Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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Besichtigung des Hchwabsirasicii-Tunnels 
am 16. November 1895. 
Zu festgesetzter Stunde hatte sich eine stattliche Anzahl Mit 
glieder des Vereins vor dem Eingang des Tunnels in der Schwab- 
straße versammelt. Herr Stadtbaurat Kölle gab zunächst an der 
Hand von Plänen die für die Besichtigung erforderlichen Erläuterungen 
und es erfolgte darauf die Begehung des Tunnels in zwei Abteilungen 
unter der Führung des Stadtbaurates und des Bauführers Wieland. 
An der Schwabstraßenseite hat die Anlage des Portals ziemlich viele 
Schwierigkeiten geboten, u. a. infolge der mangelhaften Beschaffenheit 
der Fundamente eines benachbarten Hauses; dagegen ist das andere 
Portal mit den anschließenden Flügelstützmauern und den Staffel 
aufgängen nahezu fertig. Auch die Wölbung ist bis auf kurze Strecken 
fertig gestellt. Die noch stehenden Lehrbögen zeigen, daß nicht nach 
dem System der Zentralstreben, sondern etagenförmig mit Vertikalstützen 
und Verstrebungen gearbeitet ist. Der Bergdruck von der Hasenbergseite 
her hat während der Ausführung mehrfache Ausbauchungen veranlaßt. 
Nach eingehender Besichtigung fand eine gesellige Vereinigung 
der Mitglieder in Heslach statt, bei welcher der Vorsitzende Herrn 
Stadtbaurat Kölle den Dank des Vereins für die interessante Be 
sichtigung eines Objektes, wie man es selten im Bereich der Technik 
finde, ausspricht. Auf die Anfrage von Baurat Zügel giebt der 
Stadtbaurat Kölle den gewünschten Aufschluß über einige kon 
struktive Details und teilt auf die Anfrage von Oberbaurat 
v.Hänel mit, daß der Gesamtaufwand sich auf ungefähr 300 000 Mk. 
und für das laufende Meter aus 1500 bis 1600 Mark be 
laufen werde. 
Von Bauinspektor Pantle wird zur Anregung gebracht, daß 
der Verein im Laufe des Winters mehrfach Besichtigungen von 
Neubauten oder sonstigen interessanten Bauarbeiten, womöglich an 
Sonntag-Vormittagen, vornehmen sollte. Der Vorsitzende nimmt 
dankend von dieser Anregung Kenntnis. 
Der französische Ostkanal und der Einsturz der Staumauer von Bouzey 
Vortrag von Bauinspektor Gugenhau am 2. November 1895. 
(Tie Zeichnungen finden sich bei Heft 7.) 
(Schluß.) 
Alle angeführten Verfehlungen sind aber als geringwertig zu 
bezeichnen gegenüber der Leichtfertigkeit, mit welcher bei der erst 
maligen Gründung im Jahr 1879/80 zu Werke gegangen wurde. 
Die ungenügende Fundation auf dem klüftigen, schiefrigen, von 
einer Thonschicht durchzogenen Buntsandstein hatte schon im Jahre 
1884 die Katastrophe in furchtbare Nähe gerückt. 
Aus kleinlichen Sparsamkeitsrücksichten in Anbetracht der riesigen 
Gesamtaufwendungen wurde die Mauer nicht auf dem durchschnittlich 
4 m tiefer liegenden kompakten Felsen fundiert, sondern nur ein 
2 m starkes Dichtungsniäuerchen auf denselben hinabgeführt. Daß 
ein Sporn von solch geringer Dimension unter 22 m hohem Wasser 
druck nicht genügende Dichtung geben würde, war vorauszusehen. 
Dieser unverzeihliche Fehler wurde allerdings durch die Ver 
stärkungsarbeiten an der Mauer vom Jahre 1889/90 wieder gut 
zu machen versucht. 
Diese Verstärkungsarbeiten erstreckten sich aber nur auf Maß 
nahmen gegen weitere Verschiebung der Mauer auf der Thonschichte 
unter dem Fundament, sowie auf Dichtungsarbeiten, nicht aber auf 
Schutzinaßregeln gegen die infolge der Verschiebung im Innern der 
Mauer stattgehabten Deformationen. 
Dem hiebei hauptsächlich ins Auge gefaßten Zweck, der weiteren 
Verschiebung wirksam vorzubeugen, wurde durch die genannten Arbeiten 
allerdings vollständig entsprochen. 
Hingegen ist die zum Zweck der dauernden Fugendichtung er 
folgte Auskeilung der zickzackförmig durch Stoß- und Lagerfugen 
hindurchgehenden, offenen Risse mit imprägniertem Holz nicht zu 
rechtfertigen. Zweckentsprechender wäre die Fugendichtung zweifelsohne 
erfolgt durch Ausgießen der Risse mit unter Druck eingebrachtem 
Zementmörtel oder durch Befestigung von Bleiplatten vor den Nissen 
mittels eingedübelten Schrauben, wobei die Fugen zwischen Blei 
platten und Mauergrund sorgfältig mit Blei hätten verstemmt 
werden müssen. 
Geradezu unfaßlich aber ist eS, daß man sich vor Ausführung 
dieser kostspieligen Verstärkungsarbeiten nicht vollständige Klarheit 
darüber verschafft hat, daß durch das Gleiten bezw. durch die stoß 
weise Verschiebung der Mauer, sowie hauptsächlich auch durch die 
schließliche Biegung derselben bis auf Bruch neben den äußerlich 
sichtbaren Vertikalrissen im Innern der Mauer kleinere und größere 
Hohlräume, sowie namentlich in der Nähe der Vertikalrisse auch 
horizontale Risse entstehen mußten. Solche Hohlräume und horizon 
tale Risse mußten deshalb als überaus gefährlich erscheinen, weil 
sie sich nach und nach mit Wasser füllen und einen Auftrieb erzeugen 
mußten, durch welchen die Mauer bis zur Hälfte ihres Gewichts 
und damit ihre Widerstandskraft verlor. 
Für die Bildung solcher Horizontalrisse in der Nähe der senk 
rechten Bruchfugen, welche wegen des darauf wirkenden Mauergewichts 
nur als dünnste Haarrisse auftraten und daher nur sehr schwer be 
merkbar waren, sprechen verschiedene Momente. 
Einmal die Trägheit der Masse. Ein bekanntes physikalisches 
Experiment besteht darin, daß von zwei aufeinander gelegten Körpern 
der untere durch raschen Stoß entfernt wird, wodurch der obere, 
trotz der Flächenadhäsion, keine Verschiebung erleidet, sondern senkrecht 
abwärts fällt. Bei der Mauer von Bouzey erfolgte selbstverständlich 
die Verschiebung um 37 cm nicht auf einmal, sondern sicherlich stoß 
weise um Bruchteile von Zentimetern. Die obersten Mauerlamellen 
hatten gar keinen Horizontaldruck auszuhalten, sie hatten also auch 
nicht das Bestreben, sich horizontal zu verschieben. Die tiefer liegen 
den Lamellen dagegen wurden stoßweise seitlich gerückt. Man kann 
sich daher doch wohl eine Zerstörung der Kohäsion in einer der 
horizontalen Fugen vorstellen? 
Aber auch auf anderem Wege wird man auf die Entstehung 
von Horizontalrissen bei der Biegung der Mauer bis auf Bruch 
hingewiesen. 
Im Grundriß der Staumauer betrachtet, wird die entstandene 
Rißfläche eine gegen Berg keilförmige Figur bilden; auf der Thal 
seite mußte daher die Oeffnung in der 13 m breiten Fundamentfuge 
größer sein, als in der nur 4 m breiten Mauerkrone. Ebenso 
mußte der Bruch in der Fnndamentfuge zeitlich früher eintreten als 
an der Krone, was sich (durch Zerbrechen von Holzleisten 
mit einem dem Staumauerprofil ähnlichen Querschnitt) 
deutlich nachweisen läßt. Die hierdurch stoßweise auftretenden Spann 
ungsausgleichungen und Spannungsübertragungen von einer horizon 
talen Manerlamelle zur andern weisen doch, sicherlich wenigstens 
in der Nähe der Vertikalrisse, auf gegenseitige Horizontalverschieb 
ungen hin. 
Sogar auf rein theoretischem Wege erhält man bezüglich der 
Horizontalrißbildung ein nicht zu unterschätzendes Prognostikon. 
Zu diesem Zweck betrachtet man die Mauer als Balken von 
gleichem Querschnitt, welcher mit einer dem Wasserdruck entsprechend 
ansteigenden Last belastet ist und berechnet die Größe der Durch 
biegung der einzelnen Lamellen. 
Die für Durchbiegung von Trägern mit gerader Neutralaxe 
<p y M 
allgemein gütige Formel lautet: Z — + jsg' 
Diese Formel, welche sich auf die Form ^ d. h. Wasser 
tiefe unter der Mauerkrone dividiert durch den Kubus der Mauer-
	        

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