Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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überaus vorteilhaft ab. Möge die Herrichtung des Mittelschiffes 
bald folgen. 
Nun schickte inan sich zur Besteigung der Türme an. In einem 
der beiden Chortürme gelangte man zu dem schönen oberen Chor 
umgang und von hier über den Dachboden des Mittelschiffes in den 
Hauptturm. Die Ingenieure konnten sich hier mit Studien über 
Dachstnhlkonstruklionen abgeben; nach Angabe des Herrn Professor 
Laißle hat der Entwurf des Eiseugestühles über dem Chor ihm 
manche Schwierigkeiten verursacht. Weiter ging es nun durchs Viereck 
und durchs Achteck des Turmes; am Fuß der Pyramide wurde kurzer 
Halt gemacht. Wer nun wohl noch weiter gehen wird? dachten wir, 
und siehe, alle haben die ganze Höhe bis zum obersten Kranz 
vollends erklommen, Männlein und Weiblein; sie haben sich ergötzt 
an dem mit so wunderbar schönen Formen geschmückten und in kon 
struktiver Beziehung wohldurchdachten Werke und sich erfreut an dem 
lieblichen Blick in die reichgesegneten Lande, die in herrlicher Pracht 
vor ihnen lagen. Keines von ihnen wird den Gang bereuen; die 
steinernen Gebilde aber haben jedem aufs neue ungeheuchelte Be 
wunderung deren Schöpfer gegenüber abgerungen; Erstaunen und 
höchste Befriedigung prägten sich auf allen Gesichtern aus. 
Drüben in der Donau war schon lange ein buntbewimpeltes, 
mit Tannen geziertes Schiff bemerklich geworden. „Um 6 Uhr 
Wasserfahrt in die Friedrichsau", hieß es im Programm. Es war 
Zeit zum Aufbruch; in munterem Schritt gings die so und so viel 
Stufen des Münsterturms hinunter und hinaus zur „Ziegellände"; 
dort lag das aus drei Booten zusammengekuppelte Wasserfahrzeug 
vor Anker. Alle Mann an Bord, fertig zur Abfahrt. Unter sicherer 
Führung schaukelte das Schiff in den grünen Fluten der „blauen" 
Donau, nicht ohne die Neugier des Publikums zu erregen, thal 
abwärts; einer der Unsrigen winkte auch von der Ludwig-Wilhelms 
brücke herab, er hatte wohl inzwischen seine Kehle benetzt? Nach etwa 
'/r ständiger Fahrt langten wir am Ziele an. Die Veranstalter 
dieses Vergnügens haben sich um das Gelingen des Ausflugs ein 
ganz besonderes Verdienst erworben; selbst diejenigen, welche der 
Kürze der Zeit wegen beabsichtigten, sich um diesen Punkt des Pro 
gramms zu drücken, hatten die Mitfahrt nicht zu bereuen, um so 
weniger, als die einstündige Rast im Garten der Gesellschaft „Hunds- 
komödie" reichlich Gelegenheit zur Erholung bot. Dort waren in 
liebenswürdigster Weise Tische für die Besucher frei gehalten worden; 
schließlich wurde auch noch ein Ehrentrunk aus dem großen Gesell 
schaftskrug kredenzt. 
Mit einbrechender Dämmerung wurde der Rückweg zur Stadt 
angetreten; den letzten Punkt der Tagesordnung bildete ein gemein 
Mitteilungen über den Ausbau des 
Vortrag vom Münsterbaumcister Professor i 
Einer Einladung unseres verehrten Herrn Vorstandes folgend, 
möchte ich Ihnen heute einige Mitteilungen machen über den Ausbau 
des Hauptturmes vom Ulmer Münster und im Anschluß daran über 
die hier ausgestellten Zeichnungen, nach welchen der Ausbau erfolgt 
ist, die nötigsten Erläuterungen beifügen. Was ich dabei vorzeigen 
kann, sind leider keine Zeichnungen, die geeignet sind, ausgestellt zu 
werden; es sind mit wenigen Ausnahmen Wcrkzeichnungen, indeß 
kann auch aus diesen in der äußeren Erscheinung wenig versprechen 
den Zeichnungen ein Bild vom Ausbau in seinem Entstehen und in 
seiner Vollendung gewonnen werden, insbesondere wird ihre Durch 
sicht für diejenigen Mitglieder unseres Vereins, die dem beabsichtigten 
Ausflug nach Ulm sich anschließen und dabei auch das Münster be 
suchen wollen, als eine Art Vorbereitung für eingehendere Besichtigung 
der neuen Teile desselben angesehen werden können. Diese Mit 
teilungen beginnen mit einigen Bemerkungen über die Verstärkungen 
vom bestehenden Turm, die dem Ausbau vorangehen mußten. 
Schon im Jahre 1494 hat der Turm verstärkt werden müssen. 
Eine aufgemalte Inschrift in der unteren Turmhalle, rechts vom Ein 
gang, die durch den in den fünfziger Jahren eingesetzten Thrän'schen 
Orgelunterbau verdeckt war, nach Entfernung desselben zum Vor 
schein kam und jetzt durch die infolge des Einbaues der neuen Ver- 
schaftliches Abendessen im „Russischen Hof", an welchem neben den 
Ehrengästen die Vereinsmitglieder mit ihren Damen in fast un 
geschmälerter Zahl teilnahmen. Einige der auswärtigen Kollegen 
hatten ihren Heimweg leider etwas früher antreten müssen. Die 
behagliche Stimmung wurde bald durch zahlreiche Toaste gehoben. 
Der Herr Vereinsvorstand eröffnete dieselben; er vermochte zunächst 
ein berechtigtes Bedauern über die geringe Beteiligung seitens der 
Stuttgarter Vereinsgenoffeu nicht zu unterdrücken, deren lauten Bei 
fall der Vorschlag, dem Herrn Münsterbaumeister für seinen Vortrag 
den Dank des Vereins durch einen Besuch abzustatten, vor acht Tagen 
gefunden habe. Er gab der Anerkennung Ausdruck für den freund 
liche Empfang durch die hiesigen Ehrengäste und Mitglieder, sowie 
für die gebotenen Genüsse; insbesondere aber galt sein Dank dem 
Herrn Prof. Dr. v. Beyer. .Die Stadt Ulm sei zu beglückwünschen, 
daß sie sich diesen Meister dazu erwählt habe, ihr Wahrzeichen der 
Vollendung zuzuführen. Mit hervorragendem künstlerischen Sinn, 
zielbewußter Thatkraft und ausgesuchtem Geschick habe der Kollege 
seine Aufgabe gelöst; stolz und erhaben stehe nun das großartige 
Werk da, seinem Schöpfer zur Ehre und zugleich ein Zeichen dafür, 
daß der geeinte Bürgersinn der ehemaligen Reichsstadt nicht aus- 
gestorben sei, sondern sich bis auf den heutigen Tag erhalten habe. 
Dem Herrn Münsterbaumeister galt sein „Hoch", in das Alle kräftig 
einstimmten. Dieser wies darauf hin, daß sich außer ihm auch 
Andere um den Ausbau des Münsters verdient gemacht haben; ei- 
erwähnte seine Vorgänger und gedachte in besonders herzlichen Worten 
des hochverdienten Beirates des Münsterkomites, des Herrn Hof 
baudirektors v. Egle; diesem seinem verehrten Lehrer und Meister 
war sein „Hoch" gewidmet. Noch folgten weitere Toaste aus der 
Tafelrunde auf den Vereinsvorstand Herrn Präsident v. Leibbrand, 
dem in erster Linie Dank für die Veranstaltung des Ausflugs ge 
bühre, auf die Damen, auf die häufige Wiederkehr solcher Zusammen 
künfte zwischen den Stuttgarter und Ulmer Kollegen und der letzteren 
unter sich. Ehe zum Aufbruch gerufen wurde, erhob sich nochmals 
der Vorstand und betonte, daß zwar der Herr Münsterbaumeister 
heute immer von den einzelnen Werken am Münster, von ihrem 
Schöpfer aber nicht gesprochen habe; eine so weit gehende Bescheiden 
heit sei nicht ganz gerechtfertigt und er hoffe, daß sich der große 
Meister bald dazu entschließen werde, sein „gar nicht uninteressantes 
Contrefei" an einer bevorzugten Stelle des Münsters anzubringen. 
— Wir wünschen, daß diese Worte den Weg zur richtigen Adresse 
gefunden haben. 
So war Alles aufs Schönste verlaufen, hochbefriedigt und ver- 
guügt kehrten wir in unsere Heimat zurück; es war ein Semester 
schluß, wie er harmonischer nicht gefeiert werden konnte. 
Hauptturmes vom Münster in Ulm. 
r. von Beyer, gehalten am 13. Juli 1895. 
stärkungen notwendig gewordenen Veränderungen in der Turmhalle 
wieder verdeckt ist, lautet: „Das hat man underfaren, da man zalt 
1494." Es sind also schon zu jener Zeit bedenkliche Bewegungen 
am Turm eingetreten, es sind Risse an Bögen und Gewölben ent 
standen und es sollen im Jahre 1492 an einem Sonntag während 
des Gottesdienstes Steine aus dem Turmgewölbe herabgefallen sein. 
Nach der Überlieferung mußte wegen dieser Vorfälle der damalige 
Baumeister am Münster, Mathäus Böblinger, flüchten, und sein Nach 
folger Burkhard Engelberg von Hornberg in Württemberg, der be 
rühmte Erbauer von St. Ulrich und Afra in Augsburg, der später 
die prächtigen Seitenschiffgewölbe des Münsters eingebaut hat, hat 
damals schon den Turm stützen müssen. Es geschah dies durch 
völliges Ausmauern der Bogenöffnungen an der Süd- und Nordseite 
des Turmes, sowie der an den Turm anstoßenden Arkadenöffnungen 
des Mittelschiffs, ferner durch Einziehen einer Mauer quer durch das 
südliche und nördliche Seitenschiff in der Richtung der östlichen Turm 
wand. Durch diese Engelberg'schen Unterfahrungen scheinen die Be 
wegungen am Turm zur Ruhe gekommen zu sein. Vierhundert 
Jahre später, als es sich wieder um Verstärkungen am Turm ge 
handelt hat, ist man in der Hauptsache nach demselben Prinzip ver 
fahren, nur in anderer Form.
	        

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