Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Stitzenburg ausgearbeitete Bebauungsplan seitens der Stadt nicht 
angenommen wurde, so daß wir an Stelle eines reizenden Städte 
bildes eine dauernde Verunzierung des schönsten Hügels der Stadt 
erhielten. 
Ueber die Rückwirkung der offenen oder geschlossenen Bauweise 
auf die Mietpreise der Wohnungen gehen die Ansichten der Sach 
verständigen sehr weit auseinander; de.r Redner führt hiefür Beispiele 
an; darüber ist derselbe im klaren, daß weiträumige Bebauungs 
vorschriften den Preis von Grund und Boden zurückhalten, während 
andererseits das Zusammenbauen etwas billiger komme als das Bauen 
freistehender Häuser. Redner tritt entschieden dafür ein, daß an 
unsern Hängen die offene Bauweise beibehalten und der Reiz der 
selben durch malerische Gestaltung der Bebauung gewahrt bleiben 
müsse, dagegen glaubt er, daß die Zone der geschlossenen Bauweise 
etwas ausgedehnt und die letztere im Erweiterungsgebiet auf Thal- 
straßen, die Hanptverkehrs- und Geschäftsstraßen sind, ausgedehnt 
werden könnte, soweit solche eine genügende Breite haben und die 
Gebäude nicht mehr als 4 Stockwerke erhalten. Eine nahezu ge 
schlossene Bauweise ist übrigens jetzt schon auf Grund des 8 73 des 
Ortsbaustatuts möglich, wonach Gebäude unter einem Dach bis zu 
40 Meter Länge errichtet weiden dürfen, von derselben wird aber 
außerordentlich wenig Gebrauch gemacht. Auf die hygienische Seite 
der Frage geht Redner nicht weiter ein, da diese schon von anderer Seite 
eingehend erörtert und dabei die Rettichschen Ansichten widerlegt 
wurden. 
In der an diesen Vortrag sich anlehnenden Besprechung äußerte 
sich Herr Präsident von Schlier holz wie folgt: 
Der Württ. Verein für Baukunde hat schon früher zu dem 
Ortsbanstatut und zu andern städtischen Angelegenheiten Stellung 
genommen. 
Als es sich im Jahr 1872 um den Pragfriedhof handelte, ist 
der Verein dafür eingetreten, das fragliche Areal für ein Bauquartier 
zu bestimmen und den Friedhof mehr gegen Westen an der hohen 
Prag und der Mönchhalde hier zu erstellen, dabei aber, da der 
letztere Platz eine etwas geringere Fläche geboten hätte, gleich auf 
die Erstellung eines zweiten Friedhofes im westlichen Teile des 
Stuttgarter Thales Bedacht zu nehmen. 
Diesem Ansinnen entsprach der Gemeinderat nicht, indem er in 
einem Schreiben rom 29. Mai 1872 erwiderte, daß er die An 
schauung über die Vorzüge des von der Stadt für einen Friedhof 
gewählten Platzes als Bauquarlier nicht teilen könne und deshalb 
auf den Vorschlag des Vereins nicht einzugehen vermöge, jetzt aber 
schon die spätere Erstellung eines zweiten Friedhofs im Westen der 
Stadt ins Auge gefaßt habe. 
Im Weiteren ersuchte im Oktober 1872 Oberbürgermeister 
Or. Hack den Verein um Begutachtung des vom Gemeinderats- 
Sekretär Huzel bearbeiteten Entwurfes zu einem Ortsbaustatut 
für Stuttgart und um etwaige Aenderungsvorschläge hiezu. 
Die Beratung, der sich der Verein gerne unterzog, erfolgte in 
mehreren Kommissions- und 7 Plenarsitzungen im November und 
Dezember 1872, unter Anwesenheit des Herrn Sekretärs Huzel, und 
ergab einen Vereinsentwurf zu einem Ortsbaustatut für Stuttgart mit 
58 Paragraphen, welcher im Drucke vervielfältigt und im April 1873 dem 
Gemeinderat mit den zugehörigen Sitzungsprotokollen übermittelt wurde. 
In diesem Entwürfe wurde wesentlich die Verdrängung des 
für eine Hauptstadt und angehende Großstadt unwürdigen Fachwerk 
baues und die obligatorische Einführung des Massivbaues sowohl 
für Außenmauern als auch für tragende Innenwände angestrebt, und 
ferner die Erstellung massiver Treppen für Versammlungsgebäude, 
Theater- und Fabrikgebäude, größere Gasthöfe und Mietskasernen rc, 
sowie für die Innenstadt das Bauen ohne Gebäudeabstände mit 
2,3 Meter weiten Durchfahrten nach den Höfen (soweit diese nicht 
von auswärts zugänglich würden) verlangt, wogegen für die Außen 
stadt und an den Berggehängen sogenannte Landhausstraßen mit 
wenigstens 6 Meter Gebäudeabstand unter Bestimmung der Grenze 
zwischen Innen- und Außenstadt in Vorschlag gebracht waren. 
Bei diesen Vorschriften ging der Verein davon aus, daß iu 
der Innenstadt das zur Verfügung stehende Areal thunlichst aus 
genützt und der städtische Charakter gewahrt werden sollte durch eng- 
räumigen Bau, der nach Einführung des Massivbaues erleichtert 
würde und angezeigt wäre. An den Gehängen dagegen sollte 
der malerische Eindruck und landschaftliche Reiz der Umrahmung 
Stuttgarts thunlichst gewahrt bleiben und daher darauf Bedacht ge 
nommen werden, die Straßen der Configuration der Gehänge ent 
sprechend mit günstigen Gefällsverhältnissen anzulegen, möglichst weit 
räumig, gegen die Stadt meist nur bergseitig mit Vorgärten zu 
bauen, teils einfache, teils doppelte Wohngebäude landyausartigen 
Charakters mit 2, höchstens 3 Etagen (einschließlich Erdgeschoß) vor 
zusehen, und entsprechende Plätze für öffentliche Gebäude und Garten 
anlagen, Aussichtsstellen u. dergl. mit entsprechender Bepflanzung im 
Plane vorzubehalten 
Bestimmte Detailvorschriften werden sich jedoch bei der mannig 
faltigen Gestaltung des Banterrains an dem Berggelände ohne ein 
gehende Studien wohl schwer geben lassen. 
Hiebei würde sich begabten Architekten ein reiches Feld der 
Thätigkeit eröffnen, deren Mitwirkung zum Gelingen einer richtigen 
Bebauung der Gehänge ohnehin von Wert sein dürfte. 
Diesen Vorschlägen wurde von dem Gemeinderate in dem um 
gearbeiteten Statut in mehrfacher Beziehung, besonders was den 
Massivbau und die engräumige Bebauung der Innenstadt ohne Ge 
bäudeabstände betrifft, wenig Rechnung getragen, weshalb vom Ver 
eine auf Grund des öffentlich aufgelegten neuen Entwurfs am 3. Mai 
1873 eine Aeußerung an den Gemeinderat übergeben wurde, die er 
auch zur Kenntnis des K. Ministeriums des Innern brachte und 
im Neuen Tagblatt veröffentlichte. 
Die in diesem Gutachten enthaltenen Vorschläge fanden jedoch 
auch in dem von der Stadtverwaltung festgestellten Ortsbaustatut von 1873 
nicht genügende Beachtung, besonders durch Zulassung von Gebäude 
abständen bis zu 2,86 Meter herab. Es darf daher nicht Wunder 
nehmen, daß manche Straßenanlage an den Berggehängen verfehlter 
Weise in gerader Richtung in den Berg eingeschnitten und ein im 
Jahr 1873 von Herrn Professor Reinhardt im Auftrag der Herren 
Oitenheimer u. Cie. gefertigtes Projekt für dieUeberbauung der 
sogenannten Stitzenburg, das auch dem Vereine vorgelegt war, durch 
den Beschluß des Gemeinderats vereitelt wurde. 
Dieser Bebauungsplan erregte bei den Vereinsmitgliedern große 
Freude und Anerkennung, denn er paßte sich, die Gebäude malerisch 
gruppierend, dem Terrain an und bot sowohl gegen die Stadt wie 
umgekehrt schöne Ausblicke dar. 
Der Gemeinderat aber strebte eine mehr ökonomische Terrain 
ausnützung an und so entstanden später die jetzigen mit außerordent 
licher Bodenabhebung verbundenen Straßen mit ihren meist kasernen 
artigen Mielhäusern, die ja wohl den Or. Rettich'schen Ansichten 
entsprechen mögen und ein Bild davon geben, wie sich Stuttgart in 
seiner Umgebung nach des Letzteren Vorschlägen gestalten würde. 
Diese Verhältnisse gaben mir auch bei der 6. Generalversamm 
lung deutscher Architekten- und Jngenieurvereine in Stuttgart vom 
24. bis 28. August 1884 bei meiner Eröffnungsrede Anlaß, zu be 
merken, welch günstigen Einfluß die Einführung des Massivbaues 
in Stuttgart durch das Ortsbaustatut von 1874, an dem auch der 
Verein für Baukunde wesentlich Anteil habe, auf die Privatbauten 
dem früher üblichen Fachwerksbau gegenüber in architektonischer 
Hinsicht übe. 
Nur sei zu bedauern, daß die Stadtbehörde zu spät begriffen 
habe, welche entzückende Configuration für LaiMausbauteu die Um 
gebung von Stuttgart biete. 
Endlich 1897 wurde das Ortsbaustatut im einzelnen unter 
weiterer Bedachtnahme auf unsere früheren Vorschläge revidiert. 
Nach dem neuen Statut ist nun für den innern Stadtteil als 
erste Bauzone die geschlossene Bauweise gestattet, für das äußere 
Gebiet in der zweiten Zone ein Gebäudeabstand von wenigstens 
3 Meter verlangt, und für die dritte hochliegende Zone die Vor 
schrift größerer Abstände vorbehalten; auch soll in der Vorstadt Berg 
und der Karlsvorstadt der Fachwerkbau geduldet sein. 
Herr Stadtbaurat Kölle, an den schon bei seinem Amtsantritte 
die Frage der Bebauung der Thalgehänge herantrat, hat in einer
	        

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