brückengründung mit 
Caissons oder eisernen Senkkasten aus; seither haben sich 
insbesondere Gärttner in Wien, Zschocke in Paris und 
Holzmann in Frankfurt auf dem Kontinent um weitere 
Ausbildung des Verfahrens verdient gemacht. 
Der eiserne Senkkasten eines Flusspfeilers ist 26,7 m 
lang, 6,8 m breit, 3,5 m aussen, 2,5 m im Lichten innen hoch; 
er wiegt rd. 50 t und ist aus Eisen- oder Stahlblech her 
gestellt. Die Umfassungswände sind keilförmig und haben 
unten eine starke, durch einen Gussklotz und eine 15 mm 
dicke Stahlplatte verstärkte Schneide; das tragende Eisenge 
spärre des Senkkastens liegt im Arbeitsraum, ohne die Ar 
beiten daselbst zu behindern. Auf dem Senkkasten, in der 
Mitte der durch 32 cm hohe Walzeisen verstärkten Blech 
decke von 7 mm Stärke, erhebt sich ein eiserner Schacht von 
88 cm Weite, der zum Durchgang der Mannschaft, zum 
Heben des ausgegrabenen Bodens und zum Einbringen des 
Füllbetons dient; er ist mit Steigleiter und Aufzug versehen; 
am unteren Ende befindet sich eine Verschlussklappe. Auf 
dem Senkkasten sitzt eine kubische Arbeitskammer von 1,9 m 
Weite mit 12 mm dicken gebogenen Blech Wandungen; an der 
Decke derselben befindet sich eine kleine Vapferdige Druck 
luftmaschine zum Heben und Ablassen des Materials. Von 
der Arbeitskammer führt eine 50 X 80 cm grosse, mit Kaut 
schukdichtung versehene Thür zu der angebauten Mann 
schaftsschleuse, die 1,7 m lang, 1,7 m hoch und 0,45 m breit 
ist und Raum für 3 Mann bietet; aus der Schleuse führt eine 
ebensolche Thür ins Freie. Auf dem Boden der Arbeits 
schleuse sind 2 Klappen von 0,35 m Dmr. angebracht, an 
welche sich senkrechte Röhren von 1,5 m Länge und 0,45 m 
Weite anschließen, die unten durch nach aussen aufschlagende, 
mit Verschlussschrauben versehene Thüren von 0,3 m auf 
0,7 m versehen sind. Diese Röhren, »Hosen« genannt, dienen 
zum Ausschleusen des ausgegrabenen, in Eimern gehobenen 
Bodens. Soll Beton in den Senkkasten eingebracht werden, 
so werden die Hosen an Stützen im Innern der Arbeitskam 
mer angeschraubt, welche sich an der Decke der letzteren 
befinden. Der Senkkasten der Flusspfeiler hängt an starken 
Holzgerüsten mittels 12 Schrauben von 80 mm innerem 
Durchmesser, an die sich Ketten anschließen. Die Luftbe 
schaffung erfolgt mittels zweier Kompressoren mit Wasser 
kühlung, die zusammen in 1 Stunde 410 cbm atmospärische 
Luft in den Arbeitsraum pressen. Da der Luftraum des 
Senkkastens 320 cbm fasst, der Verlust durch Mannschafts 
und Materialschleusungen in der Stunde nur 4,5 cbm beträgt, 
so bleibt eine stündliche Luftzufuhr von 315 cbm, was einer 
Vamaligen Lufterneuerung bei 1 Atm. Ueberdruck entspricht. 
Die Luft im Senkkasten ist thatsächlich sehr rein und frisch; 
sie hat meist 17,5° C. Zwei Lokomobilen von 40 PS treiben 
die Kompressoren. Die Luftzuleitung zur Arbeitsstelle er 
folgt in 62 mm weiten Gussrohren mit Kautschukmuffendich 
tung. Am Pfeiler wird die Luft in drei Schmiedeisenröhren 
verteilt, von denen zwei zur Decke des Senkkastens und eine 
zur Luftmaschine führen. Kautschukrohre mit Drahtspiral 
einlagen ermöglichen das Senken des Senkkastens ohne
	        

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