36
überaus vorteilhaft ab. Möge die Herrichtung des Mittelschiffes
bald folgen.
Nun schickte inan sich zur Besteigung der Türme an. In einem
der beiden Chortürme gelangte man zu dem schönen oberen Chor
umgang und von hier über den Dachboden des Mittelschiffes in den
Hauptturm. Die Ingenieure konnten sich hier mit Studien über
Dachstnhlkonstruklionen abgeben; nach Angabe des Herrn Professor
Laißle hat der Entwurf des Eiseugestühles über dem Chor ihm
manche Schwierigkeiten verursacht. Weiter ging es nun durchs Viereck
und durchs Achteck des Turmes; am Fuß der Pyramide wurde kurzer
Halt gemacht. Wer nun wohl noch weiter gehen wird? dachten wir,
und siehe, alle haben die ganze Höhe bis zum obersten Kranz
vollends erklommen, Männlein und Weiblein; sie haben sich ergötzt
an dem mit so wunderbar schönen Formen geschmückten und in kon
struktiver Beziehung wohldurchdachten Werke und sich erfreut an dem
lieblichen Blick in die reichgesegneten Lande, die in herrlicher Pracht
vor ihnen lagen. Keines von ihnen wird den Gang bereuen; die
steinernen Gebilde aber haben jedem aufs neue ungeheuchelte Be
wunderung deren Schöpfer gegenüber abgerungen; Erstaunen und
höchste Befriedigung prägten sich auf allen Gesichtern aus.
Drüben in der Donau war schon lange ein buntbewimpeltes,
mit Tannen geziertes Schiff bemerklich geworden. „Um 6 Uhr
Wasserfahrt in die Friedrichsau", hieß es im Programm. Es war
Zeit zum Aufbruch; in munterem Schritt gings die so und so viel
Stufen des Münsterturms hinunter und hinaus zur „Ziegellände";
dort lag das aus drei Booten zusammengekuppelte Wasserfahrzeug
vor Anker. Alle Mann an Bord, fertig zur Abfahrt. Unter sicherer
Führung schaukelte das Schiff in den grünen Fluten der „blauen"
Donau, nicht ohne die Neugier des Publikums zu erregen, thal
abwärts; einer der Unsrigen winkte auch von der Ludwig-Wilhelms
brücke herab, er hatte wohl inzwischen seine Kehle benetzt? Nach etwa
'/r ständiger Fahrt langten wir am Ziele an. Die Veranstalter
dieses Vergnügens haben sich um das Gelingen des Ausflugs ein
ganz besonderes Verdienst erworben; selbst diejenigen, welche der
Kürze der Zeit wegen beabsichtigten, sich um diesen Punkt des Pro
gramms zu drücken, hatten die Mitfahrt nicht zu bereuen, um so
weniger, als die einstündige Rast im Garten der Gesellschaft „Hunds-
komödie" reichlich Gelegenheit zur Erholung bot. Dort waren in
liebenswürdigster Weise Tische für die Besucher frei gehalten worden;
schließlich wurde auch noch ein Ehrentrunk aus dem großen Gesell
schaftskrug kredenzt.
Mit einbrechender Dämmerung wurde der Rückweg zur Stadt
angetreten; den letzten Punkt der Tagesordnung bildete ein gemein
Mitteilungen über den Ausbau des
Vortrag vom Münsterbaumcister Professor i
Einer Einladung unseres verehrten Herrn Vorstandes folgend,
möchte ich Ihnen heute einige Mitteilungen machen über den Ausbau
des Hauptturmes vom Ulmer Münster und im Anschluß daran über
die hier ausgestellten Zeichnungen, nach welchen der Ausbau erfolgt
ist, die nötigsten Erläuterungen beifügen. Was ich dabei vorzeigen
kann, sind leider keine Zeichnungen, die geeignet sind, ausgestellt zu
werden; es sind mit wenigen Ausnahmen Wcrkzeichnungen, indeß
kann auch aus diesen in der äußeren Erscheinung wenig versprechen
den Zeichnungen ein Bild vom Ausbau in seinem Entstehen und in
seiner Vollendung gewonnen werden, insbesondere wird ihre Durch
sicht für diejenigen Mitglieder unseres Vereins, die dem beabsichtigten
Ausflug nach Ulm sich anschließen und dabei auch das Münster be
suchen wollen, als eine Art Vorbereitung für eingehendere Besichtigung
der neuen Teile desselben angesehen werden können. Diese Mit
teilungen beginnen mit einigen Bemerkungen über die Verstärkungen
vom bestehenden Turm, die dem Ausbau vorangehen mußten.
Schon im Jahre 1494 hat der Turm verstärkt werden müssen.
Eine aufgemalte Inschrift in der unteren Turmhalle, rechts vom Ein
gang, die durch den in den fünfziger Jahren eingesetzten Thrän'schen
Orgelunterbau verdeckt war, nach Entfernung desselben zum Vor
schein kam und jetzt durch die infolge des Einbaues der neuen Ver-
schaftliches Abendessen im „Russischen Hof", an welchem neben den
Ehrengästen die Vereinsmitglieder mit ihren Damen in fast un
geschmälerter Zahl teilnahmen. Einige der auswärtigen Kollegen
hatten ihren Heimweg leider etwas früher antreten müssen. Die
behagliche Stimmung wurde bald durch zahlreiche Toaste gehoben.
Der Herr Vereinsvorstand eröffnete dieselben; er vermochte zunächst
ein berechtigtes Bedauern über die geringe Beteiligung seitens der
Stuttgarter Vereinsgenoffeu nicht zu unterdrücken, deren lauten Bei
fall der Vorschlag, dem Herrn Münsterbaumeister für seinen Vortrag
den Dank des Vereins durch einen Besuch abzustatten, vor acht Tagen
gefunden habe. Er gab der Anerkennung Ausdruck für den freund
liche Empfang durch die hiesigen Ehrengäste und Mitglieder, sowie
für die gebotenen Genüsse; insbesondere aber galt sein Dank dem
Herrn Prof. Dr. v. Beyer. .Die Stadt Ulm sei zu beglückwünschen,
daß sie sich diesen Meister dazu erwählt habe, ihr Wahrzeichen der
Vollendung zuzuführen. Mit hervorragendem künstlerischen Sinn,
zielbewußter Thatkraft und ausgesuchtem Geschick habe der Kollege
seine Aufgabe gelöst; stolz und erhaben stehe nun das großartige
Werk da, seinem Schöpfer zur Ehre und zugleich ein Zeichen dafür,
daß der geeinte Bürgersinn der ehemaligen Reichsstadt nicht aus-
gestorben sei, sondern sich bis auf den heutigen Tag erhalten habe.
Dem Herrn Münsterbaumeister galt sein „Hoch", in das Alle kräftig
einstimmten. Dieser wies darauf hin, daß sich außer ihm auch
Andere um den Ausbau des Münsters verdient gemacht haben; ei-
erwähnte seine Vorgänger und gedachte in besonders herzlichen Worten
des hochverdienten Beirates des Münsterkomites, des Herrn Hof
baudirektors v. Egle; diesem seinem verehrten Lehrer und Meister
war sein „Hoch" gewidmet. Noch folgten weitere Toaste aus der
Tafelrunde auf den Vereinsvorstand Herrn Präsident v. Leibbrand,
dem in erster Linie Dank für die Veranstaltung des Ausflugs ge
bühre, auf die Damen, auf die häufige Wiederkehr solcher Zusammen
künfte zwischen den Stuttgarter und Ulmer Kollegen und der letzteren
unter sich. Ehe zum Aufbruch gerufen wurde, erhob sich nochmals
der Vorstand und betonte, daß zwar der Herr Münsterbaumeister
heute immer von den einzelnen Werken am Münster, von ihrem
Schöpfer aber nicht gesprochen habe; eine so weit gehende Bescheiden
heit sei nicht ganz gerechtfertigt und er hoffe, daß sich der große
Meister bald dazu entschließen werde, sein „gar nicht uninteressantes
Contrefei" an einer bevorzugten Stelle des Münsters anzubringen.
— Wir wünschen, daß diese Worte den Weg zur richtigen Adresse
gefunden haben.
So war Alles aufs Schönste verlaufen, hochbefriedigt und ver-
guügt kehrten wir in unsere Heimat zurück; es war ein Semester
schluß, wie er harmonischer nicht gefeiert werden konnte.
Hauptturmes vom Münster in Ulm.
r. von Beyer, gehalten am 13. Juli 1895.
stärkungen notwendig gewordenen Veränderungen in der Turmhalle
wieder verdeckt ist, lautet: „Das hat man underfaren, da man zalt
1494." Es sind also schon zu jener Zeit bedenkliche Bewegungen
am Turm eingetreten, es sind Risse an Bögen und Gewölben ent
standen und es sollen im Jahre 1492 an einem Sonntag während
des Gottesdienstes Steine aus dem Turmgewölbe herabgefallen sein.
Nach der Überlieferung mußte wegen dieser Vorfälle der damalige
Baumeister am Münster, Mathäus Böblinger, flüchten, und sein Nach
folger Burkhard Engelberg von Hornberg in Württemberg, der be
rühmte Erbauer von St. Ulrich und Afra in Augsburg, der später
die prächtigen Seitenschiffgewölbe des Münsters eingebaut hat, hat
damals schon den Turm stützen müssen. Es geschah dies durch
völliges Ausmauern der Bogenöffnungen an der Süd- und Nordseite
des Turmes, sowie der an den Turm anstoßenden Arkadenöffnungen
des Mittelschiffs, ferner durch Einziehen einer Mauer quer durch das
südliche und nördliche Seitenschiff in der Richtung der östlichen Turm
wand. Durch diese Engelberg'schen Unterfahrungen scheinen die Be
wegungen am Turm zur Ruhe gekommen zu sein. Vierhundert
Jahre später, als es sich wieder um Verstärkungen am Turm ge
handelt hat, ist man in der Hauptsache nach demselben Prinzip ver
fahren, nur in anderer Form.