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Stitzenburg ausgearbeitete Bebauungsplan seitens der Stadt nicht
angenommen wurde, so daß wir an Stelle eines reizenden Städte
bildes eine dauernde Verunzierung des schönsten Hügels der Stadt
erhielten.
Ueber die Rückwirkung der offenen oder geschlossenen Bauweise
auf die Mietpreise der Wohnungen gehen die Ansichten der Sach
verständigen sehr weit auseinander; de.r Redner führt hiefür Beispiele
an; darüber ist derselbe im klaren, daß weiträumige Bebauungs
vorschriften den Preis von Grund und Boden zurückhalten, während
andererseits das Zusammenbauen etwas billiger komme als das Bauen
freistehender Häuser. Redner tritt entschieden dafür ein, daß an
unsern Hängen die offene Bauweise beibehalten und der Reiz der
selben durch malerische Gestaltung der Bebauung gewahrt bleiben
müsse, dagegen glaubt er, daß die Zone der geschlossenen Bauweise
etwas ausgedehnt und die letztere im Erweiterungsgebiet auf Thal-
straßen, die Hanptverkehrs- und Geschäftsstraßen sind, ausgedehnt
werden könnte, soweit solche eine genügende Breite haben und die
Gebäude nicht mehr als 4 Stockwerke erhalten. Eine nahezu ge
schlossene Bauweise ist übrigens jetzt schon auf Grund des 8 73 des
Ortsbaustatuts möglich, wonach Gebäude unter einem Dach bis zu
40 Meter Länge errichtet weiden dürfen, von derselben wird aber
außerordentlich wenig Gebrauch gemacht. Auf die hygienische Seite
der Frage geht Redner nicht weiter ein, da diese schon von anderer Seite
eingehend erörtert und dabei die Rettichschen Ansichten widerlegt
wurden.
In der an diesen Vortrag sich anlehnenden Besprechung äußerte
sich Herr Präsident von Schlier holz wie folgt:
Der Württ. Verein für Baukunde hat schon früher zu dem
Ortsbanstatut und zu andern städtischen Angelegenheiten Stellung
genommen.
Als es sich im Jahr 1872 um den Pragfriedhof handelte, ist
der Verein dafür eingetreten, das fragliche Areal für ein Bauquartier
zu bestimmen und den Friedhof mehr gegen Westen an der hohen
Prag und der Mönchhalde hier zu erstellen, dabei aber, da der
letztere Platz eine etwas geringere Fläche geboten hätte, gleich auf
die Erstellung eines zweiten Friedhofes im westlichen Teile des
Stuttgarter Thales Bedacht zu nehmen.
Diesem Ansinnen entsprach der Gemeinderat nicht, indem er in
einem Schreiben rom 29. Mai 1872 erwiderte, daß er die An
schauung über die Vorzüge des von der Stadt für einen Friedhof
gewählten Platzes als Bauquarlier nicht teilen könne und deshalb
auf den Vorschlag des Vereins nicht einzugehen vermöge, jetzt aber
schon die spätere Erstellung eines zweiten Friedhofs im Westen der
Stadt ins Auge gefaßt habe.
Im Weiteren ersuchte im Oktober 1872 Oberbürgermeister
Or. Hack den Verein um Begutachtung des vom Gemeinderats-
Sekretär Huzel bearbeiteten Entwurfes zu einem Ortsbaustatut
für Stuttgart und um etwaige Aenderungsvorschläge hiezu.
Die Beratung, der sich der Verein gerne unterzog, erfolgte in
mehreren Kommissions- und 7 Plenarsitzungen im November und
Dezember 1872, unter Anwesenheit des Herrn Sekretärs Huzel, und
ergab einen Vereinsentwurf zu einem Ortsbaustatut für Stuttgart mit
58 Paragraphen, welcher im Drucke vervielfältigt und im April 1873 dem
Gemeinderat mit den zugehörigen Sitzungsprotokollen übermittelt wurde.
In diesem Entwürfe wurde wesentlich die Verdrängung des
für eine Hauptstadt und angehende Großstadt unwürdigen Fachwerk
baues und die obligatorische Einführung des Massivbaues sowohl
für Außenmauern als auch für tragende Innenwände angestrebt, und
ferner die Erstellung massiver Treppen für Versammlungsgebäude,
Theater- und Fabrikgebäude, größere Gasthöfe und Mietskasernen rc,
sowie für die Innenstadt das Bauen ohne Gebäudeabstände mit
2,3 Meter weiten Durchfahrten nach den Höfen (soweit diese nicht
von auswärts zugänglich würden) verlangt, wogegen für die Außen
stadt und an den Berggehängen sogenannte Landhausstraßen mit
wenigstens 6 Meter Gebäudeabstand unter Bestimmung der Grenze
zwischen Innen- und Außenstadt in Vorschlag gebracht waren.
Bei diesen Vorschriften ging der Verein davon aus, daß iu
der Innenstadt das zur Verfügung stehende Areal thunlichst aus
genützt und der städtische Charakter gewahrt werden sollte durch eng-
räumigen Bau, der nach Einführung des Massivbaues erleichtert
würde und angezeigt wäre. An den Gehängen dagegen sollte
der malerische Eindruck und landschaftliche Reiz der Umrahmung
Stuttgarts thunlichst gewahrt bleiben und daher darauf Bedacht ge
nommen werden, die Straßen der Configuration der Gehänge ent
sprechend mit günstigen Gefällsverhältnissen anzulegen, möglichst weit
räumig, gegen die Stadt meist nur bergseitig mit Vorgärten zu
bauen, teils einfache, teils doppelte Wohngebäude landyausartigen
Charakters mit 2, höchstens 3 Etagen (einschließlich Erdgeschoß) vor
zusehen, und entsprechende Plätze für öffentliche Gebäude und Garten
anlagen, Aussichtsstellen u. dergl. mit entsprechender Bepflanzung im
Plane vorzubehalten
Bestimmte Detailvorschriften werden sich jedoch bei der mannig
faltigen Gestaltung des Banterrains an dem Berggelände ohne ein
gehende Studien wohl schwer geben lassen.
Hiebei würde sich begabten Architekten ein reiches Feld der
Thätigkeit eröffnen, deren Mitwirkung zum Gelingen einer richtigen
Bebauung der Gehänge ohnehin von Wert sein dürfte.
Diesen Vorschlägen wurde von dem Gemeinderate in dem um
gearbeiteten Statut in mehrfacher Beziehung, besonders was den
Massivbau und die engräumige Bebauung der Innenstadt ohne Ge
bäudeabstände betrifft, wenig Rechnung getragen, weshalb vom Ver
eine auf Grund des öffentlich aufgelegten neuen Entwurfs am 3. Mai
1873 eine Aeußerung an den Gemeinderat übergeben wurde, die er
auch zur Kenntnis des K. Ministeriums des Innern brachte und
im Neuen Tagblatt veröffentlichte.
Die in diesem Gutachten enthaltenen Vorschläge fanden jedoch
auch in dem von der Stadtverwaltung festgestellten Ortsbaustatut von 1873
nicht genügende Beachtung, besonders durch Zulassung von Gebäude
abständen bis zu 2,86 Meter herab. Es darf daher nicht Wunder
nehmen, daß manche Straßenanlage an den Berggehängen verfehlter
Weise in gerader Richtung in den Berg eingeschnitten und ein im
Jahr 1873 von Herrn Professor Reinhardt im Auftrag der Herren
Oitenheimer u. Cie. gefertigtes Projekt für dieUeberbauung der
sogenannten Stitzenburg, das auch dem Vereine vorgelegt war, durch
den Beschluß des Gemeinderats vereitelt wurde.
Dieser Bebauungsplan erregte bei den Vereinsmitgliedern große
Freude und Anerkennung, denn er paßte sich, die Gebäude malerisch
gruppierend, dem Terrain an und bot sowohl gegen die Stadt wie
umgekehrt schöne Ausblicke dar.
Der Gemeinderat aber strebte eine mehr ökonomische Terrain
ausnützung an und so entstanden später die jetzigen mit außerordent
licher Bodenabhebung verbundenen Straßen mit ihren meist kasernen
artigen Mielhäusern, die ja wohl den Or. Rettich'schen Ansichten
entsprechen mögen und ein Bild davon geben, wie sich Stuttgart in
seiner Umgebung nach des Letzteren Vorschlägen gestalten würde.
Diese Verhältnisse gaben mir auch bei der 6. Generalversamm
lung deutscher Architekten- und Jngenieurvereine in Stuttgart vom
24. bis 28. August 1884 bei meiner Eröffnungsrede Anlaß, zu be
merken, welch günstigen Einfluß die Einführung des Massivbaues
in Stuttgart durch das Ortsbaustatut von 1874, an dem auch der
Verein für Baukunde wesentlich Anteil habe, auf die Privatbauten
dem früher üblichen Fachwerksbau gegenüber in architektonischer
Hinsicht übe.
Nur sei zu bedauern, daß die Stadtbehörde zu spät begriffen
habe, welche entzückende Configuration für LaiMausbauteu die Um
gebung von Stuttgart biete.
Endlich 1897 wurde das Ortsbaustatut im einzelnen unter
weiterer Bedachtnahme auf unsere früheren Vorschläge revidiert.
Nach dem neuen Statut ist nun für den innern Stadtteil als
erste Bauzone die geschlossene Bauweise gestattet, für das äußere
Gebiet in der zweiten Zone ein Gebäudeabstand von wenigstens
3 Meter verlangt, und für die dritte hochliegende Zone die Vor
schrift größerer Abstände vorbehalten; auch soll in der Vorstadt Berg
und der Karlsvorstadt der Fachwerkbau geduldet sein.
Herr Stadtbaurat Kölle, an den schon bei seinem Amtsantritte
die Frage der Bebauung der Thalgehänge herantrat, hat in einer