Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Der Redner warf zuerst einen Rückblick auf den politischen Auf 
schwung Deutschlands, der erst im letzten Drittel des verflossenen 
Jahrhunderts zu der längstersehuten Einheit führte. Die Technik 
spielte insofern gewichtig dabei mit, als seit 1835 die Lokomotiven 
die nähere Verbindung der Völker unter einander anbahnten und durch 
Beseitigung alter Landesgrenzen und Vorrechte mehr als irgend ein 
anderer Einfluß die Verkehrsfrciheit der Gegenwart vorbereiteten. 
Die Londoner Ausstellung von 1851 überraschte die Welt mit einem 
Gußstahlgeschütz von Krupp, das zum erstenmal in dem Vorzugs 
gebiete der Industrie deutschen Gewerbfleiß zu Ehren brachte. Von 
da ab hat sich die deutsche Technik unter schweren, mühsamen Kämpfen 
vorwärts gerungen, um am Ende des Jahrhunderts siegreich den ihr 
gebührenden Platz einzunehmen. Dieses rasche Emporkommen legt 
ihr die Verpflchtuug auf, die großen sozialen Aufgaben unserer Zeit 
nicht außer acht zu lassen, sondern alle Mitarbeiter an dem Werke 
in deren Dienst zu stellen. In welchem Sinne dies zu geschehen 
habe, das hat Seine Majestät der Kaiser am 5. Dezember v. I. 
ausgesprochen, als die Rektoren der drei Hochschulen von Berlin, 
Hannover und Aachen ihm für die Verleihung des Promotionsrechtes 
ihren Dank aussprechen durften. Mit Genehmigung Sr. Majestät 
brachte der Rektor den Wortlaut dieser hochwichtigen Ansprache zur 
Verlesung: 
„Es hat mich gefreut, die Technischen Hochschulen auszeichnen 
zu können. Sie wissen, daß sehr große Widerstände zu über 
winden waren; die sind jetzt beseitigt. Ich wollte die Technischen 
Hochschulen in den Vordergrund bringen, denn sie haben große 
Aufgaben zu lösen, nicht bloß technische, sondern auch große soziale 
Aufgaben. Die sind bisher nicht so gelöst, wie ich wollte. 
Sie können auf die sozialen Verhältnisse vielfach großen 
Einfluß ausüben, da Ihre vielen Beziehungen zu Arbeit und zu 
Arbeitern und zur Industrie überhaupt eine Fülle von Anregung 
und Einwirkung ermöglicht. Sie sind deshalb auch in der kommenden 
Zeit zu großen Aufgaben berufen; die bisherigen Richtungen haben 
ja leider in sozialer Beziehung vollständig versagt. Ich rechne auf 
die Technischen Hochschulen! 
Die Sozialdemokratie betrachte ich als eine vorübergehende 
Erscheinung; sie wird sich austoben. Sie müssen aber Ihren 
Schülern die sozialen Pflichten gegen die Arbeiter klar machen und 
die großen allgemeinen Aufgaben nicht außer acht lassen. Also ich 
rechne auf Sie! An Arbeit und an Anerkennung wird es nicht 
fehlen 
Unsere technische Bildung hat schon große Erfolge errungen. 
Wir brauchen sehr viele technische Intelligenz im ganzen Lande; 
was brauchen schon die Kabellegungen, die Kolonieen an technisch 
Gebildeten. Das Ansehen der deutschen Technik ist jetzt schon ein 
sehr großes. Die besten Familien, die sich anscheinend sonst fern 
gehalten, wenden ihre Söhne der Technik zu, und ich hoffe, daß 
das zunehmen wird. 
Auch im Auslande ist Ihr Ansehen sehr groß, und Ausländer 
sprechen mit größter Begeisterung von der technischen Bildung, die 
sie an Ihrer Hochschule erhalten haben. Es ist gut, daß Sie auch 
Ausländer heranziehen. Das schafft Achtung vor unserer Arbeit. 
Auch in England habe ich überall die größte Hochachtung vor der 
deutschen Technik gefunden. Das habe ich jetzt selbst wieder er 
fahren, wie man dort die deutsche technische Bildung und die 
Leistungen der deutschen Technik schätzt. Wenden Sie sich daher 
auch mit aller Kraft den großen wirtschaftlichen und sozialen 
Aufgaben zu." 
Hierauf wandte sich der Redner ausführlicher den Fragen der 
Vorbildung, der technischen Ausbildung im einzelnen und dem Prüfungs- 
Wesen zu, wobei der Schulkonferenz von 1890 gedacht, das Zurück 
gehen der philosophischen Richtung im allgemeinen und der Einfluß 
der Naturwissenschaften auf die kritische Durchforschung aller Wissens 
gebiete hervorgehoben wurde. Nach einer weiteren Reihe von scharfen 
kritischen Bemerkungen über Reformen an den verschiedensten Stellen 
schloß der Redner mit dem Satze, daß die Zukunft derjenigen Kultur 
gehören werde, die nicht nur eine allgemeine Wehrpflicht, sondern 
auch eine allgemeine Arbeitspflicht kenne und die großen sozialen 
Aufgaben zu lösen verstehe. 
Nach einem begeistert aufgenommenen Hoch auf Se. Majestät 
den Kaiser brachte namens der Studentenschaft der Vorsitzende des 
Ausschusses, Hugo Garnich, in warmen schwungvollen Worten das 
Gelöbnis treuer Pflichterfüllung, ernsten idealen Strebens und un 
verbrüchlicher Treue gegen das Herrscherhaus dar, worauf wieder 
holte dröhnende Fanfarenklänge die erste Ehrenpromotion der Tech 
nischen Hochschule einleiteten. Abermals trat der Rektor an das 
Rednerpult, um, dicht umgeben von den Mitgliedern des Senats, 
den Abteilungsvorstehern und Professoren in ihrer Amtstracht, von 
dort aus die von der Gesamtheit der Abteilungen vollzogene Wahl 
in folgenden Worten feierlich zu verkünden: 
„Die Königliche Technische Hochschule zu Berlin beginnt das 
neue Jahrhundert mit der Ausübung des Promotionsrechtes an 
derselben Stätte, an der das Recht Allerhöchst verkündet wurde. 
Der Senat der Technischen Hochschule hat einstimmig beschlossen: 
Die akademische Würde eines Doktor-Ingenieurs Ehren halber 
Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Heinrich von Preußen 
zu verleihen. Die Technische Hochschule ist aufs innigste verknüpft 
mit der Entwicklung der Handelsmarine, die deutsche Thatkraft 
in alle Welt trägt, mit ihrer bewaffneten Schwester, der Kriegs 
marine, die machtvoll gebietend Schutz und Achtung sichert. Deutsch 
lands Zukunft liegt auf der See! Die Ausgestaltung der 
deutschen Kriegsflotte ist die nächste große Aufgabe des neuen 
Jahrhunderts, des deutschen Reiches und der Technik. Unsere 
Hochschule wird mit allen Kräften an dem großen nationalen Ziele 
mitarbeiten. 
Durch die höchste Auszeichnung, die wir zu verleihen haben, 
ehren wir ein hohes Mitglied des Königlichen Hauses, zugleich die 
deutsche Marine, die Technik und die Hochschule selbst. Seiner 
Königlichen Hoheit dem Prinzen Heinrich von Preußen, dem 
Förderer der technischen Waffen zur Sec, dem hohen Protektor 
technischer Wissenschaften, dem Pionier deutscher Kultur, unserem 
ersten Doktor-Ingenieur gilt unser begeisterter Ruf: Hurrah! 
Hurrah! Hurrah!" 
Die Versammlung, die während der Verkündung der Promotion 
an verschiedenen Stellen lebhaften Beifall äußerte, stimmte mit 
lautem Hurrah in den Ruf des Rektors ein, worauf der weihevolle 
Festakt unter den Klängen des Wagnerschen Kaisermarsches seinen 
Abschluß fand. 
Herausgegeben vom Württemb. Verein für Dankunde. Für denselben: Dauinspektor Neihling. — Druck von Alfred Müller & Co. — Vermg von 2. Weisels 
chofbuchhandlung, sämtlich in Stuttgart.
	        

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