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innige Zusammenhang mit bet Praxis nicht beeinträchtigt werden darf,
und die technischen Hochschulen bemüht sein werden, aus der an
regenden Berührung mit dem Leben fortdauernd neue Kraft und neue
Nahrung zu ziehen, dafür dienen als Wahrzeichen die Standbilder
der beiden Männer, die fortan die Front dieses Hauses schmücken
werden. Solange Sie die Erinnerung an diese Männer festhalten
und ihrem Vorbilde nacheifern, wird die deutsche Technik im Wett
kampfe der Nationen allezeit ehrenvoll bestehen. In dem Verhältnis
der technischen Hochschulen zu den anderen obersten Unterrichtsstätlcn aber
giebt es keine Interessengegensätze und keinen anderen Eifer als den, daß
ein jeder von Ihnen und jedes Mitglied derselben in seinem Teile
den Forderungen, die das Leben und die Wissenschaft stellen, völlig
gerecht werde, eingedenk der Goethe'schen Worte: „Gleich sei keiner
dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten. Wie das zu machen?
Es sei jeder vollendet in sich." Bleiben die technischen Hochschulen,
welche in dem zu Ende gehenden Säkulum zu so schöner Blüte sich
entwickelt haben, dieser Mahnung getreu, so wird 0as kommende
Jahrhundert sie wohl gerüstet finden, auch den Aufgaben gerecht zu
werden, welche die fortschreitende kulturelle Entwicklung der Völker
in immer steigendem Maße an die Technik stellt. Staunenerregend
sind die Erfolge der Technik in unseren Tagen, aber sie waren nur
dadurch möglich, daß der Schöpfer des Himmels und. der Erde den
Menschen die Fähigkeit und das Streben verliehen hat, immer tiefer
in die Geheimnisse seiner Schöpfung einzudringen und die Kräfte und
die Gesetze der Natur immer mehr zu erkennen, um sie dem Wähle
der Menschheit dienstbar zu machen. So fuhrt, wie jede echte Wissen
schaft, auch die Technik immer zurück auf den Ursprung aller Dinge,
den allmächtigen Schöpfer, und mit großem, demütigem Tank müssen
wir uns vor ihm beugen. Nur auf diesem Boden, auf dem auch der
verewigte Kaiser Wilhelm der Große lebte und wirkte, kann das
Streben unserer Wissenschaften von dauerndem Erfolg begleitet sein.
Halten Sie, Lehrer und Lernende, daran fest, so wird Ihrer Arbeit
Gottes Segen nicht fehlen. Dies ist Mein Wunsch, welcher die
Anstalt in das neue Jahrhundert geleiten möge."
Die Rede wurde mehrfach von Beifallsrufen unterbrochen. Minister
S t u d t brachte sodann ein Hoch auf den Kaiser aus, in das die Anwesenden
begeistert einstimmten. — An der Feier nahmen u. a. teil: Finanz
minister v. Miguel, Staatssekretär v. Podbielski, Minister
Brefeld, Hausminister v. Wedel, Unterstaatssekretär Bartsch
und die Generalität.
Durch den allerhöchsten Erlaß vom 11. Oktober d. I., welcher
nicht blos der Technischen Hochschule zu Berlin, sondern auch den
preußischen Cchwesteranftalten gilt, wird den technischen Hochschulen
in Anerkennung der wissenschaftlichen Bedeutung, welche sie neben
der Erfüllung ihrer praktischen Aufgaben erlangt haben, daS Recht
eingeräumt, 1. auf Grund der Diplomprüfung den Grad eines
Diplom-Ingenieurs zu erteilen, 2. Diplom-Ingenieure auf Grund
einer weiteren Prüfung zu Toktoringenicuren zu promovieren und
3. die Würde eines Toktoringenieurs auch ehrenhalber als seltene
Auszeichnung an Männer, die sich um die Förderung der technischen
Wissenschaften hervorragende Verdienste erworben haben, nach Maß
gabe der in der Promotions-Ordnung festzusetzenden Bedingungen
zu verleihen.
Dem Rektor der Technischen Hochschule zu Berlin ist für seine
amtlichen Bezeichnungen der Titel »Magnificenz« beigelegt worden.
Dem Festakte folgte am Nachmittag des 19. Oktober das Fest
essen, das wie der Begrüßungsabcud am >48. Oktober im neuen König
lichen Opernhaus stattfand. Hiebei brachte zunächst der Vizepräsident des
preußischen Staatsministeriums, Finanzminister Dr. von Miguel,
das Hoch aus S. M. den Kaiser aus. Ter Technischen Hochschule galt der
Spruch des Unterrichtsministcrs Dr. Studt. Den Dank der Hoch
schule an die Unterrichtsverwaltung stattete der Rektor derselben, Geh.
Reg.-Rat Prof. Ri edler, ab. Oberbürgermeister Schustehrus-
Eharlottenburg feierte die künftigen Doktor-Ingenieure, der Rektor
der Universität Straßburg, Prof. Dr. Ziegler, weihte sein Glas
der akademischen Jugend und der Direktor der Technischen Hochschule
zu Stuttgart, Prof. Dr. v. Weyrauch, gedachte mit nachstehenden
Worten des deutschen Vaterlandes.
„Nach den bereits gehörten bedeutungsvollen Ansprachen wird
es auch dem Vertreter einer Technischen Hochschule, und zwar einer
süddeutschen Hochschule, gestattet sein, das Wort zu ergreifen. Nicht
daß ich einen Gegensatz zwischen Nord und Süd andeuten wollte.
Denn die gesamte deutsche Wissenschaft und Kunst hat ja lange vor
Begründung des Reichs keine Landesgrenzen gekannt. Auch die
deutschen Techniker haben, wie dies von Ingenieuren erwartet werden
kann, zahlreiche Brücken über den Main geschlagen, welche im Jahr
1870 starken Belastungsproben unterworfen wurden und sich dabei
glänzend bewährt haben.
Aber wir alle haben ja ein Interesse daran, daß die wissen
schaftliche, nationale und soziale Bedeutung der Technischen Hoch
schulen gerade in der Reichshauptstadt richtig zum Ausdruck kommt.
Und daß dies, dank den Leistungen der Berliner Hochschule, der Fall
gewesen sein muß, dafür liefert der Verlauf des gegenwärtigen Festes
einen glänzenden Beweis. Freudigste Dankbarkeit wird alle tech
nischen Kreise Deutschlands durchdringen bei der Kunde über das
gnädige Geschenk S. M. des Kaisers an die Technischen Hochschulen
Preußens. Der Kaiser hat damit wieder einmal gezeigt, daß er den
Pulsschlag seiner Zeit zu erkennen versteht und mit freiem Blick den
richtigen Kurs zu finden weiß.
Und das war gewiß keine leichte Sache. Denn gar manches
fand man an uns auszusetzen. Nach den Einen sollen wir nicht die
„reine Wissenschaft" pflegen, was nach den Worten eines der Herrn
Vorredner gerade kein Unglück wäre,*) aber die reine Wissenschaft
steht ja nicht im Gegensatze zu ihren Anwendungen. Nach den andern
sollen wir stets den einseitigen Nützlichkeitsstandpuukt einnehmen, als
wenn es niinderwertig wäre, etwas Nützliches zu leisten. Vielen
erscheint die Technik überhaupt zu prosaisch. Meine Herren! Momente
wie diejenigen, als die Wasser zweier Meere sich im Suezkanal ver
banden, als die Hammerschlöge auf den letzten Nagel der Pacificbahn
sich telegraphisch deui weiten Gebiete der Vereinigten Staaten mit
teilten, als nach langer Spannung, ob es auch gelingen werde, der
Durchschlag im Gotthardtunnel genau an der vorausberechneten Stelle
stattfand und die Arbeiter von Süd und Nord sich in den Armen
lagen, dürften an idealem Gehalt auf keinem andern Gebiete über
boten werden.
Wenn nun der Kaiser trotz aller Einwände nach dem alten Wahl
spruch Luuirr erneue entschieden hat, so soll uns das bestärken in
dem Gelöbnis:
Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.
Auf daß dieser Geist der Hingebung an das gemeinsame Vater
land, der Geist treuer Arbeit int Dienste desselben, unbeschadet der
Liebe zur engeren Heimat und ihren Institutionen, an den deutschen
Hochschulen allezeit erhalten bleiben möge, auf unser großes schönes
Vaterland bitte ich Sie nun ebenfalls Ihr Glas leeren zu wollen."
Die Adresse der Technischen Hochschule z» Stuttgart an die
Technische Hochschule zu Berlin ist uns, wie der Wortlaut der vor
stehenden und der folgenden Rede des Herrn Prof. Dr. v. Weyrauch
auf besonderes Ansuchen gütigst mitgeteilt worden; sie lautet:
Der Technischen Hochschule Berlin
sendet die Technische Hochschule Stuttgart
Gruß und Glückwunsch
zur ersten Jahrhundertfeier.
Die hundertjährige Geschichte der Technischen Hochschule Berlin
spiegelt klar den Entwicklungsgang der wissenschaftlichen Technik in
diesem bedeutungsvollen Zeitraum. Hervorgegangen aus praktischen
Bedürfnissen, unter wechselvollen Anforderungen und mancherlei
*) Der Oberbürgeimeister von Charlottenburg hatte in seinem Toast
die Technischen Hochschulen den Universitäten gegenüber dafür belobt.