Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

Vorstand der Bahnbausektion Cannstatt, welchem die Leitung der 
Ausführung oblag, Herr Maschinen-Jnspektor Stöcker und Herr Bau 
inspektor Ott. 
Die Besichtigung nahm ihren Ansang Nachmittags auf dem 
Bahnhof Kornwestheini, wo die zentrale Signal- und Weichenstellung 
und die elektrische Zentrale besichtigt wurde. Die Weichen und 
Signale werden von 3 Stellwerken aus mitielst Drahtzügen bewegt, 
die Fahrstraßen-Hebel werden vom Blockwerk im Fahrdienstbureau 
unter Verschluß gehalten in der Weise, daß der Stellwerks-Wärter 
nur die vom Stationsbeamten frei gegebene Fahrstraße einstellen, sie 
aber nicht ändern, im Notfälle aber das Signal „Halt" geben kann. 
Der Stationsbeamte erhält von der Stellung eines Einfahrtsignals 
durch ein im Fahrdienstzimmer angebrachtes elektrisches Klingelwerk 
Nachricht; zur Verständigung zwischen ihm und den 3 Stellwerks- 
Wärtern, sowie zwischen den letzteren unter sich dienen Telephone. 
Das Elektrizitätswerk dient für die Beleuchtung des Bahnhofes 
und für den Betrieb eines kleinen Pumpwerks; die Dampfmaschine 
und Kessel sind von der Maschinenfabrik Eßlingen, die elektrischen 
Anlagen von der Firma C. u. E. Fein in Stuttgart geliefert; zur 
Zeit sind 32 Bogenlampen und 100 Glühlampen installiert. 
Nach etwa 3 / 4 stündigem Aufenthalt erfolgte die Fahrt nach 
dem Rangierbahnhof llntertürkheim, welche trotz der Kürze eine 
reiche Abwechslung prächtiger landschaftlicher Bilder darbietet. 
Die Besichtigung des Bahnhofs und seines Elektrizitätswerkes 
erfolgte gruppenweise. Die Weichen der im Ganzen 22 irrn um 
fassenden Geleise werden nach dem System von Siemens u. Halske 
in Berlin mittelst elektrischer Transmission gestellt. Dieses System 
ist hier, abgesehen von einer kleinen auf der Berliner Stadtbahn 
hergerichteten Versuchsanlage, zum erstenmal in Deutschland in 
großem Maßstabe zur Ausführung gekommen und zwar mit einem 
Aufwande von ca. 350000 JL. Jede Weiche ist mit einem elektrischem 
Motor ausgestattet, welcher mittelst Schraubenwelle und Zahnrad, 
wenn der elektrische Strom in der einen oder andern Richtung vom 
Stellwerk her hineingesandt wird, die Umstellung besorgt; dabei kanw 
jede Weiche ohne Beschädigung aufgeschnitten werden. Die Stellung 
der Signale erfolgt durch Motoren, welche in Gehäusen an dem 
Masten angebracht sind. Die Wärter in den 5 Stellwerken haben 
nicht mehr, wie bei den bisherigen Hebelapparaten, eine körperliche 
Anstrengung zu verrichten, da zur Umstellung von Weichen und 
Signalen die Verschiebung von Tastern genügt. Auch zur Kenntlich 
machung und Ueberwachung der Signale und Fahrstraßenstellungeir 
dient der elektrische Strom; derselbe wird von Akkumulatoren ge 
liefert, welche von dem Elektrizitätswerk des Bahnhofs Untertürkheinr 
gespeist werden. Dasselbe ist zur Zeit das größte der Eisenbahn- 
verwaltung, es versorgt den Bahnhof llntertürkheim und die Wagen 
werkstätte Cannstatt mit Licht und liefert auch außer an die Stell 
werke noch Kraft an die Wagenwerkstätte; es enthält drei Dampf 
maschinen von je 60 PS. und eine von 120 PS. nebst drei 
Kesseln. Installiert sind zur Zeit 66 Bogenlampen, 120 Glüh 
lampen und 158 Weichenmotoren auf dem Bahnhof, sowie 6 Bogen 
lampen und 650 Glühlampen in der Wagenwerkstätte. Die maschinelle 
und die elektrische Einrichtung ist von der Maschinenfabrik Eßlingen 
ausgeführt; die Pläne für die Gleise und die Weichcnstraßen, nnd- 
die Disposition der Stellwerke sind von Bauiuspektor Ott bearbeitet. 
Nach der Besichtigung vereinigte man sich zu einem gemein 
schaftlichen Abendessen in llntertürkheim, welches durch mehrere geist 
volle Tischreden und allgemeine Heiterkeit gewürzt wurde. 
Die Versorgung Stuttgarts mit elektrischer Eucrgie. 
Aus dem Vortrag des Stadtbaurats Kölle, gehalten am 19. 
Dezember 1896 (Heft I, 1897, S. 3 und 4) entnehmen wir die 
folgenden Mitteilungen: 
Im Jahre 1891 hat die Stadt Stuttgart infolge der bei der 
elektrischen Ausstellung in Frankfurt a. M. ausgeführten elektrischen 
Kraftübertragung von Lausten nach Frankfurt, die Wasserkräfte des 
Neckars bei Marbach und Poppenweiler erworben, um dieselben auf 
elektrischem Wege nach Stuttgart überzuleiten. Die Wasserwerks- 
Anlage in Marbach besteht bis jetzt aus einem festen Wehr, durch 
welches ein mittleres Gefäll von 3 m erzielt wurde. Dasselbe soll 
3 Turbinen von Voith in Heidenheim erhalten. Die effektive Trieb 
kraft beträgt im Minimum 300 PS., im Maximum 750 PS. 
In Poppenweiler soll in den Fluß ein bewegliches Wehr von 
45 m Länge eingesetzt werden, daneben eine Schleuse zum Durch 
gang der Schiffe und eine Floßgasse. Die Triebwerks-Anlage erhält 
ebenfalls 3 Turbinen. Das Gefäll und somit auch die Wasserkraft 
ist dieselbe, wie bei Marbach. Die Fernleitung bis Poppenweiler 
hat eine Länge von 16 km, diejenige bis Marbach eine solche von 
30 irrn. Für die Leitungen nach Poppenweiler und nach Marbach 
sind je zwei Doppelleitungen angenommen, von welcher jede getrennt 
für sich benützt werden kann; in Poppenweiler kann aber ein Um 
schalten von einer auf die andere Leitung bewerkstelligt werden. Die 
Uebertragung soll durch gewöhnlichen Wechselstrom von 10 000 Volt 
Spannung stattfinden, welcher aus den Primärmaschinen in Marbach 
(3 zu 600 PS.) und in Poppenweiler (2 zu 800 PS.) mit 2000 
Volt gewonnen, durch Transsormatoren auf diese Spannung gebracht 
und in Stuttgart in der Unterstation auf die Spannung von 2000 
Volt wieder zurückgebracht und dann in Gleichstrom der gewöhnlichen 
Spannung umgewandelt werden soll. Für die Leitung sind 7—8 mm 
starke Kupferdrähte, welche an 10 —12 mm hohen hölzernen 
Stangen geführt werden, in Aussicht genommen. 
Das von der Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vorm. Schuckert & Co. 
in Nürnberg für Stuttgart erbaute Elektrizitälswerk ist seit s /* Jahren 
im Betrieb. Der Zugang zu demselben erfolgt von der Marien- 
ftraße aus. Das Werk umfaßt das Maschinenhaus, den Akkumu- > 
latorenbau, das Kessel- und das Pumpenhaus mit dem 51 m hohen 
und im Lichten 2,1 m weiten Schornstein. 
Der Raumersparnis wegen sind vertikale und keine horizontalen 
Maschinen verwendet worden; aus demselben Grunde wählte man 
Doppclkessel mit übereinanderliegenden Flammenröhren von 2,4 und 
1,8 m Durchmesser. Die Kessel, welche auf 11 Atm. Ueberdruck 
gebaut sind, haben getrennte Dampf- und Wasserräume; die Feuerungen 
sind rauchverzehrend eingerichtet. Das Kesselhaus hat Raum zur 
Aufstellung von 12 Kesseln und hat eine Grundfläche von 780 qm. 
In der Maschinenhalle sind zunächst zwei größere Maschinen 
mit je 600—700 PS. und zwei kleinere Maschinen mit je 350—400 PS. 
aufgestellt. 
Die Maschinen sind Dreicylinder-Maschinen mit Einspritzkonden 
sation mit 110 bezw. 140 Touren in der Minute. Zur Aufstellung 
der schweren Maschinenteile dient ein Laufkrahn von 15 000 kg 
Tragfähigkeit, dessen Fahrbahn bei 15 m Spannweite sich über die 
ganze Länge des Maschinenhauses erstreckt. 
Die Dynamomaschinen sind an die Hauptwellen der Dampf 
maschinen unmittelbar gekuppelt und sind als Außenpolmaschinen mit 
Nebenschlußwickelung sowohl zur unmittelbaren Abgabe des Stroms, 
ak? auch zum Laden der Akkumulatoren geeignet. An den beiden 
kleineren Dampfmaschinen sind je zwei Dynamos von je 250 Volt 
gekuppelt, so daß jede dieser Maschinen entweder zum Lichtbetrieb 
(bei Hintereinanderschaltung der Dynamos) oder zur Krafterzeugung 
benützt werden kann. Die großen Maschinen haben nur je eine 
Dynamomaschine, die eine für Lichtbetrieb mit 250 — 300 Volt 
Spannung, die andere für Straßenbahnbetrieb mit 600 Volt 
Spannung. Zwei weitere im Maschinensaal aufgestellte kleine 
Dynamos dienen im Falle einseitiger Belastung im Leitungwege als 
Ausgleichsdynamos. 
Die Betriebskraft der aufgestellten 4 Maschinen beträgt 2200 PS.; 
es ist jedoch die Aufstellung einer.weiteren 1000 pferdigen Maschine 
vorgesehen; es kann somit die Zentrale auf eine Leistungsfähigkeit 
von 3000 PS. gebracht werden. 
In dem an den Maschinensaal angebauten Hause sind zur
	        

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