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Die Benützung dieses Ausweges ist beschränkt auf sclche Plätze,
wo entsprechende Transportmittel und Ablagerungsstätten größeren
Umfanges zur Verfügung stehen, und selbst dann kann es beim Aus
bruche von Epidemien zu Anständen führen, wie der Fall in Hamburg
im Jahre 1892 beweist, wo nach dem Auftreten der Cholera die
Ablagerung der Abfälle auf den Markungen der Nachbargemeinden
nicht mehr zugelassen wurde.
Die Stadt Hamburg hat daher zu dem zweiten Mittel der Un
schädlichmachung des Kehrichts durch Verbrennung gegriffen und hat
die erste Kehrichtofenanlage in Deutschland zur Ausführung gebracht,
welcher allerdings die in England schon sehr zahlreich vorhandenen
Destruktoren als Vorbild gedient haben.
Obwohl in England wie nicht leicht in einem andern Lande
die Möglichkeit vorliegt, den ersten Ausweg der Beförderung auf große
Entfernungen und Versenkung der Abfallstoffe zu betreten und der
selbe in der That auch vielfach betreten worden ist, haben dort die
Verbrennungsanlagen eine ganz bedeutende Anwendung und Ver
breitung gefunden. Bis zum Jahr 1897 sind nämlich in mehr als
160 englischen Städten Verbrennungsanlagen mit zusammen ca.
800 Zellen (Einzelkammern) im Betrieb gewesen und seither ist
jedenfalls noch ein namhafter Zuwachs entstanden.
Abgesehen von einigen Anlagen, welche mit dem Kehricht Fäka
lien oder Kanalschlamm mischen und das Gemenge verbrennen (wie
z. B. in Ealing bei London) beschränken sich die meisten Anstalten
auf die Verbrennung des Hauskehrichts und von gewerblichen Abfällen.
Verbrennungsofen System Horsfall.
Bei allen diesen Verbrennungen findet ein Zusatz irgend welchen
Brcnnmateriales nicht statt, der Kehricht brennt durch sich selbst.
Durch die höchsten englischen Medizinalbehörden hat diese Art
der Kehrichtbeseitigung die lebhafteste Unterstützung gefunden und es
herrschen in England so wenig hygienische Bedenken gegen den Be
trieb solcher Anstalten, daß die Behörden, z. B. in Leicester, die Er
laubnis gegeben haben, eine Verbrennungsanstalt mit 15 m Abstand
neben einer von ca. 600 Kindern besuchten Schule zu errichten und
in einer andern Siadt, Horasey, der Anstalt gegenüber ein Wasser
werk mit offenen Filtern liegt.
Die Verbrennungsöfen sind in England ausnahmslos kommunale
Anstalten, die Regierung giebt sogar bedürftigen Gemeinden zur Er
richtung derselben Staatsbeiträge.
In den ausgehängten schematischen Zeichnungen sind die haupt
sächlich gebräuchlichen englischen Ofensysteme dargestellt (vergl.
die Abbildungen).
Im allgemeinen besteht jede Anlage aus drei Teilen:
1) dem aus einer Anzahl Zellen (Kammern) zusammengesetzten Ofen,
2) dem Hauptfuchs,
3) dem Kamin.
Die Zellen sind gewöhnlich in Reihen nebeneinander, Rücken
gegen Rücken, angeordnet um an Raum zu sparen und den Fuchs
gemeinschaftlich anlegen zu können. Die Einfüllvorrichtung liegt
meist oben. Das Einfüllmaterial gleitet auf einer schiefen Ebene
von der Rückseite der Zelle gegen den Rost, der etwa die halbe Tiefe
der Zelle einnimmt. Bevor die Massen in Brand geraten, werden
sie von den vorbeistreichenden heißen Gasen ausgetrocknet. Um die
aus letzterem Prozesse sich ergebenden Ausdünstungen, sowie etwaige
unverbrannte Kehrichtteile, welche nach dem Fuchs entweichen, voll
ständig unschädlich zu machen, wird neuerdings beim System Fryer
in den Fuchs entweder in den Hauptzug oder in den Nebenzug ein
besonderer „Rauchverbrenner" eingeschaltet, in welchem diese Kehricht
teile und Gase noch einer starken Glühhitze ausgesetzt und zur Ver
brennung gebracht werden. Beim System Horsfall wird dieser Rauch
verbrenner durch die Anordnung der seitlichen Rauchkammern entbehrlich.
Wesentlich verstärkt wird die Wirkung des Ofens durch die von
Horsfall erfundenen Dampfgebläse, welche unter dem Rost angeordnet
werden und den Dampf in hohle Platten seitlich des Rostes leiten.
Das Einbringen des Kehrichts geschieht entweder von Hand
oder mittelst mechanisch angetriebenen Treppenrostes.
Die Leistungen der einzelnen Oefen sind ziemlich verschieden.
Nach den englischen Angaben schwankt die Kehrichtmenge, welche binnen
24 Stunden in einer Ofenzelle verbrannt werden kann, zwischen
4—9 Tonnen, wird noch Kanalschlamm mitverbrannt, so geht die
Leistung bis auf 4 Tonnen und noch weniger herunter.
Die in den Oefen herrschenden Temperaturen schwanken
ebenfalls sehr, sie gehen von 150—750 °©., die mit Gebläse arbeitenden
Oefen haben natürlich die höheren Temperaturen.
Die Menge der Verbrennungsrückstände soll zwischen 20°/©
und 50°/o, im Durchschnitt 35°/„ betragen.
Ueber die Anlagekosten kann kein Durchschnittspreis angegeben
werden, da dieselben zu sehr von der jeweiligen Lage, der Oertlichkeit,
der Größe und den Zubehörden der Anstalt abhängen; als Mindest
aufwand für eine Zelle hat man 10 000 Ji anzunehmen.
Als Betriebskosten werden in England pro 1 Tonne Kehricht
0,3 bis 3,5 ß>., im Durchschnitt pro 1 Tonne je 1 Jt gerechnet;
letzterer Betrag wird auch von Hamburg als zutreffend bezeichnet.
Wie schon erwähnt, war Hamburg die erste Stadt auf unserem
Kontinente, welche eine Kehrichtverbrennung in größerem Maßstabe
zur Ausführung brachte, veranlaßt hauptsächlich durch die schlimmen
Erfahrungen, welche es mit der Beseitigung der Abfälle während der
Cholera-Epidemie gemacht hat.
Die Hamburger Anlage dient für die innere Stadt, für St. Pauli
und St. Georg mit zus. über 300000 Einwohnern. Die Oefen
sind ganz nahe dem Anfallgebiete im sog. Bullerdeich gebaut.
In einer großen, mit Eisenfachwerk ausgeführten Halle sind
zwei Reihen von Oefen nach dem Horsfallsystem je mit 18 Zellen
in der Längsrichtung eingebaut und zwar Rücken an Rücken, so daß