Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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Kombinationen mehr und mehr anregten, so stellt sich diese geistige 
Anschauung der Astronomie und deren verwandten Wissenschaften zur 
Seite. — Wie jene aus scheinbar unergründlichen Geistestiefen die 
Lichtquelle erschloß, die erhellend auf Geist und Gemüt einwirkte, 
so lehrt uns diese erst recht begreifen, wie unermeßlich groß das 
Universum ist und giebt uns einen Maßstab in die Hand, jene 
Lichtquelle, welcher wir unser Dasein auf unserer kleinen Erde unter 
den obwaltenden Verhältnissen vor Jahrtausenden und nach Jahr 
tausenden verdankten und verdanken werden, in Bezug auf Größe, 
Intensität und Entfernung zu ermessen. 
Wie alles objektive Wissen, welchem nicht subjektives Meinen 
oder Vermuten anhaftet, die geistige Thätigkeit festigt und uner 
schütterliche Grundlagen bildet, so erhebt auch das Wissen und Er 
kennen der allgemeinen Erscheinungen und ihrer Gesetze den Menschen 
über das Vergängliche und über die irdischen Wechselfälle des Lebens. 
Was auf unserer Erde, einem winzigen Gliede gegenüber den 
Fixsternen des Weltalls, erforscht ist, finden wir z. T. auch in fernen 
Welten, in gleicher Zusammenstellung und Anordnung wieder. 
Was das Vermessungswesen der Erde, die Geodäsie in ver 
hältnismäßig kurzer Spanne Zeit vollbrachte, um vergleichende Orts 
bestimmungen anzustellen und festzulegen, dazu bedurfte die Astronomie 
Jahrhunderte, ja Jahrtausende. 
Die Vermessungen unserer Erde dagegen haben erst in den letzten 
Jahrzenten die hohe wissenschaftliche Bedeutung erlangt, die sie zu 
einer Wissenschaft stempelt. — Trotzdem ist nur ein verhältnismäßig 
sehr kleiner Teil des Festlandes unserer Erdoberfläche durch Ver 
messungen, es sind hier nur die exakten gemeint, durch Bestimmung 
der Richtungsunterschiede in der Ebene, „Horizontalwinkelmessungen", 
und Bestimmung der Richtungsunterschiede in der Höhe, „Vertikal 
winkelmessungen", so bestimmt, daß die nach diesem Zahlenmaterial 
ausgeführten graphischen Uebectragungen auch eine genaue Wieder 
gabe des Bestehenden ergeben. 
Der Aufschwung des Vermessungswesens ist seit den letzten ca. 
30 Jahren in Europa epochemachend, und zumal in unserem Deutschen 
Reich, zu einem Aufschwung gelangt, der nur durch rastloses gemein 
sames Arbeiten von Wissenschaft und Technik ermöglicht werden konnte. 
Wenn auch in der Geodäsie nicht solche unüberwindliche Schranken 
bezüglich des technisch ausführbaren Materials vorhanden sind, wie 
in der Astronomie die zeitweilig erreichte Ausdehnung von Be 
obachtungsinstrumenten vermuten ließ, so daß scheinbar weitere Ver 
vollkommnung ausgeschlossen, somit die in unermeßl'chen Fernen 
existierenden Weltkörper für immer unserem Späherange entrück: 
bleiben würden, so stellten sich hier wieder andere große Hindernisse 
in den Weg, die weit gefährlicher erscheinen, da gegen diese alles 
menschliche Vermögen machtlos bis zu gewissen Grenzen gegen 
übersteht. — Die Kugel- (richtiger Ellipsokoh-Gestalt der Erde gestattet 
uns nicht, so weit in die Ferne auf dieser zu schauen, wie es oft 
wünschenswert sein könnte. Sodann bildet die über der Erde 
durch Temperaturunterschiede in Bewegung gesetzte Luft einen der 
störendsten Faktoren, die den Geodäten mit gleicher Pein berühren 
können, wie einen Astronomen ein verschleierter Himmel. 
Bei astronomischen Beobachtungen, die ja überdies mit Ausnahme 
der Sonnenbeobachtnngen in dunkler, stiller Nacht stattfinden, in 
welcher die Atmosphäre ebenfalls zur Ruhe gelangt, da keine Licht 
absorbierenden und reflektierenden Massen vorhanden, keine so ener 
gischen Wasserverdampfungen stattfinden, die Luft uit: die Erdoberfläche 
mehr und mehr eine gleichmäßigere Temperatur annehmen, fallen 
jene störenden Faktoren weg 
Nicht so sorgenlos ist der Beruf eines Vermessungstechnikers 
oder eines Forschers auf Reisen, um in ungebahnten Länderstrichcn 
sich zu orientieren und die geographische Lage seines Standortes zu 
finden oder die topographische Aufnahme der ihn umgebenden Gebiete 
auszuführen, wie der des Astronomen, dem von seiner Sternwarte, 
vom grundfesten Standpunkt ans, die erdenklichsten Bequem 
lichkeiten, die der Beobachtung förderlich sein können, zu Gebote 
stehen. — 
Vermöge der fast unendlichen Entfernung wendet man sich 
neuerdings in der Astronomie der Photographie des Sternhimmels 
zu, mißt nun aus diesen Photographien die Entfernungen linear, 
wodurch die Projektionsverhältnisse der Sterne zu einander bestimmt 
und etwaige Verschiebungen durch Wanderung der Gestirne für 
kommende Zeiten ein sehr wichtiges Material liefern — Wenn uns 
auch sonst nichts im Wege stand, photographische Ansichten auf unserer 
Erde auszuführen, so war der Wert derselben für wissenschaftliche 
Messungen, Aufnahmen auf unserer Erde, aus denen die Längen 
verhältnisse abgegriffen werden könnten, mehr oder weniger in den 
Hintergrund gedrängt; neuerdings wird auch diesem Zweig besondere 
Aufmerksamkeit geschenkt. 
Auf die Ausführung jener Instrumente, die für geodätische 
Arbeiten auf Forschungsreisen Verwendung finden, komme ich später 
noch zu sprechen. 
Die schon vorher erwähnte Ortsbestimmung (geographische Orts 
bestimmung) fällt für uns Europäer, soweit wir uns in bereits ver 
messenen Gebieten bewegen, fort. Außer in Fachkreisen wird man 
sich keinen genauen Begriff von der mühseligen Herstellung derjenigen 
Ausarbeitungen bilden, welchen wir schon in der frühen Jugend im 
Atlas beim Geographie-Unterricht begegnen. 
In noch erhöhterenl Maße muß unsere Bewunderung steigen 
beim Anblick der vielen Generalstabskarten, welche im Deutschen 
Reich vor und nach 1870 entstanden sind. 
Eine immense Arbeit ist es, die in diesen Blättern verborgen 
liegt, doch nicht nur die bestechende Ausführung, in der uns andere 
Nationen gleichgekommen sind, nein, insbesondere muß uns die Ge 
nauigkeit, die Gewissenhaftigkeit, der innere Wert derselben mit Stolz 
erfüllen. Tausend und abertausende Hilfskräfte sind Jahr aus Jahr 
ein im Freien und auf dem Bureau sich gegenseitig ergänzend thätig, 
nicht nur neue Blätter herzustellen, sondern auch in den bereits 
bestehenden jeden neuen kleinen Weg und Steg, jede erhebliche 
Deformation des Landschaftscharakters, neue Straßen, Bahnlinien 
u. s. w. einzutragen. 
Somit ist bei uns zu Lande das Reisen und das Orientieren 
leicht, sobald nur 2 Faktoren: 
1) eine gute Karte 
2) ein leidlicher Taschenkompaß 
zu Gebote stehen. 
Anders gestaltet sich das Reisen in fernen unbekannten Welt 
teilen, wo von einer Karte keine Rede, wo unter Umständen lang 
gezogene Thäler von hohen Bergen eingeschlossen, in Waldungen 
laug ausgedehnte Wüstenstrecken kein Merkmal sichtbar werden lassen, 
das uns die Orientierung erleichtert. 
Da suchen wir uns, gleich den ältesten Bewohnern der Erde in 
früheren Jahrhunderten, aus dem Stand der Sonne, des Mondes, 
der Sterne roh zu orientieren. 
An der Hand des Kompasses wächst unsere Ueberlegenheit gegen 
über den früheren Geschlechtern, indem wir die Abweichung der ein 
geschlagenen Wegrichtnng von der Nordlinie in Maßen ermitteln 
können; wenn wir hieraus auch den ersten Schluß zu ziehen ver 
mögen, wohin wir im Raum uns wenden, so fehlt uns noch immer 
das wo, wo auf der Erdoberfläche wir uns befinden. Kein Grenz 
stein, kein Wegweiser steht uns zur Seite, doch über uns in unendlich 
großen Fernen stehen seit ungeahnten Jahrtausenden treue Hüter, 
deren Existenzwichtigkeit erst spätere Geschlechter erkannten und zu 
erkennen Gelegenheit und Bedürfnis fanden. 
Die Sonne z. B. leuchtet uns allen Erdenbewohnern — auf 
ihrer regelmäßigen scheinbaren Wanderung, welche wir (unsere Erde) 
jedoch selbst ausführen. Dabei leistet sie uns nicht nur Dienste in 
Bezug auf Entsendung von Licht- und Wärmestrahlen, sondern sie 
ist eS auch, welche uns am Tage allein die Möglichkeit giebt, unter 
Zuhilfenahme von Höhenmeßwerkzeugen, seien es Passage-Instrumente, 
Theodolithe oder Sextanten und unter gleichzeitiger Benutzung ver- 
schiedenerTabellen wiez. B.des astronom.Jahrbnchs,Naut. Jahr 
buch der Ephemeriden und Tafeln zur Bestimmung der 
Zeit, Länge und Breite nach astronom. Beobachtungen, 
sowie eines genau gehenden Chronometers den sogenannten geo 
graphischen Standpunkt, technisch ausgedrückt den geographischen 
Ort, festzustellen. 
Was die Sonne für derartige Beobachtungen am Tage bietet, 
worauf wir noch einmal zu sprechen kommen, das leisten uns ebenso 
vorzüglich bei Nacht und klarem Himmel die zahlreichen Fixsterne,
	        

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