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Reihe von Jahren mit großer Thatkraft und Sachkenntnis einen
hierauf bezüglichen Stadterweiterungsplan bearbeitet, der uns heute
freundlich mitgeteilt wurde.
Nach diesem Plane entsprechen meines Erachtens die Straßen-
züge bei niöglichst günstigen Gefällsverhältnissen thunlichst der
schwierigen Terraingestaltung. Er trägt mit seinen Bauverboten dem
landschaftlichen Charakter der Gehänge Rechnung und ist von be
währten Technikern, so auch von dem Herrn Referenten (Baurat
Frey), gutgeheißen worden.
Bei Prüfung dieses Planes auch in volkswirtschaftlicher Be
ziehung anerkennt zwar Herr Gemeinderat Dr. Rettich das geplante
Straßennetz im allgemeinen, er beanstandet jedoch in der bekannten
Schrift die Bebauungsvorschriften, indem er in Rücksicht auf die
Bevölkerungszunahme eine viel weitergehende Raumausnützung, weniger
Banverbote bei möglichst engräumiger Anbauung wünscht, die obersten
Gelände mit 10 Prozent der Gesamtfläche ausgenommen, für die er
Villabauten vorsieht. Er strebi, abgesehen von sozialen, hygienischen
und landschaftlichen Rücksichten, die Unterbringung einer bestimmten
Anzahl einer innerhalb 42 Jahren etwa nach seiner Rechnung auf
rund 370000 Personen anwachsenden Bevölkerung an; ein sehr will
kürliches Argument um, mögen die vorhandenen Verhältnisse passen
oder nicht, eine gewisse Anzahl Menschen auf der Stuttgarter Markung j
vorzugsweise durch möglichst engräumige lleberbauung mit möglichst
hohen Gebäuden unterzubringen.
Daß das sich hiedurch ergebende künftige Städtebild mit seinen
Gebäudegürteln um die Stadt und den vielfach mit den Hinterfronten
gegen diese gekehrten Gebäuden für den Einheimischen beengend und
für den Fremden auch unverständlich werden müßte, steht außer
Zweifel.
Möchte dieses falsche Prinzip baldigst verlassen und der An
bau der Höhengelände, nach den von mir bereits genannten Grund
sätzen mit der Zonenabgrenzung nach dem Kölle'schen Plane außer
halb der Innenstadt bewirkt und dafür Sorge getragen werden, daß
für einen Teil der Bevölkerung billigere Wohnungen, die aber an
den Berghängen schwerlich erstellt werden können, außerhalb der Stadt
geschaffen und durch Eingemeindungen geeignete eben gelegene Bau
stellen gewonnen werden.
Nach meiner Meinung hat auch das Bebauen an zu steilen
und zu hoch über der Innenstadt liegenden Gehängen, wenn hiefür
nicht bequeme Beförderungseinrichtungen und Mittel zur Verfügung
stehen, seine Bedenken für Alt und Jung, besonders zur heißen
Jahreszeit und zur Winterszeit bei Glatteis.
Für die Stadt Stuttgart würde eine Beilegung des Streites
und eine baldige Festlegung des Anbauungsplanes, nachdem die ver
schiedenen Ansichten- auch in der Presse, durch die Herren Professor
Baumeister in Karlsruhe in der Entgegnung auf die Schrift von
vr. Abele, im Schwäb. Merkur und in der Deutschen Bauzeitung rc
ausführlich behandelt wurden und auch die Ansicht unseres Vereines
noch dazu gekommen sein wird, von Wert sein, da nun der Gemeinde
rat mir dem Herrn Oberbürgermeister an der Spitze über die grund
legenden Fragen vollständig unterrichtet und somit imstande sein
dürfte, das Richtige zu treffen.
Die Oedächlnistürche in Stuttgart
Mit 1 Tafel mit 4 Abbildungen.
Am 7. Januar d. I. fand unter der Führung des Erbauers,
Oberbaurat Reinhardt, eine Besichtigung der „Gedächtniskirche"
statt, welche von dem Geh. Hofrat Or. von Jobst in Stuttgart
zum Andenken an seine verstorbene Gemahlin gestiftet und am
Ostermontag v. I. eingeweiht worden ist.
Der von der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart dem
Stifter der Kirche zur Verfügung gestellte Platz an der Ecke der
Hölderlin- und Lessingstraße hat namentlich in der Tiefe so be
scheidene Abmessungen, daß dem Architekten in der Plangestaltung
der auf 500 Sitzplätze projektierten Kirche die engsten Schranken
gezogen waren. Es mußte der Bau der ganzen Langseite nach in
die Bauflucht der Hölderlinstrabe gerückt werden, und die Kirche konnte
so nur die weniger übliche Form einer zweischiffigen Langhauskirche
erhalten, bestehend aus einem verhältnismäßig sehr breiten Haupt
schiff, begleitet von nur einem Seitenschiff mit Emporen entlang der
Hölderlinstraße. Gegen die unter stumpfem Winkel in die Hölderlin-
straße einschneidende Lessingstraße wurde die Anlage eines größeren
Vorplatzes zur Vorschrift gemacht, und von hier führt der Haupt
eingang in der Achse des Hauptschiffs zunächst in eine gewölbte
Vorhalle von der ganzen Breite des letzteren unterhalb der geräumigen
Orgelempore, von wo aus drei Thüren den Zugang zur eigentlichen
Kirche vermitteln. Aber auch in der Längenrichtung war auf dem
gegebenen Platz jede reichere Plananlage, etwa mit einem Querhaus,
ausgeschlossen, es mußte vielm hr auch der Chor in ganz einfacher
Weise als polygonaler Abschluß des Hauptschiffs angeordnet werden.
Für die bequeme Zugänglichkeit der großen westlichen Orgelempore
und der Emporen über dem Seitenschiff sind noch zwei Treppen
anlagen notwendig geworden, welche in einem westlichen kleineren
Turm und in einem neben dem Chorabschluß gelegenen Hauptturm
untergebracht sind. Letzterer ist noch über die Bauflucht der Hölderlin
straße hinausgerückt.
Um das Hauptschiff in der Anlage von Sitzbänken möglichst
ausnützen zu können, wurde auf der Nordseite im Erdgeschoß zwischen
den weit vorspringenden Strebepfeilern des Hauptschiffs ein schmaler
Gang ausgebaut, der sich gegen letzteres in denselben Arkaden öffnet
wie das gegenüberliegenoe Seitenschiff, und erst darüber baut sich die
eigentliche Abschluß- oder Fensterwand des Hauptschiffs auf. Ent
sprechend diesem Ausbau der nördlichen Langseite ist die Sakristei
an die Abschrägung des Chors mit erkerartiger Erweiterung am Eck
gestellt.
So ist die ganze Grundrißanordnung durch die Form und die
geringen Abmessungen des Bauplatzes bedingt und ist dadurch eine
Kirchenanlage entstanden, die in mehrfacher Beziehung von den sonst
üblichen Dispositionen evangelischer Kirchen abweicht, aber in ihrer
Einfachheit und Klarheit für das evangelische Kultbedürfnis besonders
geeignet sein dürfte.
In dem zehn Meter breiten Polygon des Chors konnten alle
zum evangelischen Gottesdienst notwendigen Einrichtungen neben
einander untergebracht werden. In der Mitte des um eine Stufe
erhöhten Chors steht der Altar, in der Mitte der nördlichen schrägen
Seite des Chors ist die Kanzel angebracht, unmittelbar von der
Sakristei aus zugänglich, während der Taufstein gegenüber der Kanzel
aufgestellt ist. Bei der nur zweischiffigen Anordnung ergiebt sich von
allen Sitzplätzen aus unmittelbare Richtung des Blicks in gleicher
Weise auf Kanzel, Altar und Taufstein. Das ganze Innere bildet
einen einheitlichen Raum, der sich sozusagen im Chor konzentriert.
Dem Grundriß entsprechend sind Langhaus und Chor mit dem
selben Rippengewölbe überdeckt, das am Polygonen Schluß sich von
selbst etwas reicher gliedert und auch etwas reicher dekoriert ist.
Ebenso beginnen die Gewölbe über den Emporen des Seitenschiffs
in derselben Höhe wie die über dem Hauptschiff.
Durch die großen Fenster des Langhauses ist der ganze Jnnen-
raum mit hohem Licht durchflutet, nur wenig gedämpft durch die
einfache Musterung der Verglasung. Das über dem Altar angebrachte
Chorfenster hat allein figürlichen Schmuck, die Auferstehung darstellend.
Trotz des so einfachen Planschemas zeigt der äußere Aufbau
eine reiche malerische Gruppierung, namentlich von dem natürlichen
Hauptstandpunkt, der Kreuzung von Hölderlin- und Lessingstraße aus,
gesehen (vergl. unsere „Gesamtansicht"), eine Gruppierung, die sich
aber dem ganzen Straßenbild unterordnet, namentlich auch in Betreff
der Höhenabmessungen des Hauptturmes. Die Architektur ist in den
einfachen Formen der frühesten Gotik gehalteu, welche nur an der