Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

27 
Reihe von Jahren mit großer Thatkraft und Sachkenntnis einen 
hierauf bezüglichen Stadterweiterungsplan bearbeitet, der uns heute 
freundlich mitgeteilt wurde. 
Nach diesem Plane entsprechen meines Erachtens die Straßen- 
züge bei niöglichst günstigen Gefällsverhältnissen thunlichst der 
schwierigen Terraingestaltung. Er trägt mit seinen Bauverboten dem 
landschaftlichen Charakter der Gehänge Rechnung und ist von be 
währten Technikern, so auch von dem Herrn Referenten (Baurat 
Frey), gutgeheißen worden. 
Bei Prüfung dieses Planes auch in volkswirtschaftlicher Be 
ziehung anerkennt zwar Herr Gemeinderat Dr. Rettich das geplante 
Straßennetz im allgemeinen, er beanstandet jedoch in der bekannten 
Schrift die Bebauungsvorschriften, indem er in Rücksicht auf die 
Bevölkerungszunahme eine viel weitergehende Raumausnützung, weniger 
Banverbote bei möglichst engräumiger Anbauung wünscht, die obersten 
Gelände mit 10 Prozent der Gesamtfläche ausgenommen, für die er 
Villabauten vorsieht. Er strebi, abgesehen von sozialen, hygienischen 
und landschaftlichen Rücksichten, die Unterbringung einer bestimmten 
Anzahl einer innerhalb 42 Jahren etwa nach seiner Rechnung auf 
rund 370000 Personen anwachsenden Bevölkerung an; ein sehr will 
kürliches Argument um, mögen die vorhandenen Verhältnisse passen 
oder nicht, eine gewisse Anzahl Menschen auf der Stuttgarter Markung j 
vorzugsweise durch möglichst engräumige lleberbauung mit möglichst 
hohen Gebäuden unterzubringen. 
Daß das sich hiedurch ergebende künftige Städtebild mit seinen 
Gebäudegürteln um die Stadt und den vielfach mit den Hinterfronten 
gegen diese gekehrten Gebäuden für den Einheimischen beengend und 
für den Fremden auch unverständlich werden müßte, steht außer 
Zweifel. 
Möchte dieses falsche Prinzip baldigst verlassen und der An 
bau der Höhengelände, nach den von mir bereits genannten Grund 
sätzen mit der Zonenabgrenzung nach dem Kölle'schen Plane außer 
halb der Innenstadt bewirkt und dafür Sorge getragen werden, daß 
für einen Teil der Bevölkerung billigere Wohnungen, die aber an 
den Berghängen schwerlich erstellt werden können, außerhalb der Stadt 
geschaffen und durch Eingemeindungen geeignete eben gelegene Bau 
stellen gewonnen werden. 
Nach meiner Meinung hat auch das Bebauen an zu steilen 
und zu hoch über der Innenstadt liegenden Gehängen, wenn hiefür 
nicht bequeme Beförderungseinrichtungen und Mittel zur Verfügung 
stehen, seine Bedenken für Alt und Jung, besonders zur heißen 
Jahreszeit und zur Winterszeit bei Glatteis. 
Für die Stadt Stuttgart würde eine Beilegung des Streites 
und eine baldige Festlegung des Anbauungsplanes, nachdem die ver 
schiedenen Ansichten- auch in der Presse, durch die Herren Professor 
Baumeister in Karlsruhe in der Entgegnung auf die Schrift von 
vr. Abele, im Schwäb. Merkur und in der Deutschen Bauzeitung rc 
ausführlich behandelt wurden und auch die Ansicht unseres Vereines 
noch dazu gekommen sein wird, von Wert sein, da nun der Gemeinde 
rat mir dem Herrn Oberbürgermeister an der Spitze über die grund 
legenden Fragen vollständig unterrichtet und somit imstande sein 
dürfte, das Richtige zu treffen. 
Die Oedächlnistürche in Stuttgart 
Mit 1 Tafel mit 4 Abbildungen. 
Am 7. Januar d. I. fand unter der Führung des Erbauers, 
Oberbaurat Reinhardt, eine Besichtigung der „Gedächtniskirche" 
statt, welche von dem Geh. Hofrat Or. von Jobst in Stuttgart 
zum Andenken an seine verstorbene Gemahlin gestiftet und am 
Ostermontag v. I. eingeweiht worden ist. 
Der von der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart dem 
Stifter der Kirche zur Verfügung gestellte Platz an der Ecke der 
Hölderlin- und Lessingstraße hat namentlich in der Tiefe so be 
scheidene Abmessungen, daß dem Architekten in der Plangestaltung 
der auf 500 Sitzplätze projektierten Kirche die engsten Schranken 
gezogen waren. Es mußte der Bau der ganzen Langseite nach in 
die Bauflucht der Hölderlinstrabe gerückt werden, und die Kirche konnte 
so nur die weniger übliche Form einer zweischiffigen Langhauskirche 
erhalten, bestehend aus einem verhältnismäßig sehr breiten Haupt 
schiff, begleitet von nur einem Seitenschiff mit Emporen entlang der 
Hölderlinstraße. Gegen die unter stumpfem Winkel in die Hölderlin- 
straße einschneidende Lessingstraße wurde die Anlage eines größeren 
Vorplatzes zur Vorschrift gemacht, und von hier führt der Haupt 
eingang in der Achse des Hauptschiffs zunächst in eine gewölbte 
Vorhalle von der ganzen Breite des letzteren unterhalb der geräumigen 
Orgelempore, von wo aus drei Thüren den Zugang zur eigentlichen 
Kirche vermitteln. Aber auch in der Längenrichtung war auf dem 
gegebenen Platz jede reichere Plananlage, etwa mit einem Querhaus, 
ausgeschlossen, es mußte vielm hr auch der Chor in ganz einfacher 
Weise als polygonaler Abschluß des Hauptschiffs angeordnet werden. 
Für die bequeme Zugänglichkeit der großen westlichen Orgelempore 
und der Emporen über dem Seitenschiff sind noch zwei Treppen 
anlagen notwendig geworden, welche in einem westlichen kleineren 
Turm und in einem neben dem Chorabschluß gelegenen Hauptturm 
untergebracht sind. Letzterer ist noch über die Bauflucht der Hölderlin 
straße hinausgerückt. 
Um das Hauptschiff in der Anlage von Sitzbänken möglichst 
ausnützen zu können, wurde auf der Nordseite im Erdgeschoß zwischen 
den weit vorspringenden Strebepfeilern des Hauptschiffs ein schmaler 
Gang ausgebaut, der sich gegen letzteres in denselben Arkaden öffnet 
wie das gegenüberliegenoe Seitenschiff, und erst darüber baut sich die 
eigentliche Abschluß- oder Fensterwand des Hauptschiffs auf. Ent 
sprechend diesem Ausbau der nördlichen Langseite ist die Sakristei 
an die Abschrägung des Chors mit erkerartiger Erweiterung am Eck 
gestellt. 
So ist die ganze Grundrißanordnung durch die Form und die 
geringen Abmessungen des Bauplatzes bedingt und ist dadurch eine 
Kirchenanlage entstanden, die in mehrfacher Beziehung von den sonst 
üblichen Dispositionen evangelischer Kirchen abweicht, aber in ihrer 
Einfachheit und Klarheit für das evangelische Kultbedürfnis besonders 
geeignet sein dürfte. 
In dem zehn Meter breiten Polygon des Chors konnten alle 
zum evangelischen Gottesdienst notwendigen Einrichtungen neben 
einander untergebracht werden. In der Mitte des um eine Stufe 
erhöhten Chors steht der Altar, in der Mitte der nördlichen schrägen 
Seite des Chors ist die Kanzel angebracht, unmittelbar von der 
Sakristei aus zugänglich, während der Taufstein gegenüber der Kanzel 
aufgestellt ist. Bei der nur zweischiffigen Anordnung ergiebt sich von 
allen Sitzplätzen aus unmittelbare Richtung des Blicks in gleicher 
Weise auf Kanzel, Altar und Taufstein. Das ganze Innere bildet 
einen einheitlichen Raum, der sich sozusagen im Chor konzentriert. 
Dem Grundriß entsprechend sind Langhaus und Chor mit dem 
selben Rippengewölbe überdeckt, das am Polygonen Schluß sich von 
selbst etwas reicher gliedert und auch etwas reicher dekoriert ist. 
Ebenso beginnen die Gewölbe über den Emporen des Seitenschiffs 
in derselben Höhe wie die über dem Hauptschiff. 
Durch die großen Fenster des Langhauses ist der ganze Jnnen- 
raum mit hohem Licht durchflutet, nur wenig gedämpft durch die 
einfache Musterung der Verglasung. Das über dem Altar angebrachte 
Chorfenster hat allein figürlichen Schmuck, die Auferstehung darstellend. 
Trotz des so einfachen Planschemas zeigt der äußere Aufbau 
eine reiche malerische Gruppierung, namentlich von dem natürlichen 
Hauptstandpunkt, der Kreuzung von Hölderlin- und Lessingstraße aus, 
gesehen (vergl. unsere „Gesamtansicht"), eine Gruppierung, die sich 
aber dem ganzen Straßenbild unterordnet, namentlich auch in Betreff 
der Höhenabmessungen des Hauptturmes. Die Architektur ist in den 
einfachen Formen der frühesten Gotik gehalteu, welche nur an der
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.