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man noch unter der großen Glocke durchgehen kaun (freie Höhe
1,70 m). Der Glockenstuhl konnte hiedurch stabiler und leichter kon
struiert werden. Derselbe ist zunächst zur Aufnahme von 7 Glocken
bestimmt, wovon 2 größere ä 3500 und 5000 kg in der Mitte,
ferner 5 kleinere von 350—1500 kg Gewicht auf den Seiten an
gebracht sind; wenn nötig, kann noch eine weitere Glocke eingehängt
werden.
Die Träger des Glockeustuhles bestehen aus Fachwerk mit
Kreuz streben, welche in allen Knotenpunkten durch Träger
unterstützt sind, die auf den Böcken aufliegen, und zwar derart, daß
jedem I-Tröger ein Knotenpunkt des Bockes entspricht. Die mittleren
Träger treffen direkt auf die beiden mittleren Böcke, die beiden
äußeren aber liegen zwischen den äußeren Böcken, die Unterzüge sind
somit hier auf relative Festigkeit in Anspruch genommen. Eine seit
liche Verstrebung der Glockenstuhlträger erfolgt an den Enden und
von der Außenseite her. In der Mitte konnte solche nur in be
schränktem Maße angebracht werden, da das Ausschwingen der Glocken
und der Glockenklöppel nicht gehindert werden durfte.
Die Gurtungen der Träger sind nur sehr wenig in Anspruch
genommen, da die großen Glocken direkt auf den Vertikalständern
sitzen und nur die kleinen Glocken etwas auf die Seite gerückt
werden mußten, weil auf den schmalen Gurtungen nicht Raum für
2 Lager nebeneinander vorhanden ist. Die obere Gurtung ist hiedurch
teilweise auf relative Festigkeit beansprucht, sonst treten fast keine
Kräfte in derselben auf. Die untere Gurtung hat nur Horizontal
kräfte auszuhalten, außer wenn Glocken hin und her zu schaffen
sind, wobei geringe Beanspruchung auf relative Festigkeit erfolgt.
Trotz der geringen Beanspruchung sind die Gurtungen sehr
kräftig gehalten (als H-Träger) namentlich auch mit Rücksicht auf
seitliche Stabilität, die teilweise nur durch deren horizontales Wider
standsmoment gewährleistet ist.
Die Kreuz streben haben die Horizontalkraft aufzunehmen,
es sind dieselben druck fähig angeordnet, damit beim Schwingen
der Glocken stets beide Streben in Wirksamkeit treten. Da die
Glocken in die Seitenfelder von der Aufzugsöffnung aus durch die
Glockenträger geschafft werden müssen, sind die Streben zum Heraus
nehmen eingerichtet und deshalb mit Schrauben befestigt, während
die übrigen Konstruktionsteile vernietet sind. Die Höhe des Auf-
häugepunktes der Glocken beträgt 59,9 m über dem Kirchenboden.
Da beim Schwingen der Glocken die Böcke sehr ungleich durch
Horizontalkräfte in Anspruch genommen sind, so sind wechselnde Be
wegungen derselben zu befürchten, was eine Verdrehung der Bock
pyramide hervorrufen könnte. Es ist deshalb der obere Boden mit
kräftiger Kreuzverstrebung versehen worden, welche diese Hori
zontalkräfte gleichmäßig auf die 4 Bockgerüste verteilt. Die Horizontal
kraft muß durch die Unterzüge des Glockenstuhls auf die Böcke über
tragen werden, welche hiedurch umgeworfen werden könnten. Die
Unterzüge sind deshalb durch kräftige Konsolen mit dem Obergurt
der Böcke verbunden worden.
Die Beanspruchung des Eisenwerks ist im allgemeinen sehr gering
bemessen, namentlich für diejenigen Teile, welche rasch wechselnden
Kräften (infolge des Läutens der Glocken) ausgesetzt sind. Für
letztere sind etwa 600 kg pro qcm für Druck und Zug und 350 kg
für die Vernietung und Verschraubung gerechnet. Nur für diejenigen
Teile des Bodens, welche durch Aufstellung von schweren Gegen
ständen (Glocken und Baumaterial) ab und zu stark in Anspruch ge
nommen sein können, sind höhere Koeffizienten bis ca. 1000 kg
pro qcm gewählt, was unbedenklich erscheint, da derartige Be
lastungen sehr selten vorkommen werden.
Was schließlich die neuen 7 Glocken selbst anbelangt, so soll
gelegentlich der Herstellung des eisernen Dachstuhls auch eine Ver
besserung des Geläutes überhaupt erreicht werden, über die, soviel
mir bekannt, noch nicht definitiv entschieden ist. Das Umgießen
einiger der alten Glocken und die neue Aufhängung derselben wird
durch Glockengießer Kurtz in Stuttgart ausgeführt, das Eisengerüst
ist von der Maschinenfabrik Edmund Mayer L Co. in Ulm über
nommen worden zum Preise von 36 JL. pro 100 kg, die Ober
leitung der ganzen Arbeit liegt in Händen des Münsterbaumeisters
Professor Beyer.
Die Aufhängung der alten Glocken geschah seither mittelst
sogenannter Stockfedern, wobei der Glockenzapfen auf einem
hohen vertikalen Pendel rollt und seitlich durch ebensolche Pendel mit
horizontaler Achse gehalten ist. Wenn die seitlichen Pendel sich nach
und nach auslaufen, so entstehen beim Läuten heftige Stöße; die
alten Achsen sind hiedurch mehrfach ausgelaufen und beschädigt.
Die neueren Aufhängevorrichtungen geschehen nach dem System des
Glockengießers Kurtz in Stultgart, welches Aehnlichkeit mit dem System
Ritter hat: die Drehachse der Glocken trägt je am Ende einen kleinen
Sektor, der auf einer flachen, nach oben gekrümmten Fläche rollt, ein
seitlich angebrachter Zahnkranz verhindert das Abgleiten; außer
rollender Reibung sind keine Widerstände vorhanden.
Beim Ritter'schen Aufhängesystem ist ein solcher Sektor
ebenfalls vorhanden. Der Hauptunterschied zwischen beiden Auf
hängesystemen besteht aber darin, daß bei der Kurtz'scher Aufhängung
der augenblickliche Drehpunkt der Glocke über dem Glockenscheitel
und höher liegt, als der Drehpunkt des Klöppels, während bei Ritter
umgekehrt der Drehpunkt des Klöppels höher hängt als derjenige der
Glocke, ferner liegt der Drehpunkt der Glocke unter dem Glocken
scheitel. Bei Kurtz folgt deshalb der Klöppel der Glocke und trifft
den Schlagring beim Vorwärtsschwingen beider, während bei Ritter
die Glocke beim Rückwärtsbewegen den Klöppel trifft. Daher bei
Kmtz allmälig er, sanfter, bei Ritter viel härterer Anschlag. In
folge der tiefen Lage des Drehpunktes bei Ritter'scher Aufhängung
beschreibt die Glocke einen kleineren Bogen und hat kleineres Träg-
heitsnwment, als bei der gewählten Aufhängung, nimmt daher
weniger Raum in Anspruch und übt geringeren Horizontalschub aus,
aber, wie erwähnt, der Ton ist weniger weich. Bei der Aufhängung
von Pozdech ist der Sektor durch eine Schneide ersetzt, die Wirkung
ist dieselbe, wie bei der Ritter'schen Aufhängung.
Bei der Massigkeit der Umfangsmauern kommt die vermehrte
Horizontalwirkung der Glocken, welche bei Kurtz'scher Aufhängung
entsteht, nicht in Betracht.
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß das Gesamtgewicht des
Glockenstuhles nebst Unterbau zu 73 770 kg Flußeisen (und Guß
eisen) sich berechnet und daß die Gesamtkosten incl. Beton, Plätt
chen und Dielenbelag, jedoch excl. Umarbeitung und Aufstellung
der Glocken und der Maurerarbeit für die Auflager, sich auf
ca. 29 500 M. berechnet.
Anme rkung der Redaktion. Der Aussatz in Heft 10 (1897) „Die Freilegung der Eßlinger Frauen-Kirche" ist mit Bewilligung des Verfassers
der Süddeutschen Bauzeitung entnommen.
Deravogegrden vom Würitrmd. ffirrjiti für iöanknnde. Mr denselben: Vderbanrat a.B. v. iör° ckman n. — Druck von Alfred Müller St Co. — Verlag von 3. weise'-
Hofduchhandlung, sämtlich in Ltnttgarl.